Sema, wenn man eine Buchhandlung betritt, hat man den Eindruck, immer mehr Serien dringen in die Welt der Bücher ein – oder ist es umgekehrt? Stimmt es eigentlich, dass immer mehr Buchstoffe verfilmt werden?
Sema Kara: Das ist definitiv so. Seitdem Serien auf unterschiedlichsten Streaming-Plattformen und Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender boomen, wird die Nachfrage nach verfilmbaren Stoffen immer größer. Manche Produktionsfirmen verfilmen mittlerweile schon zu 90 Prozent Buchvorlagen, denn Originalstoffe können diesen Bedarf an Content kaum mehr decken. Insgesamt basieren fast die Hälfte der Serienproduktionen auf Büchern. Das ist eine Entwicklung, die sich seit etwa fünf bis acht Jahren abzeichnet – und sie wurde maßgeblich von den Streaming-Anbietern befeuert.
Film- und Buchbranche waren sich schon immer nah, habe ich das Gefühl, schließlich gab es schon Ende des 19. Jahrhunderts die ersten Literaturverfilmungen. Aber im Laufe der Jahrzehnte wurden die Beziehungen immer enger. Die Berlinale z. B. hat mit »Books at Berlinale« Formate etabliert, auf denen Verlagsleute bzw. Literaturagent*innen ausgewählte Titel für Produktionsfirmen pitchen können. Auch Streamer streben vermehrt lokale Produktionen an, Netflix hat auf der ganzen Welt Büros, um zum Beispiel deutschsprachige Inhalte für die ganze Welt verfügbar machen. »Totenfrau«, der Thriller unseres österreichischen Autors Bernhard Aichner, startet 2022 auf Netflix. Das ist schon eine sehr interessante Entwicklung.
Was heißt das für das Filmlizenzgeschäft?
Produktionsfirmen greifen immer stärker auf bereits veröffentlichte Buchvorlagen zurück, seien es fiktionale oder non-fiktionale. Dabei achten sie sehr genau darauf, wie erfolgreich ein Buch zuvor war, das minimiert bei einer Filmproduktion das oft hohe finanzielle Risiko. Kernzielgruppe der Verfilmung sind die, die bereits Fan der Buchvorlage sind, man nennt das »built-in audience«. Bestes Beispiel sind die »Harry-Potter«-Verfilmungen, die auf dem Welterfolg der Bücher aufsetzten, »Unorthodox« von Deborah Feldman ist auch so ein Fall. Das Buch erschien 2017 und war bereits ein Bestseller, als es als Netflix-Serie verfilmt wurde. Wir haben dann die Lizenz fürs Taschenbuch erworben und brachten es zum Start mit dem Serien-Artwork heraus. Danach stieg der Titel nochmal auf der Bestsellerliste ein.
Was spricht aus Sicht der Serienproduzenten dafür, vermehrt auf Buchstoffe zu setzen?
Serien werden über längere Zeiträume konsumiert und haben gegenüber Spielfilmen den großen Vorteil, mehr Facetten einer Handlung oder eines Protagonisten nachbilden zu können, so wie in einem umfangreicheren Buch. Ein Spielfilm fokussiert sich auf einzelne Handlungsstränge oder Figuren. Außerdem spielt der Zeitfaktor eine große Rolle. Originalproduktionen brauchen ewig – manchmal über zehn Jahre – bis sie umgesetzt werden. Eine literarische Vorlage bietet da schon sehr viel: die Story, den recherchierten Stoff und die Figurenwelt. Da kann die Produktionsfirma sofort loslegen und sich ans Drehbuchs setzen.
Aber es gibt doch auch bei den Verfilmungen die Fans, die jede Änderung erkennen und alles in Frage stellen – ob jetzt bei »Bridgerton«, »Game of Thrones« oder »Harry Potter«. Auch da weichen die Verfilmungen teilweise extrem von der Buchvorlage ab.
Ich bin selbst »Harry Potter«-Fan. Für mich war das tatsächlich so – ich hatte mir das anders vorgestellt. Harry sah nicht so aus, wie er aussehen sollte in meinem Kopf. Und Hogwarts sah nicht so aus wie das, was ich mir vorgestellt hatte. Ich finde, als Leserin ist es wichtig, dass man da auf gewisse Art und Weise abstrahiert. Das, was ich mir als Verfilmung vorstelle, ist ja wirklich nur meine Lesart – und das, was ich vor mir sehe, ist eben das, was der Regisseur oder die Regisseurin gesehen und gelesen hat. Eine Verfilmung ist immer ein alleinstehendes schöpferisches Werk. Aber wir wollen natürlich, dass die Fanbase mit einer Verfilmung zufrieden ist, denn das macht sich in den Verkaufszahlen bemerkbar.