Frau Schumacher, was hat Sie dazu inspiriert »Die Psychologie des Waldes« zu schreiben?
Wir Menschen sind ein Teil der Natur und haben über Jahrmillionen mit Tieren und Pflanzen eng zusammengelebt. Dieses Erbe findet sich noch heute in unseren körperlichen Reaktionen, wenn wir im Wald spazieren gehen: Wir entspannen uns, atmen tiefer und unser Denken wird wieder weit. Kurzum: Natur tut uns gut.
Das gilt natürlich auch für mich. 2009 befand ich mich in einer schweren Krise. In diesem emotionalen Ausnahmezustand bin ich in den Wald gegangen. Der Wald half mir, mich wieder zu erden, zur Ruhe zu kommen und darauf zu vertrauen, dass sich eine Lösung finden wird. Aus diesem sehr tiefen Erleben entstand der Wunsch, auch anderen Menschen in Krisen zu helfen. Ich schrieb mich mit 45 Jahren an der Berliner Humboldt Universität ein und studierte Psychologie und Gartenbau. Es folgten Fortbildungen in Naturtherapie, systemischem Coaching in Positiver Psychologie und Psychodrama. Daraus ist mein ganzheitlicher Coaching-Ansatz in der Natur entstanden. Der Wald wurde zu meiner engsten Bündnispartnerin und zu meinem Co-Therapeuten.
Viele Menschen leben in Städten, die weit weg von großen Wäldern sind. Wie können wir die Idee der Naturtherapie in unseren hektischen Alltag integrieren?
Oh, da gibt es viele Möglichkeiten. In den meisten Städten gibt es Parks oder Gärten, die man nutzen kann. Ich arbeite aber auch gerne mit imaginativer Meditation oder schönen Landschaftsfotos. Fast jede und jeder hat so einen ganz persönlichen Kraftort in der Natur, der für sie oder ihn für einen schönen Moment, eine besondere Stimmung oder heilende Verbindung steht. Sich daran intensiv zu erinnern – an den Duft, den Moment, die Jahreszeit – lässt jene positiven Gefühle erneut entstehen und hebt sofort die Stimmung. Bewusstes und tiefes Atmen, Mediation oder Rituale sind zusätzlich wunderbare Werkzeuge, die hilfreich und kraftvoll auch zu Hause praktiziert werden können.
Wie kann Waldcoaching in einer zunehmend digitalisierten Gesellschaft helfen, ein Gleichgewicht zwischen der virtuellen und realen Welt herzustellen?
Bei all den Vorteilen, die die digitale Welt verspricht, entfremdet sie uns von dem, was Menschsein ausmacht: Verbundenheit – ob mit unseren Mitmenschen, der Natur oder mit uns selbst. Beim Waldcoaching geht es vor allem darum, die innere Verbundenheit mit Hilfe des äußeren, lebendigen Naturraums wiederherzustellen. Insofern geht es weniger um eine Balance zwischen digitaler und realer Welt, sondern eher um eine Balance zwischen der äußeren Umwelt, mit all ihren Anforderungen, und uns selbst, unserem authentischen und echten Selbst.
Wie können die Prinzipien der Waldtherapie dazu beitragen, das Bewusstsein für unsere Umwelt zu stärken und Menschen zu einem nachhaltigeren Lebensstil zu inspirieren?
Wenn es gelingt, dieses Gefühl der Verbundenheit wiederherzustellen, ist schon ein erster wichtiger Schritt getan. Denn wenn wir uns für die Natur und damit für das Leben öffnen, dann können wir nicht länger achtlos darüber hinweggehen, dass wir mit unserem Lebensstil die Natur immer weiter einschränken und zerstören. Diese Erkenntnis führt dazu, achtsamer mit sich und der Umwelt zu werden. Daraus kann sich ein nachhaltigerer Lebensstil oder gar ein Engagement für die Natur entwickeln.
Welche ersten Schritte oder Übungen würden Sie Menschen empfehlen, die neu in die Welt der Naturtherapie eintauchen?
Alles beginnt mit dem Bewusstsein dafür, dass wir Menschen mehr sind als ein Kopf, der vollgestopft ist mit Gedanken daran, wie wir sein müssten. Wir besitzen zum Glück auch einen Körper und ein Herz, das uns mit allem Lebendigen verbindet. Ein erster guter Schritt ist, die Sinnlichkeit des Körpers wiederzuentdecken. Mit Sinnlichkeit meine ich die fünf Sinneskanäle wie Sehen, Riechen, Schmecken, Hören und Fühlen, die uns ermöglichen, mit unserer Umwelt in Kontakt zu treten. An kleinen Kindern kann man dies gut beobachten. Kinder schauen sich Dinge immer wieder von allen Seiten an, befühlen sie, stecken sie sich in den Mund. Sie entdecken die Welt, indem sie sie sinnlich erkunden. Sie können noch staunen und erfreuen sich an der Schönheit der kleinen Dinge. Das achtsame, sinnliche (Neu-)Entdecken der Natur ist der erste Schritt, um zurück in die innere Verbundenheit mit uns und dem Wald zu finden.
© Kailash Verlag
Interview: Sarah Bergius
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