Aktuelles | 28.02.2024 | Goldmann

Sonja Roos über ihre Trilogie »Eine grenzenlose Welt«

sonja-roos.jpg

Am 17. April 2024 erscheint bei Goldmann der Auftakt der Trilogie »Eine grenzenlose Welt« von Sonja Roos, wir haben der Autorin ein paar Fragen gestellt.

Eine grenzenlose Welt Aufbruch Sonja Roos

»Auslöser für die Idee war eine Reportage über den real damals in New York tobenden Zeitungskrieg zwischen Joseph Pulitzer und William Randolph Hearst.«

 

Am 17. April 2024 erscheint mit »Eine grenzenlose Welt – Aufbruch«, der erste Band deiner Roman-Trilogie. Wohin nimmst Du uns mit und wen lernen wir kennen?

Ich nehme die Leser mit in das Jahr 1892. Zu Beginn sind wir noch in Hamburg, denn von da aus machen sich meine vier Protagonisten auf in die Neue Welt – so wie unzählige Menschen damals, die von einem besseren Leben träumten. Wir lernen die 17-jährige Marga Stahl kennen. Sie lebt in ärmlichen Verhältnissen mit ihrer Mutter in den Hamburger Gängevierteln. Wer historisch etwas interessiert ist, macht bei der Jahreszahl und dem Schauplatz der Handlung natürlich gleich den Brückenschlag zur Cholera-Epidemie, die die Stadt damals in Atem hielt. Die Menschen starben in diesem heißen Sommer wie die Fliegen, vor allem in den Armenvierteln. Auch Marga ist täglich in Gefahr, weil sie für sich und ihre Mutter Besorgungen und Botengänge macht. Als ihre gleichaltrige Cousine Rosie mit ihrem Stiefvater nach Hamburg kommt, weil diese aus dem Hunsrück auswandern wollen, drängt Margas Mutter ihre Tochter dazu, mit den beiden Hamburg zu verlassen, was Marga am Ende schweren Herzens tut. Auf dem Weg zum Schiff lernen sie und ihre Cousine Simon Broder kennen. Er ist aus dem Osten vor den Judenpogromen geflohen und will in Amerika nach Gold suchen, um seine Eltern schnellstmöglich nachholen zu können. Komplettiert wird das Kleeblatt dann noch durch den 15-jährigen Hafendieb Nando Keitel, dem Marga aus Mitleid in einer Notsituation hilft und den sie anschließend durch eine kleine Lüge (angeblich sei er ihr Bruder) mit aufs Schiff bringt. An Bord passiert dann etwas Tragisches, was die vier zusammenschweißt, so dass sie beschließen, in New York gemeinsam Fuß zu fassen. Natürlich kommen bei der Konstellation auch die unterschiedlichsten Gefühle auf, die für Komplikationen sorgen und die Freundschaft aller auf eine harte Probe stellen…

Die Hauptpersonen deines Romans finden in Little Germany, einem Stadtviertel in New York, in dem viele deutsche Auswanderer leben, ein neues Zuhause. Im heutigen New York fallen uns sofort Chinatown und Little Italy ein. Gibt es Little Germany heute noch?

Nein, Little Germany gibt es heute nicht mehr. Dabei hatten sich zum Ende des 18. Jahrhunderts tatsächlich so viele Deutsche rund um die Lower East Side angesiedelt, dass die Gegend wie eine deutsche Großstadt war. Nach Wien und Berlin quasi die drittgrößte deutsche Stadt damals, wenn man so will. Die Deutschen hatten, wie die anderen Auswanderer auch, ihre eigene Kultur mit ins Land gebracht. Es gab deutsche Bäckereien, Metzgereien, Bierschwemmen, Turnvereine, Zeitungen, Kirchengemeinden, eine lebendige, stetig wachsende Gemeinschaft also, in der man nicht einmal unbedingt Englisch sprechen musste. Das alles fand jedoch ein jähes Ende durch ein Schiffsunglück. Es war eines der Größten in der zivilen Schifffahrt, über das aber kaum jemand heute noch spricht, weil es in Vergessenheit geraten ist. Das Unglück geschah am 15. Juni 1904, als der Ausflugsdampfer General Slocum auf dem East River erst in Brand geriet und dann sank. Auf dem Schiff waren über 1300 Deutsche, fast alles Frauen und Kinder, die bei einem Ausflug der St. Marks Kirchengemeinde dabei waren. Über 1000 Menschen starben, fast jeder deutschstämmige New Yorker hat damals Angehörige verloren. Die Selbstmordrate schnellte nach oben, die Lower Eastside war ein stiller, trauriger Ort geworden und wer konnte, zog fort. Damit war das Ende von Little Germany eingeleitet. Als wenige Jahre später der Erste Weltkrieg ausbrach, waren die Deutschen dann ohnehin nicht mehr gut gelitten und die Slocum-Katastrophe geriet in Vergessenheit.

Stand am Anfang dieser Trilogie ein bestimmter Auslöser, ein Impuls, durch den die Idee zu diesem Plot entstanden ist?

Da ich selbst Journalistin bin, interessiere ich mich natürlich fürs Zeitungsmachen und die Geschichte der Zeitungen. Auslöser für die Idee zu »Eine grenzenlose Welt« war eine Reportage über den real damals in New York tobenden Zeitungskrieg zwischen Joseph Pulitzer und William Randolph Hearst, die ich im Fernsehen gesehen hatte. Ich hab mich dann ein bisschen in die Thematik eingelesen und fand es spannend, dass dieser Zeitungskrieg den sogenannten Yellow Press Journalism begründete, also was wir im Deutschen als Klatschpresse oder Regenbogenpresse bezeichnen, die schnelle Schlagzeile, Sex und Crime, das journalistische Fast Food sozusagen. Diesen Hintergrund wollte ich unbedingt in eine Geschichte einbauen. Und plötzlich war da die Idee, deutsche Auswanderer in diese aufregende Zeit, in diese florierende Stadt zu schicken. Was mir wichtig war beim Schreiben ist, dass ich die Leser*innen mitnehmen kann mit meiner Geschichte. Sie sollen natürlich eintauchen in die Zeitungswelt und etwas von dem mitnehmen, was ich dazu recherchiert habe. In erster Linie sollen sie aber mit meinen vier Protagonisten mitlieben, -leiden, -lachen, -leben, oder wie meine Lektorin einmal angemerkt hat: eintauchen in diese personengetriebene, spannende Handlung.

Eine wichtige Rolle in der Trilogie spielt die Zeitung Morning Herald. Hat die Zeitung ein reales Vorbild?

Es gab tatsächlich den New York Herald. Er war eine der ersten, großen Zeitungen, zeitweise sogar mal die auflagenstärkste. Sie existierte von 1835 bis 1924 und ging dann auf in der New York Tribune. Sie war aber nicht das Vorbild für meine fiktive Zeitung The Morning Herald. Diese ist vielmehr ein Konglomerat aus anderen realen Vorbildern wie dem New York Journal (Hearsts Zeitung) oder der New York World (Pulitzers). Die Schlagzeilen, die im The Morning Herald zu finden sind, sind übrigens alle real, vom Mordfall William Guldensuppe über die vermisste Hattie Waltham bis zum Blaubartkiller John Hoch. Dafür habe ich mir aus der Congress Library originale Ausgaben aus der Zeit online angesehen und »entliehen«.

Eine grenzenlose Welt Schicksal Sonja Roos

In Deinen Romanen verstehst Du es sehr gut, die Stimmung der Zeit, in der sie spielen, zu beschreiben, und gleichzeitig können moderne Leser*innen die Emotionen der Protagonist*innen wunderbar nachvollziehen. Wie gelingt Dir das?

Zum einen hat das sicher damit zu tun, dass ich beim Schreiben ganz in diese Welt abtauche. Da läuft immer ein »Kopfkino« mit, die Handlung schlägt dann auch manchmal Haken und entfernt sich komplett von der Ausgangsidee, aber darum bleibt sie lebendig, entwickelt sich, ebenso wie meine Figuren. Zum anderen liebe ich historische Filme und Serien, ob Downtown Abbey, Poldark, The Alienist, The Buccaneers, Bridgerton und viele mehr, da kann ich abtauchen und habe dann auch ein Gefühl für die Zeit. Dass meine Figuren progressiv denken und handeln, ist sicher der Tatsache geschuldet, dass man als Autor*in - selbst als Autor*in historischer Romane - immer mit der modernen Brille auf seine Geschichte blickt. Wenn die Figuren dann trotzdem im historischen Setting funktionieren, hat man seine Arbeit vermutlich ganz gut gemacht.

»Eine grenzenlose Welt« ist deine erste Trilogie bei Goldmann. Was ist der Unterschied bei der Arbeit an einem in sich abgeschlossenem Roman im Gegensatz zu einer Reihe mit drei Bänden?

Man kann viel tiefer in die Geschichte eintauchen, man begleitet seine Figuren über einen längeren Zeitraum, was ganz andere Möglichkeiten für deren Entwicklung eröffnet. Und man kann auch Nebenfiguren besser ausbauen und ihnen ein schärferes Profil geben, das macht die Geschichte noch lebendiger, echter. Meine Lektorin meinte neulich, nachdem sie Band drei gelesen hatte und dann für das Lektorat zu Band eins zurückgekehrt ist, sie hätte das Gefühl, in einem Familienalbum zurück zu blättern. Das fand ich ein schönes Kompliment. Meine Figuren haben also im doppelten Sinn eine Reise gemacht und sind zum Schluss verändert daraus hervorgegangen – die klassische Heldenreise eben. Bei einem Mehrteiler hat man zudem die Chance, die Leute ein bisschen zu quälen mit fiesen Cliffhangern, was ich auch gerne am Ende von Band eins und zwei gemacht habe. Am besten sollen die Leser*innen gleich nach der Lektüre losgehen und sich den nächsten Teil besorgen.

Eine grenzenlose Welt Zukunft Sonja Roos

Gibt es eine Figur, die Dir ganz besonders am Herzen liegt?

Ich liebe wirklich alle meine Protagonisten, aber ganz besonders ans Herz gewachsen ist mir von Anfang an Nando, mein kleiner Hafendieb. Er macht eine tolle Entwicklung durch, vom Rumtreiber, der ohne Halt und Liebe in der rauen Hafenwelt aufgewachsen ist, zu Margas Freund und Beschützer. Dass sein Herz von Anfang an ihr gehört, verheimlicht er ihr natürlich. Und sie sieht in ihm nur den kleinen Bruder, weil er zwei Jahre jünger ist als sie. Das Alter ist aber irgendwann gar nicht mehr so relevant, das merkt auch Marga, die jedoch auch Gefühle für Simon hat, weshalb sie Nando auf Abstand hält. Durch diesen Konflikt sind großartige Szenen zwischen den beiden entstanden, in denen man seine Sehnsucht nach ihr so sehr mitfühlen kann, aber auch das Knistern, die nicht zu leugnende Anziehungskraft – da habe ich gleich mehrere Tropes eingebaut, die ich mag – Friends to Lovers, Secret Love und Slow Burn. Außerdem besetze ich ja in meinem Kopf alle meine Protagonisten mit Schauspielern. Und Nando, das war mir gleich klar, hat Timothée Chalamet als reales Vorbild. Da muss man sich doch einfach ein bisschen in ihn verlieben.

Und gibt es eine Figur, bei der Du froh warst, Dich wieder von ihr zu verabschieden?

Im Laufe der Handlung musste ich von einer sehr wichtigen Figur Abschied nehmen, aber das war nicht leicht, und ich war alles andere als froh darüber. Ich habe auch lange überlegt, ob es einen anderen Weg gibt, als diese Figur sterben zu lassen, aber es hat noch mal eine neue Dynamik in die Geschichte gebracht und war wichtig für die weitere Entwicklung. Außerdem hat es Raum gegeben, eine neue Figur einzuführen, die ich gleich in mein Herz geschlossen habe. Es ist also etwas dran, wenn Autor*innen geraten wird: Kill your darlings…

Mehr als 40 Verlage unter einem Dach – ein breites Themenspektrum, unzählige Titel und vielseitige Persönlichkeiten! Das Presseportal der Penguin Random House Verlagsgruppe informiert über aktuelle Themen, Neuerscheinungen, Vorschauen und Veranstaltungen und ermöglicht das komfortable Bestellen von Rezensionsexemplaren.

© Penguin Random House Verlagsgruppe