In Tief in der Erde haben Sie einen Entführungsfall in den 1980er Jahren fiktionalisiert, in Spur 33 haben Sie sich von einem Dreifachmord inspirieren lassen. Welche Aspekte dieses Falles haben Sie besonders fasziniert?
Mich hat zunächst die Unausweichlichkeit dieser Tragödie fasziniert und erschreckt. Mir fiel auf, wie schnell Eltern die Schuld zugeschoben wird, wenn ihre Kinder im Leben nicht zurechtkommen, schlecht in der Schule sind, keine Freunde finden. Aber manchmal stimmt das einfach nicht, oder höchstens zum Teil. Es gibt Kinder, deren Probleme Mütter, Väter, Lehrende und Pädagog*innen einfach überfordern, in diesem Fall kam alles zusammen. Ein Sohn mit massiven sozialen und sonstigen Schwierigkeiten plus einer Vorliebe für Waffen plus ausgeprägten Amok-Fantasien, die er vielleicht umsetzen wollte. Diese tödliche Trias musste fatal enden. Das Schreckliche daran ist, dass der Freund des Sohnes, der den Mord an der Familie gestanden hat, vielleicht durch sein Verbrechen viele Leben gerettet hat.
In welcher Form konnten Sie im wahren Fall recherchieren und warum sind diese Recherchen so wichtig, obwohl Ihre Erzählung fiktionalisiert ist?
So einen Fall kann man sich in den Grundzügen kaum ausdenken. Es ist also wichtig, in bestimmten Punkten bei der Wahrheit oder der mutmaßlichen Wahrheit zu bleiben. Einfach um zu zeigen, dass bestimmte Entwicklungen möglich sind. Solche Dinge passieren. In unserer Wirklichkeit. Sie sind keine spekulative Erfindung. Sie sind real. Eine reale Gefahr.
Sie haben den Roman während der laufenden Gerichtsverhandlung geschrieben. Was sind neben viel Taktgefühl weitere besondere Herausforderungen und auch Schwierigkeiten daran?
Ich habe zum Beispiel vermieden, den Kontakt zu den Nebenklägerinnen aufzunehmen, weil ich durch meine Recherchen schon so viel wusste. Ich wollte einen Roman schreiben, kein Sachbuch. Das ist natürlich ein Balanceakt.
Zum Zeitpunkt dieses Interviews ist der Prozess noch nicht abgeschlossen. Erwarten Sie als Beobachterin noch eine neue Wendung oder scheinen bereits jetzt alle Fragen geklärt zu sein und ein Täter bzw. eine Täterin festzustehen?
Nein, für mich sind die wichtigsten Fragen weiter nicht geklärt. Wahrscheinlich werden sie nie geklärt sein.