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Vom schönen Kunstbuch zur Kunst der schönen Bücher

Christian Rieker

Interview mit Christian Rieker zum 100. Geburtstag des Prestel Verlags

100 Jahre Prestel

Der Prestel Verlag feiert seinen 100. Geburtstag. Am 18. Juli 1924 wurde die Prestel-Verlags-GmbH ins Handelsregister zu Frankfurt am Main eingetragen. Am Anfang standen ausgewählte, aufwändig hergestellte Mappenwerke mit faksimilierten Zeichnungen alter Meister auf dem Programm. Und heute? Der Blick in die aktuellen Vorschauen zeigt eine große Vielfalt von Themen und Formaten: Neben einem deutschsprachigen Programm gibt Prestel erfolgreich ein internationales, englischsprachiges Buchprogramm heraus und vertreibt dieses über ein weltweites Vertriebsnetz bis nach Portugal, Japan, Australien oder Kanada. Die Prestel-Verlags-GmbH gibt es heute nicht mehr. Nach einer von Umbrüchen und verlegerischen Erfolgen, von Turbulenzen und Höhenflügen geprägten Zeit wurde Prestel 2008 von der damaligen Verlagsgruppe Random House übernommen. Über die wechselvolle Geschichte eines besonderen Verlags, seine Rolle als Unikat in einer Verlagsgruppe und die Ideen für die Zukunft haben wir mit Verlagsleiter Christian Rieker gesprochen.

Christian, du bist 2009 Verlagsleiter bei Prestel geworden. Wie kam es dazu?

Ich war damals Geschäftsführer eines auf Bildbände spezialisierten Verlages, der ebenso wie Prestel Ausstellungskataloge veröffentlichte. Sowohl die internationale Aufstellung als auch das Umfeld in der größten Verlagsgruppe Deutschlands haben mich bei Prestel sofort begeistert. Ich wusste, so ein Angebot kommt nicht oft daher und habe recht spontan zugesagt.

Welchen Verlag hast du vorgefunden und was hast du zusammen mit dem Verlagsteam im Laufe der Jahre verändert?

Prestel war damals in einer typischen Übergangsphase. Bei der Verlagsgruppe als neuer Eigentümerin wurde die erste Euphorie über das wunderschöne Prestel-Programm zunehmend von kritischen Fragen nach Rentabilität, Standardisierung und Verkäuflichkeit abgelöst. Und bei den Prestel-Kollegen wich die Begeisterung über die Potenz des neuen Eigentümers langsam der Erkenntnis, dass es mit der reinen Fokussierung auf Kunst-Themen perspektivisch so nicht weitergehen würde. Heute, mit Blick auf den geschrumpften Kunstbuchmarkt, bin ich froh, dass wir damals damit begonnen haben, unser Spektrum hin zu sorgfältig ausgewählten Mode-, Foto- und Lifestylethemen zu erweitern.

Die Programme von Prestel unterscheiden sich schon sehr von denen der übrigen Verlage im Haus. Ein reiner Bildband-Verlag aber mit breitem thematischem Spektrum. Außerdem ein deutsch- und ein englischsprachiges Programm. Wie fügt sich das ein in die Penguin Random House Familie?

Positiv gesehen: Wir haben mit unserem programmatischen Profil und unserer DNA als international agierender Verlag tatsächlich eine echte Alleinstellung in der Familie. Das macht Spaß und wir sind im Team auch alle ein wenig stolz auf das, was wir hier jeden Tag tun.

Andererseits wäre es aber geschönt, zu behaupten, dass sich immer alles ganz wunderbar zusammengefügt hätte. Seien wir ehrlich: Viel mehr Komplexität als bei Prestel mit seiner Programm- und Format-, aber auch Kundenvielfalt ist in einem Buchverlag kaum denkbar. Das macht die Arbeit für die zentralen Abteilungen sehr viel kleinteiliger. Dazu kommt das internationale Geschäft, das organisatorisch im Haus abgebildet werden musste. Dank des enorm engagierten Prestel-Kernteams, aber auch der zentralen Abteilungen und der Geschäftsführung hier im Haus, die für die spezifischen Belange des Prestel-Programms immer ein offenes Ohr haben, konnte sich unser Verlag seit nunmehr 16 Jahren erfolgreich behaupten und weiterentwickeln.

Weil du das internationale Geschäft erwähnst: Die Verlagsgruppe verlegt und verkauft deutschsprachige Titel in einem deutschsprachigen Markt. Nur Prestel bildet hier eine Ausnahme. Wie baut man ein internationales Vertriebsnetz auf, dass von München aus gesteuert wird?

Richtig, Prestel vertreibt sein englischsprachiges Programm weltweit. Unsere Vertriebspartner werden dabei durch das Team unserer in London ansässigen Tochtergesellschaft Prestel Ltd. gesteuert. Aber es geht nicht nur um den Vertrieb. In unseren Büros in London und New York arbeiten auch Lektor*innen, die sich verstärkt um die international gängigen Themen kümmern und eng mit unseren Münchner Programm-Teams zusammenarbeiten.

Reinhart Raffalt Concerto Romano

Kochbücher, Kinderbücher, Fotobände zu Mode-, Musik- und Naturthemen, aber auch Reisebücher und natürlich Kunstbände und Ausstellungskataloge renommierter Museen habt ihr im Programm. Seit wann hat Prestel ein derartiges Themenspektrum? Wo liegen eure Schwerpunkte, beziehungsweise wo werden neue Marktpotenziale erst allmählich erschlossen?

Wie eingangs erwähnt: Dass wir uns thematisch breiter aufstellen müssen und dürfen, wurde allen Beteiligten nach dem Erwerb durch Random House 2008 recht schnell klar. Der Verlag hatte übrigens schon Mitte der 50er-Jahre mit den damaligen Prestel-Landschaftsbüchern wie der fünfbändigen Reihe über Rom von Reinhard Raffalt den Grundstein für ein erfolgreiches, illustriertes Buchprogramm jenseits von Kunst, Design und Architektur gelegt. Es lag daher nahe, neben dem etablierten Kunstbuchprogramm auch ausgewählte populäre Fotobildbände, Modetitel, erste Kochbücher und zum Beispiel auch Fotografie-Ratgeber ins Programm zu nehmen.

Da spielte der eingeführte Verlagsname vermutlich auch eine wichtige Rolle?

Auf jeden Fall. Bei diesen Themen konnten und können kunstaffine und ästhetisch versierte Käufer*innen und Buchhändler*innen darauf setzen, dass das bekannte hohe inhaltliche und gestalterische Niveau der Prestel-Kunstbücher auf neue Formate übertragen wird. Nehmen wir zum Beispiel Prestel Junior: Ursprünglich in den 90ern als Erweiterung des Kunstbuchprogrammes um Kinderbücher konzipiert, entwickelte es sich über Mitmach- und Bilderbücher, Kunst-Comics und Pop-ups zu einem der erfolgreichsten deutschsprachigen Programme für kunstvoll und hochwertig illustrierte Kinder-Sachbücher.

Mittlerweile glaube ich, dass es nahezu keine Themen mehr gibt, denen wir uns bei Prestel nicht inhaltlich zuwenden dürfen. Solange – und das ist entscheidend – die Bücher und ihre Bebilderung etwas Besonderes sind und unseren hohen ästhetischen und qualitativen Ansprüchen genügen. Über diese Ansprüche haben wir im Prestel-Team übrigens ein sehr präzises gemeinsames Verständnis, was die Entwicklung und Vermarktung des Programms natürlich immens erleichtert. Der Trend ging in den letzten 15 Jahren vom schönen Kunstbuch zur Kunst der schönen Bücher.

Local Legends. The Hidden Pubs of London

E-Books finden sich eher nicht bei Prestel. Nachvollziehbar, setzen doch Prestel-Bücher ganz klassisch auf Inhalt inklusive haptischem Erlebnis. Ist das in Zeiten bildstarker Social-Media-Kanäle ein Fehler oder eine vernünftige Strategie?

In der Tat, E-Books spielen bei uns praktisch keine Rolle. Für unsere Kunden ist jedes Prestel-Buch ein haptisches und sensorisches Erlebnis. Das Gefühl, ein hochwertig produziertes Buch mit erlesenem Papier und veredeltem Einband in den Händen zu haben, der besondere Papier- und Farbgeruch, das unverwechselbare Geräusch beim Blättern und ein perfektes Seitenlayout – all das wird sich digital niemals übersetzen lassen. Viele unserer Bücher sind herausragende Coffee-Table-Objekte, die so manchen Tisch und manches Regal dekorativ schmücken.

Zeigt sich der Markt für anspruchsvolle Bildbände konstant? Wie siehst du die Zukunft für Prestel?

Der Markt, oder besser: die stabilen Verkaufszahlen unserer Bücher bestätigen uns in unserer Strategie. Die Corona-Jahre waren für Prestel übrigens die erfolgreichsten der jüngeren Verlagsgeschichte.

Warum?

Weil unsere Buchkäufer*innen damals in so vielen Lebensbereichen auf digitale Sinnesreize zurückgeworfen waren. Spätestens zu Ostern, Weihnachten oder einem Geburtstag wollten sie sich und ihren Liebsten ein Geschenk machen, das sich mit allen Sinnen erfahren und bewahren lässt. Da ich glaube, dass sich diese Bedürfniswelt unserer Kund*innen so bald nicht ändern wird, ist mir um die Zukunft von Prestel überhaupt nicht bange.

Caspar David Friedrich, Unendliche Landschaften

Seit vielen Jahren sind Ausstellungskataloge ein fester Bestandteil des Prestel Programms. Welche Ausstellungen sollten wir uns dieses Jahr nicht entgehen lassen?  

Dieses Jahr feiert Caspar David Friedrich seinen 250. Geburtstag, was nicht nur in der Kunstwelt einen wahren Hype rund um den großen Maler der Romantik ausgelöst hat. Er wird in Deutschland mit einer Reihe von spektakulären Ausstellungen geehrt, gerade wurde unter großer medialer Aufmerksamkeit »Caspar David Friedrich – Unendliche Landschaften« in der Alten Nationalgalerie Berlin eröffnet. Eine Reise nach Wien lohnt sich auch ganz besonders, hier zeigt die Albertina eine umfassende Roy Lichtenstein Retrospektive, mit zahlreichen Leihgaben internationaler Museen, ein echtes Muss für alle Fans der Pop-Art. Und ein Besuch im Barbarini Museum in Potsdam ist ja quasi auch ein Muss, hier kann man ab Mai »Modigliani - Moderne Blicke« bewundern.

Roy Lichtenstein

Das diesjährige Verlagsjubiläum wird vielfältig gefeiert. Was sind eure Pläne und Aktionen für die kommenden Monate?

Für den Handel bieten wir eigens fürs Jubiläum gestaltete Werbemittel an, Plakate, Lesezeichen und hochwertige Papiertaschen. Mit dem Buchhandel und den Museumsshops veranstalten wir einen Schaufenster-Dekowettbewerb. Die Gewinner laden wir ins Barberini Museum Potsdam zu einer exklusiven Kuratorenführung ein und zu einem einmaligen Blick hinter die Kulissen mit der Direktorin des Museums. Außerdem gibt es attraktive Buchpakete zu gewinnen. Mit einzelnen Händlern sind wir im Gespräch, um sowohl Aktionen am POS zu planen als auch unseren Jubiläumsauftritt online fortzusetzen. Wir werden das Jubiläum natürlich auch auf unseren Social-Media-Kanälen mit Verlosungsaktionen für unsere Follower feiern.

Zu den Wiesen

 

Was sind deine persönlichen Highlights des Jahres?

Wo soll ich da nur anfangen in diesem Jubiläumsjahr mit so vielen Programm-Höhepunkten? Vielleicht bei »Zu den Wiesen«, dem hinreißenden Gartenporträt von Krautkopf, von dem wir gerade einmal vier Wochen nach Erscheinen den zweiten Nachdruck vorbereiten. Oder bei »Colorful«, dem sehr persönlichen Vermächtnis der kürzlich verstorbenen Mode-Ikone Iris Apfel. Ein wahres Schmuckstück ist natürlich auch unser Katalog zur bereits erwähnten Caspar David-Friedrich-Retrospektive. Und ich freue mich sehr, wenn ich endlich im Oktober die schon lange angekündigte Bild-Autobiografie der »Queen of less« Jil Sander frisch aus der Druckerei in meinen Händen halten darf!

Interview: Markus Desaga

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