Aktuelles | 25.09.2023 | Goldmann

Reinhard Friedl im Interview übers Blut

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Priv. Doz. Dr. med. Reinhard Friedl ist eine Koryphäe auf seinem Gebiet.

Herr Friedl, als Herzchirurg sind Sie in Ihrer täglichen Arbeit mit Blut konfrontiert. Was fasziniert Sie am Blut am meisten?

Blut ist das Symbol für Leben. Unser Lebenssaft. Dieses rote Organ fließt lautlos und geschmeidig in allen anderen Organen, verbindet sie miteinander und schenkt uns das Leben. Leider habe ich oft erlebt, wie Blut bei schweren Erkrankungen den Körper unwiederbringlich verlässt, und ein Mensch unter meinen Händen zu sterben drohte. Dann ist Blut der unentbehrliche Helfer des Notfallchirurgen, der das nackte Leben nur retten kann, wenn sein Patient auch Bluttransfusionen erhält. Im Blut vereinen sich die großen Themen unserer Existenz zu einem sichtbaren Kreislauf: Leben und Tod. Durchblutungsstörungen führen zu den schlimmsten Schmerzen, die ein Mensch haben kann. Ohne dass Blut fließt, werden wir nicht geboren und sind Frauen nicht fruchtbar. Es fließt auf mysteriöse Art bereits vor dem ersten Herzschlag und, wie ich im OP oft gesehen habe, auch noch nach dem Letzten. Blut war mein täglicher Begleiter, und doch trägt es ungelöste Geheimnisse, deren Spuren ich folgen wollte.

 

Viele Menschen können Blut nicht sehen, einige Studierende werden im OP-Saal sogar ohnmächtig. Woran liegt das?

Sein Anblick konfrontiert uns mit unserer Endlichkeit, zumindest mit großer Gefahr. Und das halten manche Menschen nicht aus. Die gefühlte Ausweglosigkeit kann einen Totstellreflex mit Ohnmacht auslösen, der im Laufe der Evolution jedoch unser Leben gerettet hat. Fiel in der Eiszeit ein verfolgter Urmensch gleich in Ohnmacht, sobald er nach der ersten Attacke des Säbelzahntigers Blut sah, war er für die Bestie nicht mehr interessant. Sie hielt ihn für tot, verdorben, ungenießbar und ließ von ihm ab. Das Leben des Opfer ging weiter. Wie meines Wissens auch bei allen Studierenden, die im OP ohnmächtig wurden.

 

In Ihrem Buch sprechen Sie u. a. die zahlreichen Redewendungen an, die über Blut in unserer Sprache verankert sind, und die weit in die Vergangenheit reichen. Wussten die Menschen in der Antike mehr über Blut und dessen Bedeutung als wir heute?

Schon damals waren Gelehrte der Überzeugung, die Seele wird vom Blut genährt. Die intimen Beziehungen von Seele, Geist und Bewusstsein finden wir heute in den bunten Bildern moderner Gehirnscans bestätigt. In ihnen ist das Fließen von Blut zu sehen und nicht, wie oft fälschlich angenommen, die Aktivität von Nervenzellen. Blut versorgt unsere Gehirne mit dem Sauerstoff für den zündenden Funken, der uns inspiriert und weitermachen lässt, auch wenn es manchmal schwierig ist. Blut ist immer auch Herzblut, denn es kommt aus dem Herzen und die beiden Organe sind so untrennbar verbunden wie das Wasser und die Quelle. Woher das Blut aber weiß, in welchen Gehirnregionen es gerade am meisten gebraucht wird, das ist eine der großen Fragen der Neurowissenschaften und Bewusstseinsforschung.

 

Der Untertitel Ihres Buches lautet: „Wie Körper und Geist, Wirtschaft und Kultur mit unserem roten Organ verwoben sind“. Sie thematisieren traumatische Erlebnisse aus Kindheit und Jugend, die im Körper verankert bleiben. Was genau haben sie mit unserem Blut zu tun?

Bei großem Leid blutet immer auch die Seele. Gerade das psychische Trauma aus der Kindheit ist in unserem Blut gespeichert und vergiftet langsam unser Leben. Die Folgen sind Suchtverhalten, Fettleibigkeit, Autoimmunerkrankungen, Herzerkrankungen und viele andere Störungen unseres Gesundheit. Auch ein kollektives Trauma wie Krieg hinterlässt seine Spuren im Blut der Bevölkerung. Er wird sogar damit bezahlt. Wenn unseren runden roten Blutkörperchen aufgrund von Gewalt aus uns herausfließen, transformieren sie zu Blutcoins – gewissermaßen zur kryptischen Währung von Macht, Brutalität und Gier. Das Ausbluten von Leib und Seele ist der größte Killer in der Geschichte der Menschheit. Aber es hat auch die Farbe der Liebe und das ist für jeden sichtbar, wenn Verliebte zart erröten. In meinem neuen Buch erzähle ich von tragischen und glücklichen Schicksalen, rund ums Blut: von Gewalt, Liebe, Trauma und Heilung.

 

Was sollte Ihrer Ansicht nach jede*r über Blut wissen?

Blut ist flüssige Information und weiß fast alles über uns. Oft lange bevor wir es selbst wissen. 70% aller Diagnosen werden anhand von Blut gestellt. Nach seinem Vorbild arbeiten Wissenschaftler am Liquid Computing, intelligenten Flüssigkeiten, in denen alles mit allem verbunden ist. Blutbahnen sind der superschnelle Highway des Immunsystems und die Intelligenz von Blut sehen wir auch daran, dass es erkennt, wenn wir verletzt werden. Dann ändert es seinen Zustand von flüssig zu fest, dichtet uns ab, lässt und heilen und weiterleben. Heilung ist eines der großen Wunder des Lebens und ohne Blut nicht möglich. Da es auch von anderen Menschen stammen kann, ist Blut ein kollektives Organ. Ich glaube, wenn wir uns ein wenig damit beschäftigen, werden wir so etwas wie Blutsgeschwister und erkennen, wir sind ein Blut.

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