Viele Menschen beschäftigen sich neben der Familie auch mehr mit persönlichen Themen, für die sie sich ansonsten zu wenig Raum nehmen. Warum lohnt es sich, sich mit der eigenen Lust auseinanderzusetzen?
Seit ein paar Jahren bemerke ich, dass sich Frauen vermehrt für ihre Lust, ihre Sexualiät und ihre Weiblichkeit interessieren. Corona hat diesen Trend nochmal befeuert. Frauen schauen über ihren Tellerrand und erforschen dieses bisherige Tabu-Thema. Warum? Ich glaube, weil sie spüren, dass ihnen ein wichtiger Teil fehlt. Das Patriachat und die Kirche haben uns die Lust abgesprochen, Weiblichkeit auf Stöckelschuhe und Makeup reduziert, uns in Hure oder Heilige getrennt. Es ist die Zeit gekommen, dass wir uns das zurückerobern: Unsere Lust, aber auch, was Weiblichkeit eigentlich bedeutet. Dafür gibt es kaum gelebte Vorbilder, daher sind wir alle – auch die Sexpertinnen, die ich kenne – auf einer Forschungsreise, um dem Yin, dem Weiblichen und der weiblichen Sexualität einen höheren Stellenwert in unserem Leben und unserer Gesellschaft zu geben.
Welche Fragen sollten wir uns als erstes stellen, wenn wir uns mit der eigenen Lust beschäftigen wollen?
100 % Ehrlichkeit hilft sehr. Habe ich überhaupt den Sex, der mich glücklich zurücklässt? Von dem ich nicht genug bekommen kann? Was fehlt mir beim Sex? Welche Seite erlaube ich mir nicht zu leben? Warum traue ich mich nicht die Wahrheit zu sagen? Ist alles okay in unserer Partnerschaft oder gibt es unausgeprochenen Groll, der zu sexueller Unlust führt?
Die wenigsten Frauen stellen die Art und Weise, wie sie Sex haben, infrage. Warum ist das so und woher kommen unsere gängigen Praktiken und Denkmuster?
Viele Frauen sind erzogen worden, nett, lieb und unkompliziert zu sein. Guter Sex erfordert aber eine Anspruchshaltung! Das Wissen darum, was einem gefällt und den Mut, das zu kommunizieren und einzufordern. Wenn mein Friseur mir die Haare nicht gut schneidet, dann spreche ich das ja auch kritisch an. Dann korrigiert er es und alle sind happy. Beim Sex dürfen wir auch lernen, den Mund aufzumachen und zu sagen, was uns stört und was wir uns wünschen.
Sie haben Tantra-Massagen ausprobiert und auch gelernt diese auszuführen, waren im Swinger Club und auf Kuschelpartys – was hat Ihre Lust am meisten gefördert und was war einfach nur skurril?
Eine Tantramassage selbst zu bekommen, war definitv ein Lust-Booster. Mit meinem Mann jedoch Tantra zu lernen und anzuwenden, hat eher zur Erheiterung geführt. Swingen habe ich mir erotischer vorgestellt, doch die Kuschelparty war ein Überraschungserfolg und definitiv ein super Anheizer.
Welche Rolle spielen Gefühle beim Sex?
Eine sehr große. Zum einen sind sie der Wegweiser zur Lust. Oder Hinweisschilder, wo es nicht lang gehen sollte. Ich kenne viele Frauen, die großartigen Sex ohne romantische Gefühle haben. Für mich ist es jedoch noch der Extra-Kick, wenn sich beim Sex mein Herz vor Liebe öffnet.
Mit der eigenen Sexualität im Reinen zu sein, hilft nicht nur beim Sex, sondern tatsächlich im alltäglichen Leben. Was hat sich bei Ihnen alles verändert, seit Sie angefangen haben, sich intensiv mit ihrer Sexualität zu
beschäftigen?
Alles. Meine Beziehung zu mir und auch die zu meinem Mann ist besser geworden. Die Streits und Aufrechnereien wurden schlagartig weniger, als wir wieder Sex hatten. Ich war auch sofort eine ausgeglicherne, entspanntere Mutter. Mein Leben ist mit Sex leichter und fröhlicher. Die sexuelle Energie ist ein Gute-Laune-Booster und wenn sie fließt, dann fließen auch Freude, Fülle und Frieden.
In ihrem Buch gehen Sie intensiv auf das Thema Selbstliebe ein. Welchen Einfluss hat Selbstliebe auf die Sexualität und umgekehrt?
Ich würde sagen, Sexualität ist einerseits ein Ausdruck von Selbstliebe und andererseits ein Raketenschub dafür. Vergesst Sauna, Yoga oder Retreats, Sex ist die allerschönste Me-Time. Egal ob Solo-Sex oder gemeinsamer Sex. Danach fühlt man sich so wohl im eigenen Körper, so verbunden, so willkommen und so wunderschön. Vorausgesetzt natürlich, der Sex war der Hammer ;)