Pierrot Raschdorff im Interview
Pierrot Raschdorff über Stereotype, Diversity in der Arbeitswelt und seinen Heimat-Begriff.
In Ihrem Buch zeigen Sie auf, wie wichtig Bilder sind, um Stereotype aufzulösen. Reicht es, dass wir zum Beispiel eine Schwarze Nachrichtensprecherin im Fernsehen oder einen CEO im Rollstuhl sehen?
Nein, das reicht absolut nicht. Aber es ist definitiv ein wichtiger und richtiger Schritt. Welche Stereotype haben wir in unseren Köpfen, wenn wir an Schwarze Menschen in Deutschland denken? Vor allem spontan tauchen immer noch sehr klassische Bilder auf. Kein Wunder, haben die meisten von uns solche Vorstellungen von Kindheit an verinnerlicht. Schauen Sie
zum Beispiel ältere Kinderbücher oder Filme an und welche Rollen Schwarze Menschen dort besetzen. Wir alle – und vor allem Kinder – lernen durch Beobachtungen und füttern ganz ungewollt unser Gehirn mit Stereotypen, die sich schnell verfestigen. Stereotype sind Schubladen im Kopf. Es gilt, dass wir diese Schubladen mit neuen Bildern auffüllen, die uns weniger dazu verleiten, in Vorurteilen zu denken. Dabei ist es wichtig, Vielfalt nicht als Selbstzweck zu sehen und sie nur zu zeigen. Es geht darum, mit Stereotypen zu brechen. Das Bild einer Schwarzen Nachrichtensprecherin um 20:15 Uhr bei der Tageschau oder beim heute journal – wie es manchmal bereits der Fall ist – setzt also neue Bilder in den Kopf, Bilder, die wir so in Deutschland sehr selten sehen, welche aber mehr gezeigt werden müssen. Sie erzählen neue, positive Geschichten von Schwarzen Menschen in Deutschland. Dies lässt sich selbstverständlich auf viele Menschengruppen, die Diskriminierung erfahren, übertragen. Nach wie vor sehen wir, nicht nur in den Medien, kaum Menschen mit körperlicher oder geistiger Beeinträchtigung. Sie sind eine große Gruppe in Deutschland und tauchen noch viel zu wenig in der Öffentlichkeit auf, ohne dabei auf Stereotype reduziert zu werden.
Vorurteile sind nicht das Problem, sondern Teil eines Entwicklungsprozesses. Wie können wir diesen Prozess so begleiten, dass ein Miteinander ohne Diskriminierung möglich wird?
Ein Miteinander ohne Diskriminierung wäre natürlich schön, sehe ich aber noch als ein hehres Ziel. Aber ja, ganz allgemein lässt sich beobachten, dass Gesellschaften immer liberaler werden und ich glaube, dass wir auf einem guten Weg sind. Bewegungen wie BlackLivesMatter oder #meToo rütteln an alten und stabilen Gerüsten, auf denen viel Diskriminierung in unserer Gesellschaft stützt. Diese Entwicklung ist gut, auch wenn sie vielleicht manchmal ein wenig weh tut, sie ist aber notwendig um alte hierarchische Strukturen aufzubrechen. Wenn wir jetzt wieder stärker aufeinander zugehen und in den Dialog gehen würden, könnten wir den Prozess noch beschleunigen, ohne dass die Gesellschaft weiter polarisiert. Manchmal ist zu beobachten, dass man sich gegenseitig kaum noch zuhört und nur noch die eigene Meinung zählt. Es ist wichtig, Zwischentöne und Ambiguitäten mehr zuzulassen.
Geboren in Ruanda, sind Sie in Ostfriesland aufgewachsen, haben zehn Jahre in Hamburg verbracht und leben nun in München. Was bedeutet Heimat für Sie?
Heimat ist ja vor allem in Deutschland ein schwieriger Begriff. In meinem Leben taucht er immer wieder auf, weil ich schlicht und ergreifend danach gefragt werde. Von “Wo kommst du wirklich her?” bis “Wo ist denn deine Heimat?“. Heimat empfinde ich oft, wenn ich nicht mehr an einem Ort lebe und an diese vergangene Zeit denke. Es hat auch was mit Sehnsucht zu tun. Selbstverständlich knüpft es an die Menschen an, die einen umgeben und einem das Gefühl von Wertschätzung und Zugehörigkeit gegeben haben. Vor allem Letzteres ist entscheidend, damit sich Menschen wohl und geborgen fühlen. In Ostfriesland beispielsweise habe ich mich geborgen gefühlt.
Janne Lemke