Aktuelles | 11.03.2022 | C. Bertelsmann

Sieben Jahre im Faltboot: Eine unglaubliche, aber wahre Geschichte

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Tobias Friedrich im Gespräch über sein literarisches Debüt „Der Flussregenpfeifer“

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Der Flussregenpfeifer

Tobias Friedrich

»Der Flussregenpfeifer«, Tobias Friedrichs literarisches Debüt, basiert auf der unglaublichen, aber wahren Geschichte des Hamburgers Oskar Speck, der über sieben Jahre lang mit seinem Faltboot 50.000 Kilometer zurücklegte. So erstaunlich wie dessen Reise ist auch dieser humorvolle, dramatisch wie rasant erzählte Roman um wahre Freundschaft und Freiheitsliebe, starke Frauen und den Zufall als Wegweiser des Lebens.

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»Der Flussregenpfeifer« erzählt von einer Weltreise per Faltboot. Eine reale, ebenso riskante wie unwahrscheinliche Unternehmung. Wie sind Sie auf Oskar Speck und seine Geschichte gestoßen?

Eigentlich habe ich Specks Rekordfahrt eher zufällig bei der Recherche zu einem Sachbuch entdeckt. Es war mir ein Rätsel, wieso es noch kein Buch, keinen Film oder sonst etwas über den Mann aus Altona, seine Abenteuer und sein Leben gab; selbst online fanden sich nur wenige Spuren.

Warum hat man bislang über diese Ausnahmereise kaum etwas gelesen?

Die Geschichte ist sprichwörtlich im Krieg und später auch in den Nachkriegswirren untergegangen. Speck musste sich ein neues Leben aufbauen, und als er sich einigermaßen etabliert hatte, wollte er mit der Fahrt nicht mehr hausieren gehen. Er hat nur wenige zaghafte Versuche unternommen, alles einmal schlüssig medial aufzubereiten, aber es ist nie etwas daraus geworden. Ein Zeitzeuge, mit dem ich im Zuge meiner Recherche sprach, hat für mich zusammengefasst, wieso selbst der ein oder andere Romancier am Ende abgewunken hat: »Je mehr Details man über die Geschichte erfährt, desto größer, unglaublicher und unheimlicher wird sie.« Das kann ich bestätigen.

Einer der wenigen Artikel, die über Specks abenteuerliche Fahrt zu Lebzeiten erschienen ist

Wie haben Sie Specks Geschichte recherchiert? Welches Material haben Sie dabei gefunden?

Zunächst habe ich ganz profan online recherchiert und bin auf ein paar wenige Artikel, Beiträge in Foren und Berichte von Speck selbst gestoßen. Ich hatte bereits eine erste Fassung des Romans geschrieben, als ich nach Australien reiste und im National Maritime Museum seinen Nachlass studieren konnte. So bekam ich Zugang zu Specks Briefen, Dokumenten, früheren Artikeln, zu Radiointerviews und vielem mehr. Ich sprach mit seinen Freunden, seinem Gärtner, übernachtete in seinem Haus und paddelte im Sydney Harbour mit einem Faltboot, das dem von Speck ähnelte.

Wer sieben Jahre und 50.000 Kilometer auf dem Wasser verbringt, ist… leidenschaftlich? Besessen? Verrückt? Was haben Sie bei Ihrer Suche über den Menschen Oskar Speck erfahren?

Es waren ganz klar wirtschaftliche Zwänge und ein wenig auch Verzweiflung, die Speck aufbrechen ließen. Allein schon, dass er als Nichtschwimmer zu jeder Zeit wusste: Wenn ich – speziell auf dem Meer – am falschen Ort umkippe, bin ich Geschichte! Bei allen Schwierigkeiten, auf die er während seiner Fahrt gestoßen ist, hat er aber auch erkannt, dass dieses »Unterwegssein« viel interessanter ist als zum Beispiel die Arbeit in einer Kupfermine auf Zypern. Eines der Speck-Zitate, die ich gefunden und im Roman verwendet habe, lautet: »Je weiter ich kam, desto weiter wollte ich.« Gleichzeitig habe ich aus seinen Briefen, Tagebucheinträgen und Berichten herausgelesen, dass er sich fortwährend nach Freundschaft, einer festen Partnerin und Anerkennung gesehnt hat.

In Ihrem Roman wird Speck von den Nationalsozialisten geradezu gejagt, weil die aus ihm einen deutschen Sporthelden und ein Aushängeschild machen wollen. Hatte der reale Oskar Speck Kontakt mit den Nazis?

Um zu jener Zeit nicht mit Nazis in Kontakt zu kommen, hätte er vermutlich nach Grönland aufbrechen müssen. Aber während er unterwegs Einladungen von parteitreuen Deutschen angenommen und vor ihnen Vorträge gehalten hat, hielt er sich aus politischen Debatten raus. Seine Bekannten in Australien verorteten ihn am ehesten in Sozialismusnähe; soziale Gerechtigkeit schien ihm wichtig zu sein. Auf seiner Reise war er zugleich überlebensorientiert und opportunistisch; er hat sich zum Beispiel ohne Bedenken kostenloses Zubehör für sein Boot schicken lassen, zu dem auch eine Hakenkreuzfahne gehörte – die damals natürlich noch anders konnotiert war.

Oskar Speck nach seinem Vortrag vor Geschäftsleuten in Karatschi

Ebenso sympathisch wie der Faltbootheld, den Sie in Ihrem Buch zeichnen, ist seine Freundin Gili Baum. Gab es diesen emanzipierten, vorlauten Wirbelwind an seiner Seite wirklich?

Nein. Es gab allerdings mehrere Frauen, mit denen er liiert war, über die aber kaum etwas bekannt ist. Ich war darüber auch ganz froh. Ich fand es einfacher, jemanden komplett neu zu erfinden, als einer historischen Figur gerecht zu werden. Spaß gemacht hat indes das Einflechten anderer realer Nebenfiguren wie Diana Mitford, Ernst Neweklowsky oder Hans von Tschammer und Osten.

Sie hätten aus dem Stoff auch ein Sachbuch machen können, Sie kommen ja vom Sachbuchschreiben. Warum musste es ein Roman werden?

Ich wollte ohnehin einen Roman schreiben, und Specks Geschichte war ein toller Steigbügel, auch wenn ich wusste, wie wahnsinnig die Aufgabe war. Meine Sachbücher sind allesamt Auftragsarbeiten. Hier hatte ich nun die Möglichkeit, auch Themen wie Freundschaft, Freiheitsliebe, Sehnsucht und Zufall als Wegweiser des Lebens herauszuarbeiten sowie neben Speck ausreichend Raum für starke und interessante Frauen zu lassen.

Friedliche Reisebegegnung auf Papua-Neuguinea

Sie haben über zehn Jahre an diesem Stoff gearbeitet. Ohne zu wissen, ob daraus ein Buch wird. Und lange ohne Vertrag. Was ist da passiert …?

Der Roman war einfach die ganze Zeit über nicht gut genug. Ich habe vier Versionen geschrieben, und immer stimmte etwas nicht, war ich nicht zufrieden. Es gab natürlich auch große Pausen zwischen den Schreibphasen. Und neben Recherche, Plot, Figuren etc. habe ich großen Wert auf die Sprache gelegt. Und wenn die nicht stimmt, verbringt man einen Teil der Zeit schon mal mit Selbstkasteiung. Mein Motto wurde sehr schnell: Wenn Schreiben nach Schreiben klingt, schreib’s noch mal.

Sie sind Teil der Band Husten – in der unter anderem auch Gisbert zu Knyphausen spielt – und schreiben für diese und auch für andere Künstler Lieder und Texte. Gibt es da Berührungspunkte zum Romanschreiben?

Definitiv. Ich bin im Laufe der Jahre etwas abgekommen von persönlichen Liedtexten und habe – quasi als Nebenprodukt der Romanarbeit – angefangen, Lieder wie Kurzgeschichten zu behandeln. So konnte ich aus dem Roman gestrichene Stellen immer noch in Lieder einbauen. Die Zeile »Er kletterte ihre Sommersprossen hoch und fiel in ihre Schaufensteraugen« gab es zunächst im »Flussregenpfeifer«, aber da hat sie nicht reingepasst. Als Liedanfang (»Kommst Du?« /Husten) war sie aber perfekt.

Stimmt es, dass Husten seit Jahren einen Liveauftritt ankündigt, zu dem es aber nie kommt?

Leider ja. Ein paar Jahre hatten wir uns dem Dogma verschrieben, nicht live aufzutreten. Als wir uns schließlich doch dazu entschlossen hatten, erlaubten wir uns den Spaß, die Tour 500 Tage vorher anzukündigen. Dann kam Corona und wir mussten zweimal verschieben. Mittlerweile sind wir bei circa 1.200 Tagen, die zwischen Ankündigung und erstem Konzert liegen. Wenn es denn jemals dazu kommt. Momentan ist es für Mitte Mai 2022 geplant.

In Ihrer Wahlheimat Berlin haben Sie mit Freunden bis zur Corona-Zwangspause mehrmals jährlich eine Musik-und-­Lese-Show namens »Ein Hit ist ein Hit« organisiert. Die hätte Gili Baum vermutlich gefallen?

Schöner Gedanke. Das hätte ihr vermutlich wirklich gefallen, wahrscheinlich wäre sie sogar mal auf die Bühne gestiegen und hätte gesungen. Während Oskar in einer Ecke des Raumes still zugesehen hätte.

Insgesamt fast 13 Jahre, 500 Seiten… fahren Sie inzwischen manchmal nachts im Traum Faltboot?

Gott sei Dank nicht. Aber im Laufe der Jahre hatte ich immer mal Szenen im Kopf, bei denen ich dachte: Mensch, welches Buch, welcher Film war das noch? Bis ich erkannt habe, dass es sich um längst gestrichene Stellen früherer Versionen des »Flussregenpfeifers« handelte.

Mit Tobias Friedrich sprach Angelika Schedel, Lektorin für deutschsprachige Literatur im Verlag C.Bertelsmann.

Copyright C. Bertelsmann. Für Zitat- und Abdruckrechte aus dem Interview wenden Sie sich gern an den Verlag.

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