Aktuelles | 05.06.2023 | btb

Spiegel-Bestsellerautorin Sarah Nisi über das Schreiben.

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Ein Essay.

Sarah Nisi Cover

»Ich bringe dich zum Schweigen« ist der neue Psychothriller der Spiegel-Bestsellerautorin Sarah Nisi, der am 12. Juli bei btb erscheint.

Nisi zeigt in ihrem Thriller die Abgründe der menschlichen Psyche und lässt die Grenzen von Wahrheit und Lüge, Macht und Ohnmacht gekonnt verschwimmen.

Ihr Thriller-Debüt »Ich will dir nah sein« (2021) hat in Deutschland für Furore gesorgt. Sie war u.a. nominiert für den GLAUSER 2022, den Victor Crime Award 2022 sowie für den Crime Cologne Award 2021. Sarah Nisi lebt seit 2012 in London. In Hildesheim geboren, arbeitete die Wirtschaftsjuristin einige Jahre in Düsseldorf, bevor sie für ein Creative-Writing-Studium in die britische Hauptstadt zog. Seitdem widmet sich die Deutsch-Britin den Großteil ihrer Zeit dem Schreiben.

In einem kurzen Essay hat Sarah Nisi über ihren interessanten Werdegang geschrieben.

Über mich. Und das Schreiben.

Die Möglichkeit, mit Worten eine Geschichte zu erzählen und auf diese Weise Bilder, Gefühle und eine Reaktion zu wecken fasziniert mich. Oft werde ich gefragt, was meinen Stil ausmacht und was der Grund sei, warum ich Psychothriller schreibe. Ein Zitat von Robert Evans erklärt meine Faszination für dieses Genre und meine Herangehensweise ziemlich treffend: „There are three sides to every story: your side, my side and the truth. And no one is lying.“

Spannung und Logik entstehen für mich immer durch die Charaktere und was in deren Kopf passiert. Jede Figur hat ihre eigene Wahrnehmung der Geschehnisse. Aus diesem Grund arbeite ich gern mit verschiedenen Perspektiven - und mit dem Gefühl, dass alles auch ganz anders sein könnte. Oft verschwimmt dann die Grenze zwischen Gut und Böse.

Als Leser*In nimmt man für eine gewisse Zeit am Leben der Charaktere teil. Die Figuren tragen die Geschichte; aus meiner Sicht schulde ich es den Protagonisten, ihre Beweggründe zu zeigen und im Idealfall Verständnis für ihr Handeln auszulösen. Das Spannende: Jeder Mensch nimmt beim Lesen eine Story anders wahr - basierend auf eigenen Erfahrungen und Werten. Die Interpretation kann also ganz unterschiedlich ausfallen.

Gewalt oder Action müssen sich aus der Handlung ergeben und logisch sein, und nicht um der Gewalt oder Action willen passieren. Einfach nur sagen, „eine Figur ist böse“, reicht aus meiner Sicht nicht. Wie kam es zu der Tat? Was ist passiert? Warum? Ich zeige in meinen Romanen die Essenz einer Tat, verpackt als Psychothriller.

Ich spiele gern mit Alltagssituationen und einer Bedrohlichkeit, die sich aus (vermeintlich) harmlosen Dingen ergibt.

Warum London?

Ich mag das Gefühl, in zwei Ländern zu Hause zu sein. Das hat etwas sehr Erfrischendes. Man verliert auf diese Weise nicht die Aufmerksamkeit und viele Dinge, die in einem Land eine Selbstverständlichkeit sind, haben im anderen Land eine völlig andere Priorität oder existieren gar nicht. Als Autorin ist das sehr hilfreich, weil man einen offenen Blick behält und diese Sensibilität häufig Ideen erzeugt.

Mittlerweile lebe ich seit 2012 in London, habe die Deutsch-Britische Staatsbürgerschaft. Ich liebe den Trubel und das kulturelle Angebot der Stadt. Zuvor habe ich viele Jahre in Düsseldorf gewohnt; aufgewachsen bin ich in Hildesheim. In meiner Familie hatte jede Art von Kunst immer einen hohen Stellenwert. Ich habe mir schon als Kind Geschichten ausgedacht und geschrieben, hatte als Jugendliche immer ein Buch in der Hand. Das totale Klischee – aber die Wahrheit. Durch mein Wirtschaftsrechtstudium habe ich gelernt, strukturiert zu schreiben, meine Gedanken zu ordnen und zu Papier zu bringen – auch mit einer gewissen Kreativität. Ich glaube, das war tatsächlich unterbewusst der Start. Die Chance, ein paar Jahre später in London Creative Writing zu studieren, war toll und für mich eine logische Folge. Ich wollte eine Herausforderung. Der Schritt nach London ist mir aber nicht leicht gefallen. Ich hatte einen gutbezahlten Job in Deutschland. Sicherheit und Vertrautes einzutauschen gegen Ungewissheit und ein anderes Land – das war nicht einfach. Doch ich kannte London gut und wusste - zumindest was die Stadt anging - worauf ich mich einlasse. Die Entscheidung, einen Master im Creative Writing zu machen, als Nichtmuttersprachlerin, war vielleicht etwas verrückt – aber es war die beste berufliche Entscheidung, die ich je getroffen habe. Nachdem ich einen Platz in dem Programm ergattert hatte, gab es kein Zurück mehr. Ich wusste: Ich tue das Richtige. Das war eine tiefe Überzeugung, die ich so nicht kannte. Aus diesem Grund hatte ich tatsächlich nie das Gefühl, ein Risiko einzugehen.

Man braucht natürlich keinen MA im Creative Writing, um ein Buch zu schreiben. Man lernt aber sehr viel über Technik, und die Kritik am eigenen Text führt zu einer gewissen Aufmerksamkeit, was das Schreiben angeht. Trotzdem war es eine Herausforderung und nicht immer leicht, schon gar nicht auf Englisch. Allerdings hat mich die Sprache auch ein Stück weit geschützt – ich hatte mehr Abstand. In den USA und auch UK hat das Creative Writing eine lange Tradition, und viele erfolgreiche Autor*Innen haben Lehraufaufträge an Universitäten. Das Gefühl, Teil des Ganzen zu sein, war toll. Ich saß plötzlich mitten in London, im ehemaligen Wohnhaus von Virginia Woolf (in dem mein Kurs stattfand), und der Professor erwähnte in einem Nebensatz, dass er selbst seinen Masterabschluss in Iowa gemacht hat - am Institut, wo John Irving und James Alan McPherson unterrichteten. Noch viel inspirierender aber waren meine Mitstudierenden, die alle einen unterschiedlichen Hintergrund hatten: UK, Singapore, USA, Südafrika. Diese Vielfalt der Kulturen und Texte war einfach großartig.

Mein Ziel war es nie, durch den Master eine höhere Chance zu haben, veröffentlicht zu werden. Die bekommt man aus meiner Sicht durch so einen Kurs auch nicht. Ich wollte eine Herausforderung und mehr Vertrauen in mein Schreiben - beides habe ich bekommen. Ich hatte bereits ein paar Kurzgeschichten veröffentlicht und auch einen Preis gewonnen, aber meinen ersten Roman „Ich will dir nah sein“ habe ich zunächst tatsächlich nur für mich geschrieben. Ich bin nicht eines Tages aufgewacht und wusste: Ich kann das. Oder: Dieses Buch wird ein Bestseller. Im Gegenteil: Ich wollte einfach die Geschichte erzählen. Und habe es ausprobiert.

Als das Manuskript fertig war, habe ich nach einer Weile gedacht: Vielleicht ist es gut? Vielleicht sollte ich es an eine Agentur schicken? Tatsächlich hatte ich sehr schnell das Glück eine tolle Agentin zu finden, die mich direkt unter Vertrag genommen und das Manuskript an einen Verlag verkauft hat. Dass mein Debüt so ein großer Erfolg wird, hätte ich aber nie gedacht.

Sarah Nisi

 

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