Sieben Jahre im Faltboot: Eine unglaubliche, aber wahre Geschichte
Tobias Friedrich im Gespräch über sein literarisches Debüt „Der Flussregenpfeifer“
Warum hat man bislang über diese Ausnahmereise kaum etwas gelesen?
Die Geschichte ist sprichwörtlich im Krieg und später auch in den Nachkriegswirren untergegangen. Speck musste sich ein neues Leben aufbauen, und als er sich einigermaßen etabliert hatte, wollte er mit der Fahrt nicht mehr hausieren gehen. Er hat nur wenige zaghafte Versuche unternommen, alles einmal schlüssig medial aufzubereiten, aber es ist nie etwas daraus geworden. Ein Zeitzeuge, mit dem ich im Zuge meiner Recherche sprach, hat für mich zusammengefasst, wieso selbst der ein oder andere Romancier am Ende abgewunken hat: »Je mehr Details man über die Geschichte erfährt, desto größer, unglaublicher und unheimlicher wird sie.« Das kann ich bestätigen.
Wer sieben Jahre und 50.000 Kilometer auf dem Wasser verbringt, ist… leidenschaftlich? Besessen? Verrückt? Was haben Sie bei Ihrer Suche über den Menschen Oskar Speck erfahren?
Es waren ganz klar wirtschaftliche Zwänge und ein wenig auch Verzweiflung, die Speck aufbrechen ließen. Allein schon, dass er als Nichtschwimmer zu jeder Zeit wusste: Wenn ich – speziell auf dem Meer – am falschen Ort umkippe, bin ich Geschichte! Bei allen Schwierigkeiten, auf die er während seiner Fahrt gestoßen ist, hat er aber auch erkannt, dass dieses »Unterwegssein« viel interessanter ist als zum Beispiel die Arbeit in einer Kupfermine auf Zypern. Eines der Speck-Zitate, die ich gefunden und im Roman verwendet habe, lautet: »Je weiter ich kam, desto weiter wollte ich.« Gleichzeitig habe ich aus seinen Briefen, Tagebucheinträgen und Berichten herausgelesen, dass er sich fortwährend nach Freundschaft, einer festen Partnerin und Anerkennung gesehnt hat.
In Ihrem Roman wird Speck von den Nationalsozialisten geradezu gejagt, weil die aus ihm einen deutschen Sporthelden und ein Aushängeschild machen wollen. Hatte der reale Oskar Speck Kontakt mit den Nazis?
Um zu jener Zeit nicht mit Nazis in Kontakt zu kommen, hätte er vermutlich nach Grönland aufbrechen müssen. Aber während er unterwegs Einladungen von parteitreuen Deutschen angenommen und vor ihnen Vorträge gehalten hat, hielt er sich aus politischen Debatten raus. Seine Bekannten in Australien verorteten ihn am ehesten in Sozialismusnähe; soziale Gerechtigkeit schien ihm wichtig zu sein. Auf seiner Reise war er zugleich überlebensorientiert und opportunistisch; er hat sich zum Beispiel ohne Bedenken kostenloses Zubehör für sein Boot schicken lassen, zu dem auch eine Hakenkreuzfahne gehörte – die damals natürlich noch anders konnotiert war.
Sie hätten aus dem Stoff auch ein Sachbuch machen können, Sie kommen ja vom Sachbuchschreiben. Warum musste es ein Roman werden?
Ich wollte ohnehin einen Roman schreiben, und Specks Geschichte war ein toller Steigbügel, auch wenn ich wusste, wie wahnsinnig die Aufgabe war. Meine Sachbücher sind allesamt Auftragsarbeiten. Hier hatte ich nun die Möglichkeit, auch Themen wie Freundschaft, Freiheitsliebe, Sehnsucht und Zufall als Wegweiser des Lebens herauszuarbeiten sowie neben Speck ausreichend Raum für starke und interessante Frauen zu lassen.
Sie sind Teil der Band Husten – in der unter anderem auch Gisbert zu Knyphausen spielt – und schreiben für diese und auch für andere Künstler Lieder und Texte. Gibt es da Berührungspunkte zum Romanschreiben?
Definitiv. Ich bin im Laufe der Jahre etwas abgekommen von persönlichen Liedtexten und habe – quasi als Nebenprodukt der Romanarbeit – angefangen, Lieder wie Kurzgeschichten zu behandeln. So konnte ich aus dem Roman gestrichene Stellen immer noch in Lieder einbauen. Die Zeile »Er kletterte ihre Sommersprossen hoch und fiel in ihre Schaufensteraugen« gab es zunächst im »Flussregenpfeifer«, aber da hat sie nicht reingepasst. Als Liedanfang (»Kommst Du?« /Husten) war sie aber perfekt.
Stimmt es, dass Husten seit Jahren einen Liveauftritt ankündigt, zu dem es aber nie kommt?
Leider ja. Ein paar Jahre hatten wir uns dem Dogma verschrieben, nicht live aufzutreten. Als wir uns schließlich doch dazu entschlossen hatten, erlaubten wir uns den Spaß, die Tour 500 Tage vorher anzukündigen. Dann kam Corona und wir mussten zweimal verschieben. Mittlerweile sind wir bei circa 1.200 Tagen, die zwischen Ankündigung und erstem Konzert liegen. Wenn es denn jemals dazu kommt. Momentan ist es für Mitte Mai 2022 geplant.
In Ihrer Wahlheimat Berlin haben Sie mit Freunden bis zur Corona-Zwangspause mehrmals jährlich eine Musik-und-Lese-Show namens »Ein Hit ist ein Hit« organisiert. Die hätte Gili Baum vermutlich gefallen?
Schöner Gedanke. Das hätte ihr vermutlich wirklich gefallen, wahrscheinlich wäre sie sogar mal auf die Bühne gestiegen und hätte gesungen. Während Oskar in einer Ecke des Raumes still zugesehen hätte.
Insgesamt fast 13 Jahre, 500 Seiten… fahren Sie inzwischen manchmal nachts im Traum Faltboot?
Gott sei Dank nicht. Aber im Laufe der Jahre hatte ich immer mal Szenen im Kopf, bei denen ich dachte: Mensch, welches Buch, welcher Film war das noch? Bis ich erkannt habe, dass es sich um längst gestrichene Stellen früherer Versionen des »Flussregenpfeifers« handelte.
Mit Tobias Friedrich sprach Angelika Schedel, Lektorin für deutschsprachige Literatur im Verlag C.Bertelsmann.
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Barbara Romeiser