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Wenn die Autorin zur besten Freundin ihrer Zielgruppe wird

Laura Lichtenwalter

Ein Interview mit Laura Lichtenwalter, Belletristik-Lektorin im Penguin Verlag, über den Trend der New-Adult-Bücher

Tramountani

Ob nervenaufreibender Thriller, Fantasy oder Liebesdrama: Gute Unterhaltungsliteratur nimmt uns mit auf eine Reise, in die Vergangenheit oder Zukunft, in andere Länder oder in die Köpfe spannender Figuren. Laura Lichtenwalter ist Lektorin im Penguin Verlag und entdeckt regelmäßig neue Stimmen und fesselnde Stoffe für die Fans guter Unterhaltung. Besonders intensiv beschäftigt sie sich mit dem Genre „New Adult“, inzwischen eine feste Größe im belletristischen Programm des Verlags. Im Interview erklärt sie uns, was einen Roman zum New-Adult-Roman macht,  wie Verlage an diese Stoffe kommen und dass Unterhaltung und ernste Themen sich nicht ausschließen müssen.

Nena Tramountani

Laura, du bist jetzt seit mehr als vier Jahren als Lektorin im Bereich Penguin Belletristik für unterhaltende Stoffe verantwortlich. Wie kam es dazu? Und was hast Du gemacht, bevor du zur Expertin für New-Adult-Romane wurdest?

Ich habe zunächst Buchwissenschaft in Mainz und München studiert und bekam dann nach einem Volontariat im Belletristik-Lektorat bei Droemer Knaur die Chance, Junior-Lektorin und später Lektorin beim Penguin Verlag zu werden. Das Genre New Adult war zu diesem Zeitpunkt noch recht neu. Ich hielt es für zukunftsträchtig und wollte es gerne als feste und erfolgreiche Größe im Programm etablieren. Das ist uns dann mit meinen Akquisen der Romane von Nena Tramountani und Ayla Dade auch gelungen. Als Lektorin in der kommerziellen Unterhaltung bin ich aber nicht nur auf dieses eine Genre festgelegt, sondern betreue noch viele weitere.

 

Heute wollen wir über New-Adult-Bücher sprechen. Was versteht man darunter?

New Adult bezeichnet ein eigenes Genre innerhalb des Liebesroman-Genres. Die Kernzielgruppe ist mit ca. 16 bis 30 Jahren aber jünger als die klassische Käuferschaft in diesem Bereich.  Es gibt eindeutige Merkmale, wie Optik und Aufmachung der Bücher oder der inhaltliche Rahmen. Außerdem erscheinen meistens Reihen mit mehreren Bänden, die in der Titelformulierung an den Vorgängerband anknüpfen. Und das eng getaktet im Abstand weniger Monate.

Weil man auf den Sog setzt, den man von den Streaming-Serien kennt?

Ganz genau, die Zielgruppe möchte immer wieder neu eintauchen in die Welt des Vorgängerbandes. Aber mit anderen Protagonisten und eigenständiger Handlung. So können die Bände auch unabhängig voneinander gelesen werden.

Welche inhaltlichen Gemeinsamkeiten gibt es?

Die Handlung ist häufig in einem studentischen Umfeld angesiedelt, die Figuren sind somit im Alter der Zielgruppe. Meist spielen die Geschichten im englischsprachigen Ausland. Beliebte Schauplätze sind große Metropolen und Universitätsstädte wie London oder New York. In der Regel steht pro Band ein Pärchen im Vordergrund, manchmal wird die Geschichte eines Paares auch über mehrere Bände erzählt. Die Protagonist*innen haben gerne kreative Hobbys oder Interessen, die bei der Zielgruppe beliebt oder im Trend sind. Das können etwa Modedesign, Schmuckherstellung, kreatives Schauspiel oder Zeichnen sein, wie z. B. in der Soho-Love-Reihe von Nena Tramountani, die im letzten Jahr erschien.

»Auf eine ästhetische Ausstattung legen wir großen Wert.«

Tramountani

Erkennt man die Bücher, wenn man in eine Buchhandlung kommt?

Ja, auf jeden Fall. Die Cover der New-Adult-Romane unterscheiden sich sehr klar von denen anderer Genres: Ästhetik und ein haptisches Erlebnis spielen hier eine sehr große Rolle, verwendet werden überwiegend Pastelltöne und eine aufwendige Veredelung der Schrift mit Glitzereffekten. Außerdem sind die aufeinander bezogenen Titelformulierungen innerhalb der Reihen und das Zusammenspiel von Druckbuchstaben und Schreibschrift ein wichtiges Erkennungsmerkmal.

In der Penguin Random House Verlagsgruppe haben wir bereits vor einem Jahr verlagsübergreifende Werbematerialien für die New-Adult-Romane unseres Hauses kreiert, dieses Key Visual kann universell im Genre New Adult eingesetzt werden. Plakate, Lesezeichen, Postkarten und auch unsere digitalen Werbepakete haben diesen wiedererkennbaren Look. Der Buchhandel greift das gerne auf, vor allem weil die Materialien themenbezogen und nicht nur titelspezifisch eingesetzt werden können.

Die Kernzielgruppe der 16 bis 30jährigen hast Du bereits genannt. Wie sieht es mit älteren Leser*innen aus?

Wir nehmen für das New-Adult-Genre neben der sehr jungen Kernzielgruppe durchaus auch noch eine zweite, ältere in den Blick. Die attraktiv gestalteten, teilweise glitzernden Cover sind schließlich nicht nur für Jüngere ein Hingucker. Außerdem glauben wir, dass es auch für ältere Buchkäufer*innen reizvoll sein kann, der eigenen Lebensrealität für ein paar Stunden zu entfliehen und in ein studentisches Milieu einzutauchen, dem sie womöglich selbst einmal angehörten.

Nach meiner Beobachtung erreichten früher bei der Fülle an klassischen Liebesromanen nur sehr wenige der Autor*innen einen gewissen Prominentenstatus. Das scheint bei New Adult anders zu sein, richtig?

In gewisser Weise ja. Das ist auch eine Besonderheit dieses Untergenres. Die New-Adult-Autor*innen sind jetzt nicht im engeren Sinne prominent, aber sie treten als Person für ihr Publikum in Erscheinung. Gerade war Nena Tramountani bei uns im Haus, um Exemplare ihres neuen Buchs zu signieren. Sie ist über ihre Social-Media-Kanäle, vor allem Instagram und TikTok, bestens mit ihrer Zielgruppe vernetzt, kommuniziert offen mit ihren Fans und weiß um die Bedürfnisse ihrer Generation. Die Themen ihrer Bücher sind auch ihre eigenen. Nena spricht offen die schwierigen Phasen ihres Lebens an und verarbeitet das in ihren Büchern. Das ist typisch für den deutschen Markt in diesem Genre, der überwiegend von deutschen Autorinnen unter 40 Jahren bespielt wird. Die Autorinnen haben eine hohe Glaubwürdigkeit und werden in gewisser Weise zur guten Freundin ihrer Zielgruppe.

»Mittlerweile haben sowohl die Filialisten als auch kleine und mittlere Buchhandlungen das verkäuferische Potenzial dieses Genres erkannt.«

Ayla Dade

Wie hat sich dieses Genre in den letzten Jahren entwickelt, gibt es da Vorbilder?

Das Genre entwickelt sich ständig weiter, während die Zielgruppe die gleiche bleibt. Im Grunde entsprach bereits die AFTER-Reihe von Anna Todd den New-Adult-Kriterien, noch bevor es überhaupt den Begriff dafür gab. Zu den New-Adult-Autorinnen der ersten Stunde gehören aus meiner Sicht Mona Kasten, Laura Kneidl und Bianca Iosivoni. Seither wächst das Genre und ist von der SPIEGEL-Bestsellerliste nicht mehr wegzudenken.

New Adult verändert sich aktuell auch in Bezug auf das Setting und die verhandelten Themen. Statt internationaler Metropolen finden sich in den neueren Reihen mehr idyllischere Schauplätze und Kleinstädte, wie z.B. in Ayla Dades Winter-Dreams-Reihe, die im amerikanischen Wintersportparadies Aspen verortet ist. Oder nehmen wir Nena Tramountanis aktuelle Hungry-Hearts-Reihe, in der alle drei Bände in einem Sternerestaurant in einer Kleinstadt an der englischen Küste spielen.

Optisch ist das Genre nach wie vor stark von hellen, pastellfarbenen Covern dominiert, wobei auch hier erste Veränderungen sichtbar werden. Mit der Coveroptik der Hungry-Hearts-Reihe setzen wir beispielsweise auf eine etwas schlichtere Optik mit Trockenblumen im Motiv und Naturpapier für das haptische Erlebnis.

Welche Rolle spielt das Thema Diversity in den Romanen?

Den Autor*innen ist es wichtig, die gesamte Realität abzubilden. Beziehungen innerhalb der LGBTQ+-Community, People of Colour oder Menschen mit Behinderung – all das gehört zum Leben allgemein und auch zum Uni-Leben dazu und spielt deswegen auch eine große Rolle in New-Adult-Romanen.

Wie kommst du als Lektorin an Stoffe und Autorinnen für dieses Genre? Gibt es da einschlägige Agenturen oder sprecht ihr gezielt Autorinnen an, deren Aktivitäten ihr auf Social-Media-Kanälen wie Instagram verfolgt?

Als das Genre New Adult vor einigen Jahren relevanter wurde, haben die Lektorate die Potenziale dieser Stoffe identifiziert und im Gespräch mit Literaturagent*innen vermehrt danach gefragt. Inzwischen haben sehr viele Agenturen mit unterhaltenden Portfolios New-Adult-Autor*innen unter Vertrag – viele davon mit entsprechender Social-Media-Reichweite. Das Angebot an Manuskripten ist nach wie vor groß. Und natürlich halten wir auch selbst die Augen auf, was auf Social Media in dieser Richtung passiert.

Wie geht der stationäre Buchhandel in seinem Angebot auf diesen Bereich ein? Hat sich New Adult auch dort etabliert?

Mittlerweile haben sowohl die Filialisten als auch kleine und mittlere Buchhandlungen das verkäuferische Potenzial dieses Genres erkannt und Regale, Tische oder manchmal sogar ganze Abteilungen eingerichtet, die sich dem Thema New Adult widmen.

Und über die Lautsprecher laufen dann die Songs der Playlists, die man in den Buchklappen findet?

Warum nicht? Schließlich geht es um Emotionen und das Lebensgefühl einer Generation, die sich auch in der Musik zum Beispiel einer Billie Eilish oder anderen wiederfindet. Solche Soundtracks zum Buch sind übrigens keine Erfindung des New-Adult-Genres – man denke nur an Nick Hornbys Roman »High Fidelity«. Nur funktionieren sie heutzutage viel besser, weil man sie einfach über sein Mobilgerät streamen kann.

Bei Horaz heißt es, dass die Literatur entweder nützlich oder unterhaltsam oder auch beides sein kann. New Adult ist eher Unterhaltung, oder?

Das New-Adult-Genre erhebt nicht den Anspruch, hohe Literatur sein zu wollen. Für seine Leserschaft leistet es aber einen wichtigen Dienst auf inhaltlicher Ebene: In den Büchern spielen Aspekte eine Rolle, über die in der Gesellschaft häufig noch zu wenig gesprochen wird und vor denen man auch im klassischen Liebesroman lange Zeit zurückgeschreckt ist. Eine große Qualität der Autor*innen besteht darin, dass sie sich nicht scheuen, Tabus zu brechen und offen über Themen wie sexuelle Gewalt, Krankheiten, mentale Gesundheit, Essstörungen oder Suizidgedanken zu schreiben. Verpackt in Liebesgeschichten erleben die Leser*innen die volle Bandbreite an Hochs und Tiefs, an Emotionen und Zweifeln und Ängsten. Deshalb werden auch häufig sogenannte »Triggerwarnungen« vorangestellt und im Nachwort durch Hotlines für Betroffene ergänzt. Insofern sehe ich neben der Unterhaltung, um die es primär natürlich geht, auch einen wichtigen Nutzen für die Leser*innen.

 

Interview: Markus Desaga

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