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»Anfangs waren wir damit beschäftigt, dieses Schiff so wasserfest und einladend wie möglich zu bauen. Jetzt geht es vor allem darum, Kurs zu halten.«

Regina Kammerer

Verlagsleiterin Regina Kammerer im Gespräch zum 100. Geburtstag des Luchterhand Literaturverlags

Am Anfang war eine Steuerkanzlei. So könnte die Geschichte des Luchterhand Verlags beginnen, dessen Gründung sich in diesem Jahr zum hundertsten Mal jährt. Hermann Luchterhand rief 1924 in Berlin den nach ihm benannten Fachverlag für Steuern und Recht ins Leben. Es war der Beginn einer wechselvollen Verlagsgeschichte. Schöngeistig wurde es aber erst dreißig Jahre später als das literarische Programm des Verlags mit klingenden Namen wie Yvan Goll, Alfred Andersch oder Charles Baudelaire entstand. Regina Kammerer leitet seit fast 20 Jahren den Verlag. Mit ihr sprechen wir über die Rolle des Verlags im Dritten Reich, die Bedeutung Luchterhands als Literaturverlag in der Nachkriegszeit und über das Verlegen von Literatur heute. 

Christa Wolf

Regina, der Luchterhand Literaturverlag wird in diesem Jahr 100 Jahre und blickt auf eine beeindruckende Verlagsgeschichte zurück. Du begleitest das Haus seit fast 20 Jahren als verantwortliche Verlagsleiterin. Was bedeutet der Verlag für Dich? 

Verpflichtung und Freude. Verpflichtung, das hohe Niveau des Luchterhand Verlages als eine der besten Adressen für große Literatur in Deutschland zu halten. Freude, gemeinsam mit meinem Lektorats-Team das zu tun, was schlichtweg beglückend ist: nach neuen aufregenden Stimmen Ausschau zu halten und ihnen eine Heimat zu geben – und gleichzeitig den langjährigen Autoren und Autorinnen das Gefühl einer unverbrüchlichen Verbundenheit. 

Christoph Hein

Bevor wir auf das heutige Verlagsprofil und das aktuelle Programm kommen, würde ich gerne noch einmal einen Blick auf zwei eher ambivalente Kapitel der Verlagsgeschichte werfen. Die DDR-Literatur, die bei Luchterhand seit den 60ern bis zum Fall der Mauer erschien, war weit gefasst. Unter den Autor*innen gab es nicht nur kritische Stimmen, sondern auch regimetreue wie die von Herrmann Kant. Wie bewertest Du aus heutiger Sicht die Rolle des Verlags in dieser Zeit? 

Ich finde, es steht mir nicht zu, das zu bewerten. Überhaupt habe ich es nicht so damit, mich zur Richterin aufzuschwingen. Luchterhand ist kein politischer Verlag, sondern ein literarischer, der Platz für verschiedene Perspektiven hat, auch heute noch. Wichtig ist doch, dass in jener Zeit die Tür zu einer anderen erzählerischen Tradition und Wirklichkeit aufgestoßen wurde. Das Who is Who der DDR-Literatur versammelte sich damals bei Luchterhand. Christa Wolf natürlich, aber auch Irmtraud Morgner, Maxie Wander, Christa Reinig oder Christoph Hein um nur einige zu nennen. Die entsprechenden Luchterhand-Bändchen stehen immer noch bei mir zu Hause in den Regalen.   

Es gab noch eine zweite Publikation, die sich kritisch mit der Verlagsgeschichte auseinandersetzte. Worum ging es da?

Du spielst auf die schwierige, nicht ganz eindeutige Rolle des Luchterhand Verlages im Dritten Reich an bzw. auf entsprechende Recherchen der taz. Wir haben damals sofort reagiert und eine unabhängige Studie an der Universität Leipzig in Auftrag gegeben. Dort entstand unter der Federführung von Professor Siegfried Lokatis eine kritische Aufarbeitung jener Zeit unter dem Titel »Luchterhand im Dritten Reich. Verlagsgeschichte im Prozess«. Es ist wichtig, sich der Vergangenheit zu stellen. Das halte ich für selbstverständlich. 

Luchterhand verstand sich immer als so genannter Autorenverlag. Was ist eigentlich genau damit gemeint? 

Tja. Gute Frage, denn an sich ist ja jeder Verlag daran interessiert, Autoren und Autorinnen an sich zu binden. Was damit gemeint ist, bezieht sich vielleicht deshalb eher auf die intellektuelle und literarische Komplizenschaft, die seit jeher bei Luchterhand einen wichtigen Bestandteil des Erfolges darstellt und Teil unseres Profils ist. Ich glaube an Geschichten, aber noch mehr glaube ich an die Stimme eines Autors oder einer Autorin. Wir bleiben ihnen im Idealfall treu, und sie uns, wir begleiten sie durch Höhen und Tiefen, befinden uns quasi in einer Art Dauergespräch mit ihnen – und meist lektorieren wir sie auch noch selbst. Dies ist der Kitt zwischen Verlag und AutorInnen, der nötig ist, damit die Verbindung hält. Und die AutorInnen sind es natürlich, die den Verlag tragen und seinen Nimbus begründen. 

Sasa Stanisic

Was war dein erstes Projekt, das du für Luchterhand gewinnen konntest?  

Also Tabellen führe ich nicht, und selbstverständlich akquirieren auch meine KollegInnen. Saša Stanišić und Karl Ove Knausgård waren sicherlich eine der ersten, die ich für den Verlag gewinnen konnte.

Gab es konkrete Themen, die ihr euch dann für die zukünftigen Programme vorgenommen habt? 

Nicht im herkömmlichen Sinne des Wortes. Als damals Georg Reuchlein und ich nach sehr unruhigen Zeiten übernahmen, wollten wir vor allem zwei Dinge: zum einen für Stabilität und Kontinuität sorgen – und zum anderen wieder attraktiv werden für junge Stimmen und große AutorInnen. Beides ist uns, wie ich glaube, gelungen. Worüber ich immer sehr froh war – man hat mir generell einen langen Atem gewährt, und ich bin froh, dass sich das unter Grusche Juncker fortsetzt.

Karl Ove Knausgard, Alles hat seine Zeit

Wie entwickelt man das literarische Profil eines Verlags? 

Ein Verlagsprofil im literarischen Bereich aufzubauen, braucht Zeit - und viel Geduld. AutorInnen sind sensible Wesen, sie kommen dann an Bord, wenn das Schiff stabil scheint und die Mitreisenden für Qualität zeugen. Heißt, anfangs waren wir damit beschäftigt, dieses Schiff so wasserfest und einladend wie möglich zu bauen. Jetzt geht es vor allem darum, Kurs zu halten.           

Du hast ein besonderes Faible für skandinavische Literatur. Schließlich ist es kein Zufall, dass eine deutsche Verlegerin den isländischen Falkenorden vom isländischen Präsidenten überreicht bekommt. Wie kam es zu dieser besonderen Vorliebe?

Wie erklärt man, was man liebt? Deutschland und der Norden, diese jahrhundertealte Verbindung, hat mich seit jeher fasziniert. Ich fahre seit Jahrzehnten in den Süden, vor allem nach Frankreich. Geschichten, von denen ich mich verstanden fühle, finde ich indes vor allem im Norden. Ein Widerspruch? Tja, das ist das Spannende am Verlegen: nicht alles ist logisch und bis ins Letzte begründbar.        

In einer der letzten Gespräche hier sprach ich mit Bianca Dombrowa über Upmarket und Genreliteratur. Die Unterscheidung zwischen U und E Literatur scheint mittlerweile auch in Deutschland überholt zu sein, dennoch bleiben ja gewisse Unterschiede zwischen den einzelnen Genres. Was macht gute Literatur für dich aus und würdest du einen Unterschied zu gut gemachter Literatur sehen?

Ich fürchte, dass die Unterscheidung nicht ganz so überholt ist, wie du andeutest. Ganz anders als in den angelsächsischen und skandinavischen Ländern übrigens, wo es für AutorInnen meiner Erfahrung nach nicht wirklich maßgeblich ist, was die „literarische Blase“ sagt. Mich selbst hat diese Unterscheidung noch nie interessiert. Ein gutes Buch ist ein gutes Buch. Und: Gute Literatur fordert, kann aber auch sehr unterhaltsam sein. Ein gut gemachtes Buch? Da passe ich. Das wäre mir zu technisch. Auch wenn ohne das richtige Handwerk nichts geht. Für mich gibt es das „Genre“ literarische Unterhaltung so nicht. Was es gibt, sind unterschiedliche Ansätze, die Welt zu beschreiben und mit ihr zu ringen.     

Ist es eigentlich noch zeitgemäß, eine Vision von einem Verlag zu entwickeln und jedes Halbjahr ein Programm zu komponieren? 

Eine Vision von einem Verlag sollte jede haben, die Programm macht und damit erfolgreich sein will. Ob das jedes Halbjahr sein muss oder jedes Vierteljahr oder im Jahrestakt? Ist alles eine Frage der Herangehensweise, das sehe ich vollkommen entspannt und unideologisch. Praktikabel sollte es sein.    

Auf welche Titel der kommenden Programme freust du dich besonders? 

Auf alle. Und auf ein paar ganz besonders, aber die verrate ich nicht.

Kannst Du etwas zur neu geplanten Reihe Luchterhand »new voices« sagen? 

Ach, ich sehe das eigentlich nicht als Reihe, sondern als wunderbare Ergänzung, um mit Formaten und zusätzlichen Zielgruppen zu spielen, in diesem Fall den jüngeren. Es gilt jedoch weiterhin: Wo Luchterhand draufsteht, ist auch Luchterhand drin. Und dann doch noch ein Tipp zum guten Schluss. Lest alle Johanna Hedmans „Das Trio“ – im neuen Format, aber für alle Altersklassen. Von 19 bis 99 … 

 

Interview: Markus Desaga

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