Wie haben Sie zu sich selbst gefunden?
Die Person, die ich zu meinem Schutz erschaffen hatte, die alle kannten und auf die ich mich immer verlassen konnte, hatte große Angst beiseitezutreten. Die Vorstellung, mich vor aller Augen von einer vermeintlich unbefangenen, kompetenten Person vielleicht in eine Versagerin zu verwandeln, löste Panik in mir aus. Doch ich konnte nicht mehr zurück. Ich wollte dieses Risiko eingehen, denn die Verbindung zu mir selbst, die ich in der Gewitternacht wieder gespürt hatte, war zu wahrhaftig und schön gewesen. So wollte ich leben.
Welche Rolle spielten für Sie dabei die Hunde?
Für mich sind Hunde wunderbare Lehrer, weil sie sich bei einem traumatisierten Artgenossen auf die Ressourcen beziehen, die evolutionär angelegt sind, um ein Trauma zu verarbeiten. Wir beziehen uns dagegen häufig nur auf Symptome, und Menschen richten ihr Leben dann auf Grund einer solchen Diagnose aus. Depressiv zu sein, hyperaktiv, zwanghaft usw. wird dann zu einer festgefahrenen, inneren Vorstellung. Findet ein Mensch jedoch seine ursprünglichen Ressourcen wieder, bezieht er sich auf diese und kommt wieder in seine Kraft. Das ist mein praktischer Erfahrungsweg mit mir selbst und mit vielen Menschen, die ich als psychologische Heilpraktikerin unterstützt habe.
Welche Rolle spielte der Hund Raida in ihrem Leben, den sie auch in diesem Buch wieder eindrucksvoll als Lehrer beschreiben?
Ich lernte ihn kennen, als es mich nicht mehr erfüllte, Hunde für den menschlichen Alltag funktional aufzubereiten. Auch wenn ich damit sehr erfolgreich war, spürte ich doch, dass ich persönlich dabei nichts mehr lernte und mich selbst nicht weiterentwickeln konnte. Bei Raida war mir sofort klar, dass er sich mit seinem starken, unbeugsamen Wesen Anweisungen und Regeln verweigern würde, und ich so etwas Neues in mir entdecken könnte. Genauso war es auch.
Können Sie an einem Beispiel erzählen, wie genau sich das abspielte?
Raida stieg damals häufig an mir auf, wenn er den Teil in mir stoppen wollte, der ihm sagen wollte, wo es langgeht. Dazu krallte er sich mit beiden Vorderpfoten um meinen Oberarm und griff mit den Zähnen in meinen Arm hinein. So standen wir oft reglos wie eine Statue zehn bis dreißig Minuten, denn ich spürte, dass er fester zubeißen würde, wenn ich mehr Druck machen oder ängstlich zurückweichen würde. Mir blieb also nur, in meine Mitte zu finden und damit in eine friedvolle, ruhige Präsenz – und raus aus dem menschlichen Bestimmer. Jedes Mal ließ Raida daraufhin sofort von mir ab. Als ich diese Lektion gelernt hatte, tat er dies nie wieder, und ich weiß seitdem, wie ich aus dem Funktionieren herauskomme und in meine Mitte finde. Mit Raida war dies viel einfacher zu leben als im Alltag mit anderen Menschen. Doch es war der Grundstein dafür, ehrlich zu mir zu stehen und den Sinn hinter all dem zu begreifen, was ich geworden bin. Das fühlt sich sehr befreiend an, weil es nichts mehr zu verstecken gibt.