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Mit Dörte Hansen im Kino, Walter Kempowski in den USA und Sebastian Haffner in Kalkutta

Gesche Wendebourg

Gesche Wendebourg, Leiterin Lizenzen, über Entwicklungen im Lizenzgeschäft und die Suche der Verlage nach den „hidden gems“

Ihre Abteilung bringt die Romane von Dörte Hansen ins Kino und verkauft Klassiker wie die von Walter Kempowski oder Sebastian Haffner in die USA oder nach Indien. Gesche Wendebourg über Entwicklungen im Lizenzgeschäft und die Suche der Verlage weltweit nach den „hidden gems“.

Gesche, was leistet eine Lizenzabteilung innerhalb eines Buchverlags?

Die kurze Antwort darauf lautet: Lizenzabteilungen verkaufen Buchrechte, die der Originalverlag nicht selbst verwertet, an Dritte.

Und wie lautet die ausführliche?

Andere Firmen dürfen Taschenbuch- bzw. Audio-Ausgaben, Bühnenfassungen, Verfilmungen oder Übersetzungen eines bestimmten Titels herstellen und vertreiben, wenn sie mit uns darüber einen entsprechenden Lizenzvertrag abgeschlossen haben. Das können Verlage im In- und Ausland, Produktionsfirmen oder Theater sein.

Wir sorgen dafür, dass die Geschichten unserer Autor*innen ihren Weg in die weite Welt, auf die große Leinwand oder auf die Theaterbühnen finden. Ihre Stoffe sollen international gelesen, gehört und gesehen werden. Spezialisierte Rights Managerinnen arbeiten dafür in den Ressorts Ausland, Inland, Audio, Film, Theater und Abdruckrechte. Unsere Schwerpunkte liegen auf dem Verkauf von Übersetzungsrechten, Audio- und Inlandslizenzen und dem in letzter Zeit sehr dynamischen Filmrechte-Segment.

Der Reiz unserer Arbeit liegt in seiner Vielfalt. Egal, ob es um die Übersetzungsrechte eines Lyrik-Bandes geht oder um eine Netflix-Serie, die auf einem unserer Bücher basiert: Manchmal erzielen wir Abschlüsse, mit denen wir die von den Lektoraten geleistete Vorauszahlung schon vor Erscheinen des Originals einspielen können. Es geht aber auch darum, die Werke unserer Autor*innen sichtbar zu machen und damit zu kultureller Verständigung beizutragen.

Griechische Ausgabe von Walter Kempowski, "Alles umsonst"

Hat sich das Lizenzgeschäft im Laufe der Jahre verändert?

Der Haupttreiber von Veränderungen ist – wie eigentlich überall – die Digitalisierung. Sie hat unsere Arbeit enorm beschleunigt. Früher dauerte es Monate, bis ein fertig verhandelter Vertrag von allen Parteien unterschrieben war. Da hat man den Papiervertrag schon mal um die halbe Welt geschickt, bis alle Unterschriften beisammen waren. Dank E-Signaturen benötigt man dafür inzwischen nur noch wenige Minuten. Und die Masse an angebotenen Stoffen hat sich deutlich erhöht. Ein amerikanischer Lektor erzählte mir kürzlich, dass er manchmal bis zu 200 neue Proposals am Tag in seinem Postfach hat. Da muss er schon sehr schnell die Spreu vom Weizen trennen, um bei heiß gehandelten Inhalten mitbieten zu können. Wir wiederum müssen noch gezielter und inhaltsfokussierter als früher unsere Stoffangebote mit relevanten Informationen anreichern, um aus der Masse hervorzustechen.

Interessieren sich eure Lizenzpartner ausschließlich für das aktuelle Programm? Oder bietet ihr auch Backlist-Titel an?

Seit einiger Zeit konzentrieren sich die Verlage nicht mehr nur auf unsere Neuerscheinungen, sondern fragen uns immer wieder nach unseren »hidden gems«. Für Walter Kempowskis Bücher zum Beispiel (der Autor ist 2007 gestorben) können wir tatsächlich jedes Jahr Verlage in weiteren Ländern begeistern. Diese Woche traf die Nachricht bei uns ein, dass die niederländische Ausgabe von »Haben Sie Hitler gesehen?« auf der Bestsellerliste eingestiegen ist. So etwas freut uns natürlich ganz besonders. Auch in den anderen Lizenzbereichen spielt für uns unsere Backlist eine wichtige Rolle. Ein Dauerbrenner für die Theater ist »Warum das Kind in der Polenta kocht« von Aglaja Veteranyi. Das Buch erschien vor über 20 Jahren und die Autorin ist seit langem verstorben. Von zahlreichen älteren Titeln, wie die von Nora Roberts oder Cassandra Clare verkaufen wir Inlandslizenzen mit zum Teil sehr hochwertig ausgestatteten Sonderausgaben, oder »Die Kinder-Uni«-Reihe als Sammelband.

Indische Ausgabe von "Das geheime Leben der Bäume"

Die Auslandsrechte machen den Großteil eurer Lizenzumsätze aus. War das schon immer so?

Bei uns ist in den letzten Jahren der Anteil der Auslandslizenzen, sowohl nach Umsätzen als auch nach Anzahl der Vertragsabschlüsse, kontinuierlich gestiegen. Wir profitieren davon, dass wir sehr viele Genres im Portfolio haben. Es gibt im Ausland unglaublich viele potenzielle Lizenznehmer, vom etablierten Verlagshaus bis zu Neugründungen und Independents. Wir können fast jeden neuen Trend bedienen, entweder aus unseren Neuerscheinungen oder unserer Backlist und setzen manchmal sogar neue Trends.

Zum Beispiel?

Seit Jahren treffe ich mich auf jeder Buchmesse mit dem Verleger eines nordamerikanischen Verlags. Er schätzte unsere Programme immer, hat aber nie ein Angebot gemacht. Bis ich ihm irgendwann Peter Wohllebens »Das geheime Leben der Bäume« vorstellte, noch bevor das Buch hier erfolgreich war. Er war sofort begeistert, nahm den Titel ins Programm, und schon bald nach Erscheinen stieg die kanadische Ausgabe unter die ersten 10 der New-York-Times-Bestsellerliste ein. Das haben bisher nur sehr wenige deutsche Bücher geschafft »Das geheime Leben der Bäume« wurde in vielen Ländern zum Bestseller. Der Funke sprang über und die Nachfrage nach Titeln mit vergleichbaren Themen stieg. So konnten wir für Elli Radingers Bücher über Wölfe und Hunde oder Frauke Bagusches »Das Blaue Wunder« schöne Auslandsabschlüsse erzielen.

Werbeplakat Pariser Metro zu Tuchvilla

Ähnlich erfolgreich ist Anne Jacobs‘ »Tuchvilla«-Saga. Das Genre der Familien-Sagas hat in Ländern wie Holland oder Frankreich bis vor etwa fünf Jahren nicht besonders gut funktioniert, doch plötzlich kam der Durchbruch. Jetzt hängen große Werbeplakate für die »Tuchvilla«-Serie in der Pariser Métro. Das musste ich natürlich gleich fotografieren, als ich kürzlich dort war. 

Welchen Stellenwert haben die anderen Lizenzbereiche?

Für uns hat das Geschäft mit den Inlandslizenzen nach wie vor große Bedeutung, neben den unterschiedlichen Sonderausgaben spielen ja auch die Audio-Rechte eine wichtige Rolle, sofern wir sie nicht selbst verwerten. Nicht zu unterschätzen sind die Kleinlizenzen: Wir stellen im Jahr ungefähr 1.000 Genehmigungen für die Nutzung von Textausschnitten zum Beispiel für Kalender aus. Für die Sichtbarkeit der Werke unserer Autor*innen ist das ein wichtiger Baustein.

Autor*innen wollen gelesen bzw. gehört werden. Wie geht man mit den Erwartungshaltungen in Bezug auf Lizenzabschlüsse für einzelne Titel um?

Die Autor*innen freuen sich meistens sehr über Lizenzabschlüsse, vor allem über unerwartete. Für uns sind osteuropäische Länder, z.B., Tschechien, oder asiatische wie Korea wichtige Märkte, das ist für die meisten erst einmal überraschend. Zum Traum vieler deutschsprachiger Autor*innen gehört die englische Ausgabe ihres Buches, doch nur 3% aller in den USA erscheinenden Bücher sind Übersetzungen aus anderen Sprachen. Umso schöner ist es, wenn es gelingt, einen englischsprachigen Verlag für ein Buch zu begeistern.

Kinoplakat "Mittagsstunde"

Und wenn es zu einer Verfilmung kommt: Wie viel Einfluss können Autor*innen bei der Verfilmung ihres Buchs nehmen?

Grundsätzlich sorgen wir dafür, dass unsere Autor*innen immer eng in die Verfilmungen ihrer Werke eingebunden werden. Wie weit das gehen soll, vereinbaren wir schriftlich mit den jeweiligen Produktionsfirmen. Manche lesen nur die Drehbuchfassungen, andere wollen oder müssen fachlich beraten und sind eng in Entwicklung und Dreh involviert. Wenn die Verfilmungen dann erfolgreich sind und die Autor*innen zufrieden mit dem Ergebnis, wissen wir, dass sich die vielen Abstimmungsrunden und das Warten gelohnt haben. So geht es uns gerade bei Bernhard Aichners »Totenfrau«, die als Miniserie sehr erfolgreich bei Netflix läuft (sogar unter den TOP 10 bei Netflix US), oder Dörte Hansens »Mittagsstunde« als Kinofilm, der hervorragende Besprechungen bekam und zum erfolgreichsten deutschsprachigen Arthouse-Film 2022 wurde.

Welchen Anteil an der aktuellen deutschsprachigen Buchproduktion haben ausländische Titel? Hat sich da etwas verändert in den letzten Jahren?

Hier hat der Börsenverein gerade die jährliche Statistik »Buch und Buchhandel in Zahlen« mit den Zahlen von 2022 veröffentlicht: 13,6% der Erstauflagen deutscher Verlage sind Übersetzungen. Diese Zahl ist seit zehn Jahren konstant. Davon sind 60% aus dem Englischen übersetzt, gefolgt von Japanisch (Stichwort Manga) und Französisch. Auch diese Verteilung hat sich in den letzten Jahren kaum verändert. Ein Großteil der Übersetzungen aus dem Englischen sind belletristische Titel. Da in Deutschland und einigen anderen nordeuropäischen Ländern vor allem die Altersgruppe der 15- bis 35-Jährigen zunehmend englische Bücher im Original liest, ändert sich das vermutlich bald. Dann wird es wohl mehr Übersetzungen aus anderen Sprachen geben.

ZDF; "Der Schatten"

In welchen der von dir genannten Bereiche siehst du die meisten Entwicklungspotentiale?

Im Filmbereich ist sehr viel in Bewegung, obwohl die Streaming-Dienste im Moment eher vorsichtig sind. Doch der Hunger nach spannenden Inhalten ist hier nach wie vor immens. Außerdem erholt sich das Kino langsam, und die Öffentlich-Rechtlichen realisieren mehr Buch-Verfilmungen, weil sie ihnen über ihre weiterentwickelten Mediatheken einen längeren Lebenszyklus bieten können. Das beobachten wir gerade zum Beispiel bei Melanie Raabes »Der Schatten« (ZDF Neo).

Gibt es Aspekte des Lizenzgeschäfts, die in der allgemeinen Wahrnehmung zu kurz kommen?

Ich glaube die meisten, die mit dem Lizenzgeschäft in Berührung kommen, wissen, wie viel Einsatz, Begeisterung und Beharrlichkeit notwendig sind, um Lizenzen zu verkaufen. Die Lizenznehmer – egal ob Produktionsfirma, Sonderausgaben-, Hörbuch- oder ausländischer Verlag – müssen absolut überzeugt vom Buchstoff und seinem Potenzial sein. Schließlich wollen sie ihn gewinnbringend vermarkten und zumindest kein Geld damit verlieren. Diese Beziehungen bauen sich über Jahre auf und sind erst dann belastbar, wenn beide Seiten auch lange nach Vertragsabschluss hinter ihren Entscheidungen stehen können.

Was war euer spektakulärster Abschluss in letzter Zeit?

Meiner Kollegin Sema Kara, die bei uns die Filmrechte verkauft, ist gerade eine ziemlich spektakuläre Auktion um die Rechte an Marc Elsbergs Bestseller »Celsius« gelungen. Wer den Zuschlag bekommen hat, dürfen wir allerdings noch nicht verraten. Nur so viel: Das hat Blockbuster-Potenzial!

Du triffst sehr viele Verlags-Menschen weltweit: Welche Begegnungen haben dich besonders nachhaltig beeindruckt?

Es gibt viele interessante, erfreuliche und bewegende Begegnungen in unserem Geschäft, die Frage ist also gar nicht so leicht zu beantworten. Viele Verlage, besonders aus Ländern, die unter Wirtschaftskrisen oder Krieg leiden, arbeiten unter härtesten Bedingungen. Es gibt weltweit eine große Solidarität mit ukrainischen Verlagen. Mit Einverständnis der Autor*innen haben wir schon einige Lizenzen honorarfrei dorthin vergeben. Vor einiger Zeit hat mir eine russische Verlegerin geschrieben, dass ihr Verlag, der Klassiker im Bereich Geisteswissenschaften veröffentlicht, mit dem Nachdrucken nicht hinterherkommt, aber die politische, logistische, finanzielle und emotionale Situation für sie und ihre Kolleg*innen immer unerträglicher wird. Die Leidenschaft, mit der sich diese Menschen für ihre Bücher einsetzen, oft in dem Wissen, dass sie in Schwierigkeiten geraten werden, beeindruckt mich zutiefst.

Sehr gerne erinnere ich mich auch an die besondere Begegnung auf der Frankfurter Buchmesse vor einigen Jahren mit einer Verlegerin aus Kalkutta, die von uns die Hindi-Rechte an Sebastian Haffners berühmt gewordenem Buch »Geschichte eines Deutschen« gekauft hatte. Es war ihre erste Übersetzung aus dem Deutschen. Sie brachte einen Beleg mit zu unserem Termin am Stand, es war eine wunderschöne Ausgabe in einem sehr aufwändigen von Hand gestalteten Schuber. Die Art, wie sie mir das Buch wie einen kostbaren Schatz überreichte, werde ich nie vergessen.

 

Interview: Markus Desaga

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