Aktuelles | 16.02.2024 | Mosaik Verlag

Kester Schlenz im Interview zu „Ich komm da nicht mehr mit"

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Wie Informationsflut und digitale Überforderung uns in den Wahnsinn treiben – wenn wir es zulassen!

Lieber Herr Schlenz, wieso macht die Digitalisierung unser Leben schwerer statt leichter?

Natürlich ist es hilfreich, Navis zu haben, schnell was zu googeln oder sich auf You Tube Handwerker-Tipps zu holen. Aber da ist ja noch die andere Seite. Die Digitalisierung verlangt zunehmend auch was von uns, sie schlägt sozusagen zurück und kehrt als Gespenst wieder. Wir sollen und müssen nicht nur immer mehr wissen, sondern auch immer mehr können und selber machen: runterladen, bestätigen, eingeben, updaten, verifizieren. Die digitale Welt treibt uns in den Wahnsinn, anstatt uns zu entlasten. 

Als Journalist ist es Ihr Beruf, informiert zu sein. Wann haben Sie gemerkt, dass Sie in der Informationsflut zu ertrinken drohen?  

Ich saß eines Tages morgens in der Stern-Redaktionskonferenz. Die Kolleginnen und Kollegen der verschiedenen Ressorts trugen ihre Themen vor:  Krisen, Kriege, Politik, Wirtschaft, Kultur, Medizin, Pop und Mode, Social Media-Trends, Klatsch, Bitcoins,  BIP und Bad Banks – ich hörte das alles, aber ich merkte: Ich komm da nicht mehr mit. Ich durchdringe das nicht mehr. Es ist zu viel geworden!

Wie gehen Sie persönlich mit der Anforderung um, zu allem eine Haltung haben zu sollen?

Ich sage ab und an einfach mal die Wahrheit: „Sorry, Kollege, dazu kann ich nichts sagen. Ich muss mich da erst mal schlau machen.“

Wenn man den Tonfall in den Kommentarspalten oder gegenüber Service-Personal sieht, kann zu dem Eindruck kommen, dass die Menschen aggressiver geworden sind als früher. Woher kommt das?

Es ist eine Folge der Überforderung. Die Welt dreht sich immer schneller und fordert von uns allen immer mehr Flexibilität und Anpassung. Und das nicht mehr zu schaffen erzeugt ein Gefühl von Ohnmacht. Und Ohnmacht macht wütend. Ich bin sauer, dass ich nicht mehr mitkomme, mich defizitär fühle. Und richte meine Wut eben gegen die Menschen, denen ich begegne. Dabei vergessen wir aber, dass die anderen in unserer modernen Welt ja oft auch überfordert sind. Soziologen sprechen von „Veränderungs-Erschöpfung“. Es geht zu schnell. Wir können nicht mehr mithalten. Und denken: „Ach, lasst mich doch einfach alle in Ruhe“. Aber das sagen wir nicht. Weil ja nach außen hin alle so tun, als kämen sie noch mit.

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Eigentlich dachten Sie zunächst, in Ihrer Titelgeschichte im Stern Ende 2022 hätten Sie bereits alles zum Thema gesagt. Wann haben Sie gemerkt, dass da noch Bedarf besteht?

Ich habe irgendwann realisiert, dass ich ständig in der angeblich so bequemen digitalen Welt immer mehr tun muss, um mitzukommen. Aber diese Welt und ich – das passt zunehmend nicht mehr so richtig zusammen. Ich gebe mir Mühe. Aber die Welt nicht. Sie hat sich mir entzogen, sich verwandelt und kommt nun zurück in Form von Apps, Passwörtern, Downloads, Portalen, Hotlines, Bestätigungs-Codes, Logins, Zwei Faktor-Authentifizierungen, Kontaktformularen, No-Reply-Mails und Service-Centern ohne Service.  Diesen Aspekt wollte ich noch näher beschreiben. 

Sie beschreiben in Ihrem Buch nicht nur Phänomene unserer Zeit, in denen sich sehr viele Menschen wiederfinden, Sie haben auch mit Expertinnen und Experten gesprochen. Welche Erkenntnis hat Sie dabei am meisten überrascht oder am nachhaltigsten zum Umdenken gebracht?

Das war zum Einen die Erkenntnis, dass unser Gehirn bei zu vielen Informationen, die wir uns reinzupressen versuchen, irgendwann nicht mehr mitspielt. Das hat mir der Neurowissenschaftler und Psychiater Dr. Volker Busch erklärt. Er spricht von „geistiger Verstopfung“. Wir brauchen mentale Auszeiten, um das Aufgenommene auch wirklich zu verarbeiten. 
Und dann haben mich die Gespräche mit dem Soziologen Hartmut Rosa nachhaltig beeindruckt. Sein Resonanz-Konzept hat mich total abgeholt, um es mal in Medien-Deutsch zu formulieren. Wenn wir mit dem Anderen und den Anderen nicht mehr wechselseitig in Kontakt sind und uns nicht mehr auf das Unerwartete, Ergebnisoffene einlassen, dann verkümmern wir irgendwann innerlich. Wir brauchen das, was Rosa, das „Unverfügbare“ nennt. 

Im Untertitel Ihres Buches heißt es „Wie Informationsflut und digitale Überforderung uns in den Wahnsinn treiben – wenn wir es zulassen!“ – was machen Sie selbst dagegen, um es nicht zuzulassen?

Ich setze mich ab und an an meinen Teich im Garten und gucke mir die Fische darin an. Das heißt: Ich gönne mir Auszeiten. Außerdem habe ich die Zeitspanne, die ich im Netz und auf Social Media unterwegs bin, reduziert. Man verpasst eigentlich nichts. Ansonsten sage ich: Mehr Mut zur Lücke! Und ganz grundsätzlich gilt: Ich bin zusammen mit meiner Frau, so oft es geht,  in der Natur.

Das Interview führte Tina Voigt für den Mosaik Verlag. Interview bei gleichzeitiger Abbildung des Buchcovers zum Abdruck freigegeben.

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