Tijen Onaran im Interview
Über den Mut, man selbst zu sein
Tijen, Du setzt dich in deinem Memoir intensiv mit den unterschiedlichen Bereichen deines Lebens, in denen Mut dich weitergebracht hat, auseinander. Was war bislang deine größte Herausforderung?
Die größte Herausforderung war und ist mit Sicherheit das Unternehmertum an sich. Es ist eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Es kostet Mut, Energie und Kraft, jeden Tag alles zu geben - natürlich ist es selbstbestimmt, aber als Unternehmerin bewege ich mich immer zwischen dem Zustand wunderschönen Himmels und der schrecklichsten Hölle. Dennoch: die größte Herausforderung ist ja immer auch die größte Weiterentwicklung!
Wie motivierst du dich nach einem Rückschlag, immer wieder neu groß zu denken?
Jeder Erfolg basiert auf Misserfolgen. Ich mache mir immer wieder bewusst, was ich erreicht habe und wie weit ich gekommen bin. Mich ständig damit zu beschäftigen, was nicht läuft, trübt den Blick auf das, was läuft. Ein kleiner Powerhack: ein Erfolgstagebuch schreiben. Kleine wie große Erfolge aufschreiben - und genau diese in Momenten der Demotivation durchlesen. Hilft ungemein!
Wie wichtig ist familiärer Rückhalt, um Erfolg zu haben – sei es von der Ursprungsfamilie oder in der Partnerschaft / eigenen Familie?
Ein „inner circle“ an Menschen, die einen unterstützen, aufbauen und an einen glauben, selbst wenn man es gerade selbst nicht tut, ist so wichtig. Das kann die Familie sein, muss aber nicht. Es können Mentor:innen oder Freund:innen sein, die einfach da sind. Diese sind nicht nur in Zeiten des absoluten Erfolgs wichtig, sondern vor allem auch in Zeiten des absoluten Misserfolgs.
Ist es nicht ein Widerspruch, auf der einen Seite zu fordern „Don’t fix the women, fix the system!“ und auf der anderen dann doch wieder an sich selbst und seiner Einstellung arbeiten zu müssen, um in einem diskriminierenden System dennoch Erfolg zu haben?
Es gibt einiges, dass ich selbst in der Hand habe und einiges eben nicht. Ich habe beispielsweise in der Hand, wie ich über mich selbst spreche, wie ich auftrete und für was ich stehe. Wenn ich immer darauf gewartet hätte, dass sich das System verändert - ohne selbst etwas dafür zu tun, wäre ich heute nicht da, wo ich bin. Insofern ist es kein Widerspruch, sondern die Veränderung im System wird eben auch geprägt durch die Menschen, die dieses System prägen.
Wann wurde dir klar, dass du weder zu laut, zu leise, zu sexy, zu langweilig, zu provokant noch zu anstrengend bist – Attribute, die dir immer wieder zugeschrieben wurden - sondern genau richtig? Gab es da einen Schlüsselmoment oder war das ein Prozess?
Tatsächlich gab es einen Schlüsselmoment: als ich 2017 mit einer internationalen Delegationsreise durch die USA gereist bin. Unsere Gruppe bestand aus 47 Gestalterinnen aus 47 Ländern: bunt, divers, sehr unterschiedlich. Ich habe Frauen erlebt, die leise - und welche, die das genaue Gegenteil waren. Aber allesamt: bei sich und für sich genau richtig. Eine Unternehmerin aus der Gruppe bestärkte mich damals, zu gründen - ich haderte zu dem Zeitpunkt noch. Als ich zurückkam, tat ich es. Manchmal ist es das eine Gespräch, das einen dazu bringt sich „genau richtig“ zu fühlen, manchmal eine Reise, manchmal ein Podcast, den man hört.
Was rätst du Frauen, die auch zu dieser Einstellung finden wollen?
Macht euch frei davon, allen gefallen zu wollen. Das ist die größte Lebensaufgabe, die es gibt. Es ist faktisch nicht möglich. Als Frau ist man sowieso häufiger der „Alien“ im Raum, weil man die Einzige ist oder auch mal unbequeme Fragen stellt. Doch wichtig ist, zu wissen wofür man steht und wofür nicht. Was die eigenen Prinzipien sind. Alle kochen auch nur mit Wasser - nie vergessen!
Constanze Schwarz