Aktuelles | 28.09.2023 | Heyne

Sagenhaft spannendes Island

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Die isländische Autorin Satu Rämö im Interview.

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Am 11. Oktober erscheint Satu Rämös Nummer-1 Island Krimi »Hildur - Die Spur im Fjord«. Der Auftakt der Hildur-Trilogie ist ein atmosphärischer und emotionaler Ermittlerkrimi mit isländischem Flair. Im Mittelpunkt steht die Kommissarin Hildur Rúnarsdóttir, die nicht nur auf der Arbeit, sondern auch im Privatleben mysteriöse Fälle umgeben. Über zwanzig Jahre ist das Verschwinden ihrer Schwestern her, doch nun scheinen die Ereignisse sie wieder einzuholen. Satu Rämö vereint nordischen Charme mit einer einzigartigen Ermittlerin und packenden Kriminalfällen, die einen Mitfühlen und Mitfiebern lassen. 

Mit »Hildur – Die Spur im Fjord« gelang Satu Rämö auf Anhieb der Durchbruch als Krimiautorin. Der Auftakt der Reihe um die eigenwillige Kommissarin Hildur Rúnarsdóttir begeisterte die Leser*innen in ihrer Heimat und stand wochenlang auf Platz 1 der Bestsellerliste.

Interview mit Satu Rämö

Sie sind in Finnland geboren und aufgewachsen, leben aber seit fast 20 Jahren in Island. Warum sind Sie nach Island ausgewandert?

Ich ging 2003 zum Studieren nach Island. Für mich fühlte sich Island sofort wie zu Hause an. Ich hatte bereits ein starkes Heimatgefühl, als das Flugzeug zum ersten Mal in Island landete und der Kapitän „velkomin heim“, „Willkommen zu Hause“, sagte. Auf Englisch sagte er „Willkommen in Island, der Heimat von Icelandair“. Nach meinem Austauschstudium kehrte ich immer wieder nach Island zurück. Ich bin viel getrampt, weil es billiger war und Island ein ziemlich teures Land ist, und habe Freunde getroffen. Bei einem meiner Besuche, ich glaube, es war der vierte, traf ich in einer Bar in der Innenstadt von Reykjavik einen netten Isländer und beschloss zu bleiben. Jetzt sind wir verheiratet und haben zwei gemeinsame Kinder.

Wie schwierig war es, Isländisch zu lernen und sich in Island einzuleben?

In Island kommt man mit Englisch sehr gut zurecht. Allerdings hatte ich das Gefühl, dass ich „alles“ verstehen wollte. Ich wollte in der Lage sein, lokale Nachrichten zu lesen, isländische Fernsehserien anzusehen und mit meinen Freunden auf Isländisch Witze zu machen. Also ging ich an die Universität von Island und absolvierte einen B.A.-Studiengang mit Isländisch als Zweitsprache. Ich wollte konzentriert so viel wie möglich lernen. Es waren drei anstrengende Jahre, aber trotzdem habe ich sie genossen und viel gelernt. Nicht nur die isländische Sprache, sondern auch viel über die isländische Kultur, Geschichte und Literatur. Wir lasen isländische Sagen, isländische moderne Literatur und Gedichte und diskutierten darüber. So habe ich die Sprache gelernt: Bücher lesen und über die Bücher sprechen. Natürlich war auch das Erlernen der Grammatik unerlässlich. Die isländische Grammatik ist der deutschen Grammatik ziemlich ähnlich, daher hat mir die Kenntnis der Grundlagen der deutschen Sprache beim Erlernen der Isländischen sehr geholfen.

Island ist ein kleines, großes Land. Riesige Natur, ein paar Leute. Verrücktes Wetter, wunderschöne Landschaften. Die Menschen sind sehr herzlich und gastfreundlich. Ich habe mich in Island immer sehr wohl gefühlt und je mehr ich Land und Leute kennenlerne, desto heimischer fühle ich mich dort.

Welche kulturellen Unterschiede zwischen Finnen und Isländern haben Sie überrascht?

Die Finnen sind super organisiert. Genau wie die Deutschen, die ich kenne. Die Isländer hingegen sind ‚etwas‘ gelassener. Wenn ich ein Abendessen mit isländischen, finnischen und deutschen Gästen organisiere, das um 19.00 Uhr beginnen soll, lade ich die Finnen und Deutschen um 19.00 Uhr und die Isländer um 18.00 Uhr ein. Dann kommen alle gleichzeitig an.

Hildur: Die Spur im Fjord ist Ihr erster Kriminalroman und wurde sofort zum isländischen Kriminalroman Nr. 1 in Finnland. Wie fühlt es sich an, als Schriftsteller so erfolgreich zu sein?

Ich bin erstaunt. Ja, es ist sogar fast seltsam. Ich wollte nur eine gute Geschichte über meine imaginäre Freundin Hildur Rúnarsdóttir erzählen. Für mich sind die Charaktere der Romanfiguren das Interessanteste, die Rahmenhandlung und Kriminalgeschichte habe ich erst später entwickelt. Und plötzlich gab es Hunderttausende Menschen, die meine Geschichte lesen oder hören wollten. Ich bin darüber sehr dankbar und glücklich. Ich arbeite seit über zwanzig Jahren als Autorin und hatte noch nie einen solchen Erfolg. Ich versuche immer noch zu begreifen, warum das passiert ist.

Sie sind mit Ihrer Familie von Reykjavík in die kleine Stadt Ísafjörður im äußersten Nordwesten Islands gezogen. Dort leben weniger als 3000 Menschen. Was hat Sie zu diesem Schritt bewogen und wie sieht Ihr Leben und das Ihrer Familie in einer so abgelegenen Region aus?

Wir sind sehr aktive Outdoor-Menschen und lieben Wandern, Skifahren, Radfahren und Reiten. Als wir noch in Reykjavik gelebt haben, mussten wir immer in die Natur hinausfahren. In einem Sommer, als wir im Nordwesten Islands unterwegs waren, kam uns die Idee, eine Zeit lang auf dem Land zu leben. Ísafjördur verfügt über hervorragende Skibedingungen (Langlaufski, Abfahrtsski, Backcountry-Skifahren), gute MTB-Strecken und ausgezeichnete Wanderwege. Deshalb beschlossen wir, für ein Jahr dorthin zu ziehen. Unsere gesamte Familie fühlte sich dort so wohl, dass wir nicht mehr nach Reykjavik zurückkehren wollten. Seit vier Jahren leben wir nun dort. Wie die Zeit vergeht!

Ihre Protagonistin Hildur wohnt in einem großen Holzhaus direkt im alten Dorfkern. Wohnen Sie auch in einem der wunderschönen Holzhäuser aus dem 18. und 19. Jahrhundert, die von Fischhändlern gebaut wurden?

Wir wohnen in einem alten Betonhaus. Ich habe etwas über unser Haus recherchiert und herausgefunden, dass unser Haus tatsächlich eines der ersten Betonhäuser in Island ist. Der Betonbau kam im Jahr 1904 nach Island und im selben Jahr wurde unser Haus gebaut. Die Außenschicht unseres Hauses besteht aus Wellblech, wie bei einem großen Teil der alten Häuser in Island. Das Eisen schützt den Beton und bei Holzhäusern das Holz vor Wind, Regen und kleineren Erdbeben.

Die Region um Ísafjörður ist wild, unberührt und einsam mit ihren kilometerlangen Bergketten. Fast wie am Ende der Welt. Welchen Einfluss hat diese Umgebung auf die Atmosphäre in Ihrem Kriminalroman?

Die Natur und die Lage spielen eine wichtige Rolle. Wenn ich schreibe, schaue ich aus unserem Fenster und sehe die Landschaft, in der die Geschichte spielt. Wenn ich woanders schreibe, betrachte ich meine Fotos oder schaue mir Musikfilme an. Für mich ist die Natur einer der Hauptcharaktere der Geschichte. Ruhig, friedlich und isoliert. Hildur lebt dort und atmet die Luft und fühlt sich in Ísafjördur zu Hause. Doch was um alles in der Welt könnte an einem solchen kleinen, friedlichen und schönen Ort wie diesen passieren? Hier kommen dann meine Fantasie und Fiktion ins Spiel.

Welche Mentalität haben die Menschen dort? Macht die Einsamkeit die Bewohner einsam? Oder halten sie im Gegenteil lieber zusammen und stehen füreinander ein?

Die meisten Menschen, die ich in Ísafjödur und den Westfjorden kenne, sind gesellig und kontaktfreudig, fröhlich und gesprächig. Sie stehen füreinander ein und genießen die Gesellschaft der anderen.

Die Isländer glauben immer noch an Gestalten wie Trolle oder Geister.

Ja, das tut sie. In Island sind Geistergeschichten weit verbreitet, wie Geschichten von ‚Menschen, die in einer Mauer verschwunden sind‘. Ich finde diese Geschichten sehr faszinierend. Die Seelen toter Menschen leben in den Wänden ihrer Häuser, meist in den Wänden des dunkelsten Raums, wie in einem Korridor ohne Fenster. Wenn die Seelen verärgert sind, weil sie zum Beispiel gewaltsam gestorben sind oder ein unglückliches Leben geführt haben, können sie sich rächen, indem sie noch lebende Menschen in die Mauern ziehen.

In den letzten Jahren wurden sogar Bauprojekte gestoppt, weil die Baugebiete als Heimat von Elfen und Zwergen galten. Spielt der Tunnelbau deshalb eine wichtige Rolle in Ihrer Kriminalgeschichte?

Der Tunnel aus meinem Roman existiert tatsächlich in Ísafjördur. Ich finde ihn beängstigend, denn er ist sehr dunkel und eng. Eines Tages, als ich mit meinen beiden Töchtern durch den Tunnel zu einem Schwimmbad ins Nachbardorf ging, dachte ich: Was wäre das Schlimmste, was hier passieren könnte? Ich habe eine Weile darüber nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass das Schlimmste wäre, wenn ich nicht mehr herauskommen würde. Wenn der Ein- und Ausgang sich schließen würden und mich der Berg verschlucken würde.

Beeinflusst die nordische Mythologie auch Ihre Fantasie als Schriftsteller? Denn die Finnen sind auch das Land der Märchen, Sagen und Legenden.

Auf jeden Fall! Ich finde die ‚andere Ebene‘ äußerst interessant. Es muss etwas anderes geben als die Dinge, die wir sehen. Ich habe so viele isländische „Hellseher“ getroffen und so viele Geschichten von Leuten gehört, die mich wirklich berührt haben. Für mich geht es dabei vor allem um die Natur und die Umwelt. Die Geschichten der „Hellseher“ sollen die Natur schützen und unsere Geschichte als Mensch bewahren.

Island ist in vielerlei Hinsicht ein Musterland der Gleichberechtigung: Die weltweit erste Präsidentin, die in freien Wahlen gewählt wurde, war Isländerin und Ihre Hauptfigur ist ebenfalls eine Detektivin. Beeinflusst die ausgeprägte isländische Emanzipation den Charakter Ihrer Krimifiguren?

Ich denke, das stimmt. Hildur Runarsdóttir ist eine unabhängige Frau, die alleine leben möchte. Sie möchte keine eigene Familie oder Kinder haben, sie ist so glücklich, wie sie sein kann. Sie isst, was sie will, hat Hobbys, die sie mag, und sagt Dinge ganz direkt.

Was hat Sie dazu bewogen, einen Kriminalroman zu schreiben, und woher nehmen Sie Ihre Fantasie, um über grausame Verbrechen wie Mord, Vergewaltigung und häusliche Gewalt zu schreiben?

Ich habe viele Reisegeschichten, Reise-, Studien- und Auto-Fiction-Bücher und ein Strickbuch geschrieben. Nach meinem letzten Sachbuch wurde mir klar, dass es keine Themen mehr gibt, über die ich schreiben könnte. Ich hatte mein gesamtes Wissen weitergegeben. Aber ich wollte unbedingt weiterschreiben und ich liebe es, lange Texte zu schreiben. Also war der einzige Weg, weiterzuschreiben, eine Geschichte zu erfinden. Ich war schon immer ein großer Fan von Kriminalromanen, daher war folgerichtig, selbst eine zu schreiben. Fiktive Verbrechen sind aber nie ganz aus der Luft gegriffen. Island ist ein wunderschönes und friedliches Land, aber auch hier passieren verrückte Dinge. Dieser große Kontrast zwischen Gut und Böse lässt mich mit der ‚Was wäre wenn-Idee‘ spielen.

Was hat Sie dazu inspiriert, die Figur der außergewöhnlichen Detektivin Hildur zu erschaffen? Und haben Sie etwas mit ihr gemeinsam?

In der Corona-Zeit konnten wir keine Gäste empfangen oder jemanden treffen, der nicht zu unserer engsten Familie gehörte. Also fing ich an, mir eine imaginäre Freundin zu erschaffen. Ich überlegte, welche Person würde ich gern kennenlernen. Wie würde sie sein, was würde sie tun, was würde sie denken. So habe ich Hildur zu einer Person gemacht, mit der ich selbst gerne Zeit verbringen würde. Nicht zu ähnlich, aber auch nicht zu unterschiedlich.

Hildur liebt es, auf den eisigen Wellen des Atlantiks zu reiten. Surfst Sie auch?

Auf keinen Fall! Mir sind Whirlpools und heiße Naturquellen lieber. Das isländische Meerwasser ist mir viel zu kalt und Surfen ist für meinen Geschmack ein Extremsport. Ich kann nicht einmal Abfahrtsski fahren, ich bevorzuge langsames Langlaufen. Doch ich habe viele Freunde, die in Island surfen. Ich schaue ihnen gern zu und freue mich, dass sie ihre Liebe zu den eisigen Wellen mit mir teilen.

Hildurs Praktikant hat ein für Männer ungewöhnliches Hobby. Er strickt.

Hinter diesem Strickbuch steckt eine lustige Geschichte. Ich wollte stricken lernen, weil ich mir ausgedacht hatte, dass Hildurs Polizeipraktikant zur Entspannung strickt. Deswegen wollte ich wissen, wie sich Stricken anfühlt und warum so viele Menschen es lieben. Und ich wollte in der Lage sein, die Stricktechniken und -muster zu beschreiben. Also fing ich in Büro während der Schreibpausen an, einen Islandpullover zu stricken. Meine Freundin Sigridur Sif, genannt Sigga, die im gleichen Büro arbeitete, lachte über meine Versuche. Sie ist eine enthusiastische Strickdesignerin und hat ihre eigene Strickerei. Sie brachte mir viel über das Stricken bei und half mir, meinen ersten traditionellen isländischen Pullover von unten nach oben zu stricken.

Sie haben zusammen mit Sigridur Sif Gylfadottir ein Strickbuch geschrieben, das im September 2023 im südwest Verlag erscheint. Ist das Buch ein Ausgleich zu Ihren „harten“ Krimi?

Als ich erfuhr, dass Sigga viele unveröffentlichte Strickmuster über isländische Lopapeysas (Pullover) kannte, kam uns die Idee, gemeinsam ein Buch darüber zu machen. Ich kontaktierte meinen finnischen Verleger, und er war von der Idee begeistert. Das Strickbuch mit Sigga zu erstellen hat ungeheuer viel Spaß gemacht. Und auch beim Stricken werde ich immer besser. Mein erster Pullover sah aus wie eine Kartoffeltüte mit Schnüren. Aber die nächsten Pullover waren schon ganz passabel. Heute macht mir das Stricken Spaß! Es ist ein tolles Hobby, um zu entspannen und den Kopf zu leeren.

Im April 2024 und Oktober 2024 erscheinen in Deutschland weitere Krimis mit Kommissarin Hildur. Haben Sie den Thriller von Anfang an als eine Serie betrachtet?

Als ich anfing, Hildur zu schreiben, wusste ich, dass die Geschichte von Hildur und ihren Schwestern mindestens drei Bücher umfassen würde. Also ja, ich hatte eine Serie im Sinn. Ob es mehr werden, kann man noch nicht sagen. Das weiß ich erst, wenn das dritte Buch mit dem Titel „Jakob“ fertig ist und diesen Herbst in Druck geht.

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