Aktuelles | 14.04.2022 | btb

Vier Fragen an Florian Scheibe, Autor von "Der Biss"

Florian Scheibe
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Der Biss

Florian Scheibe

Wie sind Sie auf das Thema Ihres Romans gekommen?

Ich lebe in Berlin Neukölln, in einem urbanen Umfeld, das vermutlich wie kaum ein zweites von Gegensätzen geprägt ist. Seit Jahren zieht das Viertel Studenten, Künstler und Kreative aus der ganzen Welt an, aber längst auch schon Kleinfamilien, die dem hippen Berlin-Trend folgen. Es gibt teure Eigentumswohnungen, unzählige Lastenräder, etliche vegane Cafés und Restaurants und eine extrem hohe Bio-Supermarkt-Dichte. Auf der anderen Seite herrscht große Armut. Bettelnde Roma-Familien, Osteuropäische Arbeitsmigranten, die in Schlafsäcken im Park und am Kanal übernachten. Und gewissermaßen „dazwischen“ lebt noch die türkische und die arabische Community. Diese Gegensätze wollte ich verdichten und durch verschiedene Blickwinkel genauer betrachten. Besonders interessiert hat mich dabei die Frage, inwiefern das „gute und richtige Leben“ – inklusive Umwelt- und Klimaschutz – ein Luxus ist, den man sich leisten können muss. Hinzu kommt meine ganz persönliche Erfahrung als Vater. Als ich angefangen habe, über den Roman nachzudenken, war meine Tochter im typischen Spielplatz- und Buddelalter. Mit großer Faszination und einigem Schrecken habe ich beobachtet, wie schnell die Situation zwischen zwei (Klein-)Kindern kippen kann: eben noch friedlich nebeneinander im Sand, im nächsten Moment einander schubsend, kneifend, Haare ziehend und weinend über-, bzw. untereinander. Als meine Tochter dann noch eines Tages näheren Kontakt mit einem häufig beißenden Mädchen hatte – zum Glück ohne Verletzung –, war die Idee für den Roman geboren: zwei Elternpaare aus unterschiedlichen Welten, deren Schicksale sich durch eine Bissattacke auf dem Spielplatz unweigerlich miteinander verknüpft werden.

Das rumänische Paar in Ihrem Roman sind klassische Arbeitsmigranten. Sie kommen in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft nach Deutschland. Die deutschen Protagonisten sind hingegen engagierte Klima- und Umweltschützer ohne finanzielle Sorgen. Warum haben Sie sich für diese beiden Milieus entschieden?

Bei dem deutschen Paar fand ich es interessant, mir Figuren vorzustellen, die etwas Gutes wollen: Tierwohl, konsequenten Klima- und Umweltschutz, angemessene Preise für landwirtschaftliche Produkte, faire Lohn- und Arbeitsbedingungen für Bauern und Erntehelfer in Drittweltländern,  usw. Und diese Figuren, deren Weltsicht bei allem Guten und Richtigen natürlich auch etwas sehr Belehrendes und Erzieherisches hat, wollte ich mit Menschen konfrontieren, denen es erst einmal „nur“ darum geht, Arbeit zu finden und Geld zu verdienen. Die sich eine Zukunft für ihre Familie erhoffen, die es so in ihrem Herkunftsland bzw. ihrer Herkunftsregion – im Fall des Romans das östliche Rumänien – nicht gibt. Der Konflikt wird dadurch vielschichtiger, denn die Arbeitsmigration ist aus Sicht der Umweltschützer eben auch eine Konsummigration, und wenn in dem Park direkt vor ihrer Haustür ein vermülltes Camp entsteht, haben sie gute Gründe, sich dagegen zu wenden. Bei dem rumänischen Paar war es mir wichtig, dass der Migrationsgrund keine schlimme materielle Not in der Heimat ist, sondern dass es eher um eine allgemeine Perspektivlosigkeit geht. Sie wünschen sich Wohlstandsnormalität: eine Wohnung, Arbeit, Krankenversicherungen, eine gute Schule für ihr Kind, die Möglichkeit zu verreisen. Und entsprechend ist es aus ihrer Sicht auch sehr seltsam, dass die privilegierten Deutschen bewusst auf diese Normalität verzichten und sich stattdessen auf ihren Terrassen aggressive Bienen halten, sich freiwillig auf Lastenrädern abstrampeln und in kleinen Bioläden zehnmal so viel für eine Schokocreme oder ein Schweineschnitzel bezahlen als im Supermarkt um die Ecke.     

Die Sorge angesichts der Klima- und Umweltkrise spielt in Ihrem Roman eine wichtige Rolle. Eine Frage, die der Roman in diesem Zusammenhang immer wieder stellt, ist, ob die Art, wie wir leben und konsumieren (Zugfahren oder Fliegen, grüner oder günstiger Strom, bio oder herkömmlich, regional und saisonal oder das Supermarkt-Sonderangebot aus Übersee etc.), irgendeinen Einfluss auf den Weltenlauf haben kann. Wie stehen Sie selbst zu dieser Frage?

Ich muss sagen, dass ich in dieser Frage hin- und hergerissen bin. Einerseits sehe ich die Stichhaltigkeit der Argumente, die von Klimaaktivisten gegen die „Privatisierung der Klimakrise“ ins Feld geführt werden: Klimaschutz darf keine persönliche Angelegenheit sein, die Politik muss handeln! Andererseits müsste die Politik schon seit Jahren handeln und nichts passiert – immer (auch) mit dem Argument, dass man den Menschen/Wählern nicht zu viel zumuten dürfe, weil sie den Weg sonst nicht mehr mitgehen würden. Und wie zur Bestätigung werden dann auch noch Klimaleugner a la Donald Trump oder Jair Bolsonaro zum Präsidenten von großen, einflussreichen Ländern gewählt. Was bleibt denn dann vor diesem Hintergrund noch, als sein eigenes Leben klima- und umweltfreundlicher zu gestalten? Und sei es nur, um das Gefühl eigener Handlungsfähigkeit zu haben?! Das Problem daran: Das „gute und richtige Leben“ (sofern es das überhaupt gibt) ist teuer. Ein klima- und umweltfreundliches Leben muss man sich leisten können. Spätestens hier wird klar: Die Katze beißt sich in den Schwanz. Mit anderen Worten: Die Frage, ob wir mit unserem Konsum etwas ändern können, oder nicht, lässt sich weder ethisch noch praktisch beantworten. Etwas an seinem Verhalten zu ändern, ist sicher besser, als nichts zu tun. Aber allein das wird die Klimakrise natürlich nicht abwenden.

Ihr Schreiben hat etwas sehr Filmisches. Sie arbeiten mit gegeneinandergeschnittenen Perspektiven, die Kapitel sind sehr szenisch aufgebaut, es gibt viele Dialoge und die Dramaturgie ist geprägt von mehreren großen Spannungsbögen, die an die klassische Heldenreise des Hollywoodkinos erinnern. War das eine bewusste Entscheidung? Und: Wie schlägt in Ihrem Schreiben die Tatsache zu Buche, dass Sie Regie an der Filmhochschule studiert haben?

Es wird mir oft gesagt, dass mein Schreiben filmisch ist. Das war auch bei den beiden vorangegangenen Romanen so, von denen sich vor allem der erste thematisch und vom Stil her sehr stark von „Der Biss“ unterscheidet. Das bedeutet, dass das Filmische mein Schreiben immer prägt, egal, worum es geht. Wenn ich schreibe, muss ich das, was ich schreibe, genau vor mir sehen können. Vor allem aber muss ich die Geschichte mit jeder Faser meines Körpers spüren können – eine Erfahrung, die sich auch bei einem guten Kino-Erlebnis einstellt. Außerdem mag ich es, wenn mich Romane sofort packen und in eine Geschichte hineinziehen. Und da sind wir dann auch schon bei den dramaturgischen Punkten: Für meine Geschichten brauche ich starke Ausgangssituationen, gewissermaßen einen initialen Moment, in der Filmdramaturgie würde man sagen: einen Plot Point. Dieser Moment ist in „Der Biss“ zugleich noch titelgebend. Die Kapitel für Kapitel wechselnden, teils konträren Figuren-Perspektiven waren hingegen so etwas wie die konzeptionelle Grundidee für „Der Biss“. Sie haben für mich beim Schreiben den besonderen Reiz ausgemacht: Bestimmte Situationen zweimal aus unterschiedlichen Perspektiven zu erleben, das ist etwas, das mir sowohl in der Literatur als auch im Film großen Spaß macht. Denn in erster Linie schreibe ich so, wie ich es auch gern als Leser lesen würde (und als Schriftsteller bin ich ja auch immer automatisch mein erster Leser, denn während ich ihn schreibe, lese ich ja auch den Text, der entsteht, das erste Mal). Und der Einfluss des Filmregie-Studiums: Tatsächlich wurde ich in meiner Jugend und später im Studium stärker vom Kino geprägt als von der Literatur, aber mein Schreibstil hat sich nicht erst durch die Filmhochschule in diese Richtung entwickelt. Auch lange vor meinem Studium habe ich bereits Texte geschrieben, denen man ohne Weiteres das Prädikat Filmisch zuweisen könnte.

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