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»2.300 Tonnen weniger Papier pro Jahr sind kein Pappenstiel«

Barbara Scheuer und Mariam En Nazer

Ein Gespräch über ehrgeizige Klimaschutzziele und Nachhaltigkeit im Buchverlag

Bücher sind Ausdruck einer lebendigen Kultur in einer freiheitlich-demokratischen und vielfältigen Gesellschaft. Sie können Wissen, Informationen und Geschichten über Generationen hinweg speichern. Allein damit erfüllen sie sehr wichtige Kriterien der Nachhaltigkeit, zudem bestehen sie zu großen Teilen aus nachwachsenden Rohstoffen. Trotzdem werden Rohstoffe und Energie benötigt, um sie zu produzieren und für Leser*innen verfügbar zu machen. Die Penguin Random House Verlagsgruppe hat sich ehrgeizige Klimaschutzziele gesetzt und zu mehr Nachhaltigkeit über alle Arbeitsprozesse hinweg verpflichtet. Gesamtherstellungsleiterin und Umweltbeauftragte Barbara Scheuer sowie Mariam En Nazer, Production- and Sustainability Manager stellen sich dieser Herausforderung.

Unsere Verlagsgruppe hat ihre Klimaschutzziele bis 2030 definiert. Welche sind das konkret?

Barbara: Als Bertelsmann-Unternehmen haben wir uns Klimaneutralität bis 2030 zum Ziel gesetzt. Doch komplett CO2-frei Bücher zu produzieren ist unrealistisch. Es geht vielmehr darum, so viel CO2 wie möglich einzusparen, damit wir so wenig wie möglich kompensieren müssen.

Wo stehen wir momentan, was die CO2-Einsparung betrifft?

Barbara: Wir konnten zum Ende des vergangenen Jahres unseren CO2-Ausstoß pro Tonne produzierter Bücher um zwölf Prozent gegenüber 2018 senken. Nachhaltige Buchproduktion sollte sich aber nicht nur auf das Thema CO2-Emissionen fokussieren. Wir gehören zu den Unterzeichnern der Healthy Printing Charta, mit der wir uns verpflichten, Inhaltsstoffe und Materialien für unsere Titelproduktion so auszuwählen, dass sie möglichst in den Kreislauf zurückkehren und weiter genutzt werden können. Im letzten Jahr haben wir außerdem den SDG Publishers Compact der Vereinten Nationen unterzeichnet. Damit verpflichten wir uns im Aktionszeitraums bis 2030, nachhaltige Praktiken des Büchermachens zu entwickeln und als Verfechter der SDGs (Sustainable Development Goals) aufzutreten.

Wie werden diese Ziele konkret umgesetzt?

Barbara: Schon seit Jahren überprüfen wir jeden Prozessschritt unserer Buchproduktion, von der Materialbeschaffung bis zum fertigen Buch, um das Büchermachen so ressourcen- und energieschonend wie möglich zu gestalten. Dazu sind wir in kontinuierlichem Austausch mit unseren Partnern, den Papierfabriken, den Druckereien und den Firmen, die die Logistik stemmen.

Klimabilanz eines Buches bei Penguin Random House Verlagsgruppe 2022

Mariam: Wir nehmen alle unsere Arbeitsprozesse unter die Lupe. Zentrale Bedeutung haben hier geeignete Analyse-Tools, die wir entwickeln. Schon jetzt sind wir in der Lage, bei jedem Buchexemplar, das wir produzieren lassen, den CO2-Ausstoß zu bestimmen. Wir haben das sogar von unabhängiger Seite wissenschaftlich zertifizieren lassen. Unsere Programm-Kolleg*innen werden schon bald mit entsprechender Software ermitteln können, wie sich ihre Auflage- oder Ausstattungsentscheidungen konkret auf den CO2-Fußabdruck eines Titels auswirken. Wir wollen auch wissen, wieviel CO2 wir derzeit ausstoßen und wieviel Energie und Ressourcen wir bzw. unsere Auftragnehmer verbrauchen. Den Energieverbrauch des Verlagsgebäudes machen wir genauso transparent wie die Emissionen, die durch das Pendeln und Homeoffice entstehen.

Bleiben wir kurz beim Verlagsalltag und den täglichen Abläufen im Verlagsgebäude.  Was hat sich hier in Richtung Nachhaltigkeit getan?

Barbara: Unser Verlagsgebäude ist seit 2019 komplett klimaneutral und trägt die Silber Zertifizierung des Bundesverbands für nachhaltiges Bauen. Wir fördern das umweltfreundliche Mobilitätskonzept »Deutschlandticket Job« für unsere Mitarbeitenden und bieten außerdem Jobfahrräder an. Kontinuierlich stellen wir auf eine digitale Arbeitsweise um und arbeiten so papierlos und materialsparend wie möglich. Unsere flexiblen Arbeitsmodelle mit Homeoffice-Möglichkeiten für alle Mitarbeitenden sparen CO2 ein und tragen neben der persönlichen Flexibilität auch zur Entlastung des Berufsverkehrs bei.

Wo steht die Verlagsgruppe in Bezug auf klimaneutrale Buchproduktion insgesamt?

Mariam: Seit 2018 haben wir die Produktion sämtlicher Titel der Verlage Ludwig und Gütersloher Verlagshaus klimaneutral gestellt, das heißt, neben CO2 Einsparungen leisten wir hier Kompensationszahlungen. 2020 folgten unsere Kinderbuchverlage und ein Jahr später alle Titel des Verlagsbereichs Penguin/Blanvalet. Im Jahr 2022 konnten wir über 40% unserer Titel klimaneutral produzieren.

Was sind die größten Hebel zur Reduktion von CO2 Emissionen?

Barbara: Bei Herstellung und Materialbeschaffung sowie Transport und Logistik werden die meisten Ressourcen benötigt und die meisten CO2 Emissionen verursacht. Also liegt hier auch das größte Einsparpotential. Schauen wir auf das Papier für unsere Bücher: Bei der Berechnung der Umweltbilanz sind der Standort der Fabrik, die Herkunft der Rohstoffe für das Papier und die Frage, wieviel erneuerbare Energie eingesetzt wurde, entscheidend. Wir beziehen alles aus Europa. Unsere wichtigsten Partnerfirmen stammen aus Skandinavien und sind seit Jahren Vorreiter in nachhaltiger Baumwirtschaft und Papierproduktion. Seit 2009 verwenden wir ausschließlich FSC™-zertifiziertes Papier aus nachhaltiger Forstwirtschaft. Der gesamte Prozess – vom Wald bis zum gedruckten Buch – unterliegt strengen Umweltstandards, die ständig weiterentwickelt und kontrolliert werden.

Heißt das, Ihr gebt diesem Papier den Vorzug vor Recyclingpapier?

Mariam: Nicht generell, aber größtenteils, ja. Unsere Analysen haben ergeben, dass zur Herstellung von Recyclingpapier zwar weniger Rohstoff benötigt wird, dafür aber in vielen Fällen mehr fossile Energie aufgewendet werden muss. Und zwar so viel, dass in der Gesamtbilanz das skandinavische Papier aus nachhaltiger Forstwirtschaft besser abschneidet. Diese Bewertung ist aber nicht in Stein gemeißelt, denn die CO2-Werte der von uns verwendeten Papiere ermitteln wir regelmäßig neu. Wir sind hier im permanenten Austausch mit unseren Partnern in der Papierindustrie und überprüfen laufend alternative Materialien und Produktionsformen am Markt.

Immer wieder stehen eingeschweißte Bücher mit Preisaufklebern in der Diskussion. Was ist eure Haltung dazu?

Mariam: Einschweißfolien sind bei uns eigentlich kein Thema mehr. Nur schwere und hochpreisige Bücher oder solche mit empfindlichen Oberflächenmaterialien müssen wir einschweißen, um Beschädigungen bei Lagerung und Transport zu vermeiden. Wir reden hier aber von ca. 5% unserer Jahresproduktion. Ein beschädigtes Buch ist unverkäuflich und muss entsorgt werden. Das verschlechtert die Umweltbilanz ungleich mehr als eine Polyethylen-Folie, die im Übrigen zu 100% recycelbar ist. Unsere Aufkleber und Etiketten bestehen ausschließlich aus Papier und sind rückstandsfrei ablösbar.

Welche CO2-Einsparpotenziale gibt es noch?

Barbara: Unsere Bücher fallen buchstäblich ins Gewicht. Im Durchschnitt bleibt der Seitenumfang unserer Neuerscheinungen in etwa gleich. Wenn wir es aber schaffen, unsere Bücher bei gleichem Umfang und gleicher haptischer Qualität nur um ein paar Gramm zu erleichtern, wirkt sich das signifikant auf unsere Nachhaltigkeits-Bilanz aus, denn es muss weniger Material eingesetzt und später bewegt werden. Im Vergleich zu 2021 konnten wir das durchschnittliche Gewicht einer Buchseite um rund 10 Prozent reduzieren. Grob geschätzt werden für unsere Bücher rund 23.000 Tonnen Papier innerhalb Europas transportiert. Das heißt, wir haben im letzten Jahr rein rechnerisch ca. 2.300 Tonnen weniger Papier produzieren und von A nach B bewegen müssen. Im wahrsten Sinne des Wortes also kein Pappenstiel.

Mariam: Womit wir beim Thema Transport und Logistik wären. Wir behalten stets im Blick, wie viele Kilometer ein Buchblock zurücklegt, bis er im Handel als fertiges Buch ausliegt. Und wo immer es geht, setzen wir auf den Transport über die Schiene. Mit intelligenter Planung und Logistik lassen sich viele weitere Tonnen CO2 einsparen.

Die Situation, dass man entweder zu viel oder zu wenig Exemplare eines Titels auf Lager hat, kennen alle Verlage. Was hat Auflagenplanung mit Nachhaltigkeit zu tun?

Barbara: Eine bedarfsgerechte Auflagensteuerung ist ein weiterer sehr wichtiger Aspekt, um spürbar Emissionen zu reduzieren. Denn jedes unverkaufte Buch, das irgendwann vernichtet werden muss, verbraucht unnötig Ressourcen und Energie. Hier helfen uns Datentechnologie und Digitalisierung, um klügere und nachhaltigere Auflagen-Entscheidungen zu treffen. Je präziser wir den Mengenbedarf prognostizieren, desto weniger besteht die Gefahr der Überproduktion und somit der “Emissionsverschwendung”. Wir sind hier erst am Anfang, aber das wird zukünftig ein wichtiger Hebel.

Das so genannte Cradle2Cradle-Verfahren (übersetzt „von der Wiege zur Wiege“) gilt als die ökologisch verträglichste Produktionsweise von Waren. Wie funktioniert Cradle2Cradle bei der Buchproduktion? Und wie setzen wir das um?

Mariam: Barbara hat es eingangs schon erwähnt: Eine nachhaltige Buchproduktion sollte sich nicht ausschließlich auf Klimaneutralität konzentrieren. Bei Cradle2Cradle geht es um die so genannte Kreislaufwirtschaft. Eine ganze Reihe unserer Titel haben wir schon so produziert. Dieses Verfahren wird von unabhängiger Seite zertifiziert. Alles ist so konzipiert, dass das Produkt am Ende seines Lebenszyklus‘ wieder in biologische oder technische Kreisläufe zurückgeführt werden kann. Die Materialien werden von Umweltinstituten auf ihre Umwelt- und Gesundheitsverträglichkeit überprüft und sind komplett recycel- beziehungsweise kompostierbar. Gemeinsam mit unserem Druckpartner GGP Media können wir inzwischen auch Bücher in großer Auflage auf diese Weise fertigen lassen. Die Kosten für eine Buchproduktion nach dem Cradle2Cradle-Prinzip sind leider noch höher als die der herkömmlichen Verfahren. Dennoch werden wir diese Form der Kreislaufwirtschaft sukzessive ausbauen, denn sie ist definitiv das Produktionsprinzip der Zukunft.

 

Interview: Markus Desaga

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