Wie hat sich dieses Genre in den letzten Jahren entwickelt, gibt es da Vorbilder?
Das Genre entwickelt sich ständig weiter, während die Zielgruppe die gleiche bleibt. Im Grunde entsprach bereits die AFTER-Reihe von Anna Todd den New-Adult-Kriterien, noch bevor es überhaupt den Begriff dafür gab. Zu den New-Adult-Autorinnen der ersten Stunde gehören aus meiner Sicht Mona Kasten, Laura Kneidl und Bianca Iosivoni. Seither wächst das Genre und ist von der SPIEGEL-Bestsellerliste nicht mehr wegzudenken.
New Adult verändert sich aktuell auch in Bezug auf das Setting und die verhandelten Themen. Statt internationaler Metropolen finden sich in den neueren Reihen mehr idyllischere Schauplätze und Kleinstädte, wie z.B. in Ayla Dades Winter-Dreams-Reihe, die im amerikanischen Wintersportparadies Aspen verortet ist. Oder nehmen wir Nena Tramountanis aktuelle Hungry-Hearts-Reihe, in der alle drei Bände in einem Sternerestaurant in einer Kleinstadt an der englischen Küste spielen.
Optisch ist das Genre nach wie vor stark von hellen, pastellfarbenen Covern dominiert, wobei auch hier erste Veränderungen sichtbar werden. Mit der Coveroptik der Hungry-Hearts-Reihe setzen wir beispielsweise auf eine etwas schlichtere Optik mit Trockenblumen im Motiv und Naturpapier für das haptische Erlebnis.
Welche Rolle spielt das Thema Diversity in den Romanen?
Den Autor*innen ist es wichtig, die gesamte Realität abzubilden. Beziehungen innerhalb der LGBTQ+-Community, People of Colour oder Menschen mit Behinderung – all das gehört zum Leben allgemein und auch zum Uni-Leben dazu und spielt deswegen auch eine große Rolle in New-Adult-Romanen.
Wie kommst du als Lektorin an Stoffe und Autorinnen für dieses Genre? Gibt es da einschlägige Agenturen oder sprecht ihr gezielt Autorinnen an, deren Aktivitäten ihr auf Social-Media-Kanälen wie Instagram verfolgt?
Als das Genre New Adult vor einigen Jahren relevanter wurde, haben die Lektorate die Potenziale dieser Stoffe identifiziert und im Gespräch mit Literaturagent*innen vermehrt danach gefragt. Inzwischen haben sehr viele Agenturen mit unterhaltenden Portfolios New-Adult-Autor*innen unter Vertrag – viele davon mit entsprechender Social-Media-Reichweite. Das Angebot an Manuskripten ist nach wie vor groß. Und natürlich halten wir auch selbst die Augen auf, was auf Social Media in dieser Richtung passiert.
Wie geht der stationäre Buchhandel in seinem Angebot auf diesen Bereich ein? Hat sich New Adult auch dort etabliert?
Mittlerweile haben sowohl die Filialisten als auch kleine und mittlere Buchhandlungen das verkäuferische Potenzial dieses Genres erkannt und Regale, Tische oder manchmal sogar ganze Abteilungen eingerichtet, die sich dem Thema New Adult widmen.
Und über die Lautsprecher laufen dann die Songs der Playlists, die man in den Buchklappen findet?
Warum nicht? Schließlich geht es um Emotionen und das Lebensgefühl einer Generation, die sich auch in der Musik zum Beispiel einer Billie Eilish oder anderen wiederfindet. Solche Soundtracks zum Buch sind übrigens keine Erfindung des New-Adult-Genres – man denke nur an Nick Hornbys Roman »High Fidelity«. Nur funktionieren sie heutzutage viel besser, weil man sie einfach über sein Mobilgerät streamen kann.
Bei Horaz heißt es, dass die Literatur entweder nützlich oder unterhaltsam oder auch beides sein kann. New Adult ist eher Unterhaltung, oder?
Das New-Adult-Genre erhebt nicht den Anspruch, hohe Literatur sein zu wollen. Für seine Leserschaft leistet es aber einen wichtigen Dienst auf inhaltlicher Ebene: In den Büchern spielen Aspekte eine Rolle, über die in der Gesellschaft häufig noch zu wenig gesprochen wird und vor denen man auch im klassischen Liebesroman lange Zeit zurückgeschreckt ist. Eine große Qualität der Autor*innen besteht darin, dass sie sich nicht scheuen, Tabus zu brechen und offen über Themen wie sexuelle Gewalt, Krankheiten, mentale Gesundheit, Essstörungen oder Suizidgedanken zu schreiben. Verpackt in Liebesgeschichten erleben die Leser*innen die volle Bandbreite an Hochs und Tiefs, an Emotionen und Zweifeln und Ängsten. Deshalb werden auch häufig sogenannte »Triggerwarnungen« vorangestellt und im Nachwort durch Hotlines für Betroffene ergänzt. Insofern sehe ich neben der Unterhaltung, um die es primär natürlich geht, auch einen wichtigen Nutzen für die Leser*innen.
Interview: Markus Desaga