Was macht die Generation der Baby-Boomer wirklich aus?
Interview mit Georg Vielmetter
Was war Ihre Inspiration, dieses Buch zu schreiben und welche Leser*innen möchten Sie erreichen?
Eines Tages war mir eine verblüffende Tatsache aufgefallen: Nämlich dass in meinem Jahrgang 1964 – dem stärksten der deutschen Geschichte - mehr als doppelt so viele Menschen in Deutschland geboren wurden wie im Jahrgang meines Sohnes! Wie konnte das sein, dass die, die wirklich mit Abstand am meisten waren, wirklich mit Abstand die Wenigsten hierlassen haben? Das wollte ich verstehen. Und auch, warum es diesen merkwürdigen Kontrast gibt: Die Baby Boomer sind in Frieden und oft in Wohlstand aufgewachsen, haben häufig Aufstiegsbewegungen gemacht, und hinterlassen ein Land, in dem vieles im Argen liegt: Demografie, Rente, Klima. Wie konnte es dazu kommen?
Das Buch richtet sich an alle, die verstehen wollen, warum wir da stehen, wo wir eben gerade stehen, und welche Rolle die Boomer dabei spielen. Und auch, was wir jetzt tun können.
War „früher alles besser“?
Nein, natürlich nicht. Wir sind heute eines der am weitesten entwickelten Ländern und nur eines von zwei Dutzend, die eine „vollständige Demokratie“ sind. Die westdeutschen Boomer haben ziemlich viel Glück gehabt: Sie haben den Zweiten Weltkrieg nicht mehr erlebt. Im kalten Krieg sie sind auf der geografisch richtigen Seite gelandet. Und den haben sie auch noch gewonnen. Ihre Eltern hingegen sind Kriegskinder, und viele ihrer ostdeutschen Generationsgenossen haben Phasen der Härte, der Demütigung und der Entfremdung nach dem Untergang der DDR durchgemacht.
Insofern sind die westdeutschen Baby Boomer, die Cold-War-Generation, die Glückskinder der jüngeren deutschen Geschichte. Um so mehr drängt sich die Frage auf: Wieso hinterlassen die Multibeglückten ein Land, dass sich in die Krisenrepublik Deutschland zu verwandeln droht?
Und wie lautet die Antwort? Ist die Cold-War Generation die „Generation-Ego“?
Ja und nein. Alle Generationen sind erst einmal auf sich selbst ausgerichtet und insofern selbstzentriert. Daher ist es nicht erstaunlich, dass sowohl die Boomer als auch die Generation Z sich wechselseitig vorwerfen, egozentrisch zu sein. Das führt zu nichts, in jeder Generation gibt es mehr oder weniger egozentrische Menschen. Aber eine Sache ist speziell an der Cold-War-Generation, und das nenne ich die „selbstzufriedene Binnenperspektive“. Von wenigen Ausnahmen abgesehen haben die Boomer keine wirklichen Krisen erlebt, es ging meistens voran und aufwärts. Entsprechend gering ist ihr Gespür für Krisen, wie wir sie jetzt erleben. Viele Angehörige hatten bis vor kurzem das Gefühl, es würde immer so weitergehen. Das ändert sich jetzt drastisch, und das führt zu Überforderung, Hilflosigkeit und auch Wut.
Wie geht es weiter mit der „Krisenrepublik Deutschland“?
Das hängt an uns. Die entscheidende Frage ist, wollen wir den Tatsachen ins Auge sehen? Wir werden von der gesetzlichen Rente nicht mehr auskömmlich leben können. Wir werden kein junges Land mehr sein. Wir werden den Kohlenstoffgehalt nicht auf den Stand der 70er Jahre zurückführen können. Werden wir daraus die notwendigen Konsequenzen ziehen? Sind wir bereit für Zumutungen? Wollen wir nach vorne schauen und Visionen entwickeln, die lebensfroh sind und gleichzeitig den Realitäten gerecht werden? Oder werden wir weiterhin den Kopf in den Sand stecken, nach hinten schauen, angeblich besseren Zeiten nachtrauern und unseren Kindern die Probleme hinterlassen? Das wäre dann in der Tat „Nach mir die Sintflut“. Dann verharrten wir im Zeitalter der Narren. Was wir aber brauchen, ist eine Politik für Erwachsene.
Über das Buch
Andrea Neuhoff