Von welcher Sarggeschichte würdet Ihr hier schon gerne erzählen, um einen Einblick in Euer Buch zu geben?
Sarah: Ich würde gern aus dem Kapitel: „Was ist eine Abschiednahme?“ ein Stück von Silkes Geschichte erzählen, eine Frau, die ich bestattet habe. Sie hat mit mir vor ihrem Tod genau besprochen, wie sie sich ihren Abschied vorstellte und was ihr dabei wichtig war: „Wir hatten im Abschiedsraum viele Kerzen angezündet, Kaffee, Tassen, Teller und verschiedene Kuchen standen auf einem Holztisch bereit. Aus einem Lautsprecher erklang Musik, die Silke gerne gemocht hatte. Sie lag in ihrem Sarg und es standen Stühle um sie herum, sodass man sich zu ihr setzen konnte. Da sie Ginkgos sehr geliebt hatte, hatte ihr Mann das Laub von Ginkgobäumen gesammelt und die Blätter liebevoll über sie gestreut. Ihre Tochter hatte Kraniche aus buntem Origamipapier gefaltet, auf die Wünsche und Gedanken geschrieben werden konnten. Die farbenfrohen Vögel durften dann zu Silke in den Sarg gelegt werden. Eine Haarsträhne ihrer Tochter hielt Silke in der Hand. Als Tausch dafür, dass das Kind sich auch eine Haarlocke der Mutter abgeschnitten hatte. Die ersten Trauernden, die eintrafen, waren erst mal zurückhaltend. Sie schauten Silke an, hatten keinen Appetit auf Kuchen und standen anfangs eher vor dem Abschiedsraum als darin. Aber mit der Zeit lösten sich die Hemmungen. Eine Person nach der anderen trat zu Silke heran, streichelte sie, schrieb letzte Botschaften auf die Kraniche, und langsam pirschten sich die Gäste auch an das Kuchenbüfett und die Getränke heran. Allmählich kehrte eine leichte, fast fröhliche Stimmung ein. Es wurde viel von Silke erzählt und sie wurde, auch noch im Tod, für ihre Schönheit bewundert. Durch den Tumor hatte sie lange schreckliche Schmerzen ertragen müssen. Nun lag sie dort und sah wunderschön und friedlich aus. Die Lachfältchen um ihre Augen ließen sie lächeln und alle hatten das Gefühl, dass dies ein Abschied von ihr war, den sie gutgeheißen hätte. Ihr Mann streichelte sie immer wieder und küsste sie. Die beiden hatten sich sehr geliebt, waren den ganzen Weg gemeinsam gegangen. Es war ein Schwingen zwischen Lachen und Weinen, Dankbarkeit und Traurigkeit, Innehalten und Weiterleben.“
Was bedeutet selbst bestimmtes Abschiednehmen?
Sarah: Selbstbestimmt Abschiednehmen bedeutet, einen Abschied so zu gestalten, dass er zum verstorbenen Menschen passt und zu denen, die sich verabschieden. Es geht darum, die eigenen Bedürfnisse zu spüren und sie umsetzen zu können. Dazu ist es wichtig, zu wissen, welche Möglichkeiten es gibt und was man alles gestalten kann. Denn nur dann können sich Menschen für oder gegen etwas entscheiden. Manche entscheiden sich dazu, den Sarg zu bemalen, Kaffee statt Erde ins Grab zu werfen, weil es zum verstorbenen Menschen passt oder nicht mit ins Krematorium zu gehen, weil es sich nicht stimmig anfühlt. Zu manchen Menschen passen kirchliche Bestattungen mit Gebeten und schwarzer Kleidung. Für andere passt es nicht und dann können gemeinsam neue Rituale entwickelt werden. Etwas gestalten zu können, stärkt Menschen in ihrer Handlungsfähigkeit. Das kann in einer Krise hilfreich sein, denn dadurch fühlen wir uns weniger ohnmächtig.
Euer Buch zeigt sehr viele Wege auf, um individuell von einer verstorbenen Person Abschied zu nehmen – z.B. die Toten selbst zu waschen, den Körper zu Hause aufbahren, den Sarg bemalen, mit ins Krematorium gehen… Warum wissen wir so wenig über unsere Möglichkeiten?
Katrin: Weil keiner danach fragt. Über die Themen Sterben, Tod und Trauer wird wenig gesprochen. Das ändert sich gerade, aber der Großteil unserer Gesellschaft meidet im Alltag „schwere“ Gespräche über Gefühle, Ängste, Verlust und Schmerz. Deshalb gibt es nur sehr wenig Austausch darüber und viel Unwissen, wenn es um Bestattungen und Abschiednehmen geht. Dabei können wir viel gewinnen, wenn wir uns mehr damit auseinandersetzen.
Welche Rolle spielen hier Bestattungsunternehmen? Welche Rolle könnten z.B. auch Schulen ausfüllen?
Sarah: Bestattende können Raum geben, informieren und Zugehörige individuell begleiten und sie ermutigen Dinge selbst zu gestalten. So kann ein Abschied entstehen, der zu der verstorbenen Person und den Zugehörigen passt und positiv in Erinnerung bleibt. Über diese positiven Erfahrungen sprechen Menschen dann häufiger auch im Alltag. So wird der Austausch über diese Themen möglich.
Katrin: Ähnlich wie beim Thema Geburt, sollten Fragen von Kindern zum Thema Tod schon im Kleinkindalter einfach und offen beantwortet werden. Die Fragen kommen bei Kindern von ganz allein. Wenn wir dann den Mut haben darauf einzugehen, können sehr schöne und innige Gespräche entstehen. Es wäre schön, wenn in Schulen das Thema „Gefühle“ grundsätzlich eine Rolle spielen würde. Es geht mir dabei nicht nur um Trauer, Schmerz und Verlust, sondern auch um Gefühle wie Wut, Angst, Scham und Schuld. Gefühle zu erkennen, sie zu benennen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen, das sollte meiner Meinung nach an Schulen unterrichtet werden. So stärken wir die Sprachfähigkeit unserer Kinder. Wenn wir offener mit unseren Gefühlen umgehen können, dann sind auch Gespräche über Sterben, Tod und Trauer leichter möglich.
Die Kirche hat heutzutage eine geringere Bedeutung, wenn es ums Trauern geht. Wer hat ihren Platz eingenommen?
Sarah: Niemand. Deshalb gibt es so viel Unsicherheit und Orientierungslosigkeit. Wenn wir uns aber mit unseren Bedürfnissen auseinandersetzen und neue Rituale schaffen, dann haben wir die Chance, eine neue, erweiterte Trauerkultur zu entwickeln, die Menschen wieder mehr Halt gibt.
Wie finden Zugehörige genau den einen Bestatter, der gut zu ihnen passt?
Sarah: Empfehlungen aus dem Familien- und Freundeskreis können helfen, aber auch ein Blick ins Internet ist ein guter Ausgangspunkt. Ich achte bei Webseiten auf folgendes: Sind die Bestattenden dort sichtbar, die mich begleiten möchten? Wird neben Papieren und Trauerfeier auch über die Versorgung der verstorbenen Person geschrieben oder über die Möglichkeit einer Abschiednahme? Wenn Zugehörige ein Bestattungsunternehmen gefunden haben, bei dem das Angebot grundsätzlich passt, ist es gut, auch auf das Bauchgefühl zu hören. Fragen wie: „Möchte ich dieser Person meinen verstorbenen Menschen anvertrauen?“, oder „Fühle ich mich mit meiner Trauer und all meinen Gefühlen bei dieser Person gut aufgehoben?“, helfen am Ende bei der Entscheidung. Es ist jederzeit möglich, das Bestattungsunternehmen zu wechseln, wenn es doch nicht passt.
Und was konkret wünscht Ihr Euch für die Zukunft von „Trauer und Bestattung“ in Deutschland?
Sarah: Wir wünschen uns unterschiedliche Angebote für unterschiedliche Bedürfnisse und eine liebevolle Begleitung für alle Trauernden. Es sollte viel mehr Informationen über Abschiednehmen, Trauern und Bestatten geben. Wir wünschen uns bessere Gesetze, die mehr Freiheiten für Trauernde erlauben. Es ist nicht nur eine individuelle Frage, wie wir Abschied nehmen wollen. Es ist auch eine gesellschaftliche. Welche Rahmenbedingungen soll Abschied haben? Wie viel Raum darf, soll oder muss er sogar einnehmen, damit wir gesund trauern können? Soll es mehr freie Zeit geben vom Arbeitgeber? Brauchen wir mehr Freiheiten für den Umgang mit der Asche unserer verstorbenen Menschen? Sollten wir nicht allen, die das wollen, ermöglichen, ihre Verstorbenen zu waschen, anzukleiden oder zwei Tage im Sarg zu Hause aufzubahren? Brauchen wir neue Orte für Abschiede? Wir wünschen uns eine lebendige Auseinandersetzung mit den Themen Sterben, Tod und Trauer damit sich eine vielfältige Abschiedskultur entwickeln kann. Menschen in Trauerprozessen sollen sich gestärkt und ermutigt fühlen, so zu trauern, wie es ihnen guttut.
Danke für Eure Zeit, liebe Sarah Benz und liebe Katrin Trommler.
Das Interview führte Julia Meyn für den Mosaik Verlag. Interview bei gleichzeitiger Abbildung des Buchcovers zum Abdruck freigegeben.