Aktuelles | 18.08.2022 | Mosaik Verlag

Pierrot Raschdorff im Interview

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Pierrot Raschdorff über Stereotype, Diversity in der Arbeitswelt und seinen Heimat-Begriff.

In Ihrem Buch zeigen Sie auf, wie wichtig Bilder sind, um Stereotype aufzulösen. Reicht es, dass wir zum Beispiel eine Schwarze Nachrichtensprecherin im Fernsehen oder einen CEO im Rollstuhl sehen?

Nein, das reicht absolut nicht. Aber es ist definitiv ein wichtiger und richtiger Schritt. Welche Stereotype haben wir in unseren Köpfen, wenn wir an Schwarze Menschen in Deutschland denken? Vor allem spontan tauchen immer noch sehr klassische Bilder auf. Kein Wunder, haben die meisten von uns solche Vorstellungen von Kindheit an verinnerlicht. Schauen Sie
zum Beispiel ältere Kinderbücher oder Filme an und welche Rollen Schwarze Menschen dort besetzen. Wir alle – und vor allem Kinder – lernen durch Beobachtungen und füttern ganz ungewollt unser Gehirn mit Stereotypen, die sich schnell verfestigen. Stereotype sind Schubladen im Kopf. Es gilt, dass wir diese Schubladen mit neuen Bildern auffüllen, die uns weniger dazu verleiten, in Vorurteilen zu denken. Dabei ist es wichtig, Vielfalt nicht als Selbstzweck zu sehen und sie nur zu zeigen. Es geht darum, mit Stereotypen zu brechen. Das Bild einer Schwarzen Nachrichtensprecherin um 20:15 Uhr bei der Tageschau oder beim heute journal – wie es manchmal bereits der Fall ist – setzt also neue Bilder in den Kopf, Bilder, die wir so in Deutschland sehr selten sehen, welche aber mehr gezeigt werden müssen. Sie erzählen neue, positive Geschichten von Schwarzen Menschen in Deutschland. Dies lässt sich selbstverständlich auf viele Menschengruppen, die Diskriminierung erfahren, übertragen. Nach wie vor sehen wir, nicht nur in den Medien, kaum Menschen mit körperlicher oder geistiger Beeinträchtigung. Sie sind eine große Gruppe in Deutschland und tauchen noch viel zu wenig in der Öffentlichkeit auf, ohne dabei auf Stereotype reduziert zu werden.

Vorurteile sind nicht das Problem, sondern Teil eines Entwicklungsprozesses. Wie können wir diesen Prozess so begleiten, dass ein Miteinander ohne Diskriminierung möglich wird?

Ein Miteinander ohne Diskriminierung wäre natürlich schön, sehe ich aber noch als ein hehres Ziel. Aber ja, ganz allgemein lässt sich beobachten, dass Gesellschaften immer liberaler werden und ich glaube, dass wir auf einem guten Weg sind. Bewegungen wie BlackLivesMatter oder #meToo rütteln an alten und stabilen Gerüsten, auf denen viel Diskriminierung in unserer Gesellschaft stützt. Diese Entwicklung ist gut, auch wenn sie vielleicht manchmal ein wenig weh tut, sie ist aber notwendig um alte hierarchische Strukturen aufzubrechen. Wenn wir jetzt wieder stärker aufeinander zugehen und in den Dialog gehen würden, könnten wir den Prozess noch beschleunigen, ohne dass die Gesellschaft weiter polarisiert. Manchmal ist zu beobachten, dass man sich gegenseitig kaum noch zuhört und nur noch die eigene Meinung zählt. Es ist wichtig, Zwischentöne und Ambiguitäten mehr zuzulassen.

Geboren in Ruanda, sind Sie in Ostfriesland aufgewachsen, haben zehn Jahre in Hamburg verbracht und leben nun in München. Was bedeutet Heimat für Sie?

Heimat ist ja vor allem in Deutschland ein schwieriger Begriff. In meinem Leben taucht er immer wieder auf, weil ich schlicht und ergreifend danach gefragt werde. Von “Wo kommst du wirklich her?” bis “Wo ist denn deine Heimat?“. Heimat empfinde ich oft, wenn ich nicht mehr an einem Ort lebe und an diese vergangene Zeit denke. Es hat auch was mit Sehnsucht zu tun. Selbstverständlich knüpft es an die Menschen an, die einen umgeben und einem das Gefühl von Wertschätzung und Zugehörigkeit gegeben haben. Vor allem Letzteres ist entscheidend, damit sich Menschen wohl und geborgen fühlen. In Ostfriesland beispielsweise habe ich mich geborgen gefühlt.

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In "Schwarz. Rot. Wir." beschreiben Sie anschaulich, dass der „Scheinwerfer“, der auf Sie gerichtet ist, viel mit Ihrer Wahrnehmung zu tun hat. Was genau meinen Sie damit?

Der Scheinwerfer kommt in jedem Fall von außen. Ich nehme ihn zwar wahr, aber ich knipse das Licht nicht an. Dass ich im Raum bin und immer noch als Schwarzer Mann auffalle – metaphorisch gesprochen – ist nicht mein Verdienst, sondern zeigt nur, wo wir gesellschaftlich noch immer stehen. Mein Leben ist einfacher, wenn das Licht gedimmt oder aus ist. Ich gehe gern unter und bin einer unter vielen, ohne beispielsweise erklären zu müssen, wo ich herkomme. Die Frage ist: Wie gehe ich damit um? Ich habe mich bewusst entschieden, mich jetzt dem Thema Diversity zu nähern. Aber ich möchte darüber nicht ausschließlich definiert werden. Ich finde People of Color (kurz: PoC) spannend, die ausdrücklich sagen, ich möchte mich zu Themen wie Diskriminierung oder Rassismuserfahrung nicht äußern, sondern als Fachperson für meine Profession anerkannt werden. Das sind für mich die Diversity Champions, von denen wir mehr brauchen und die hoffentlich meine kleine Tochter in Zukunft als natürlich wahrnehmen wird. Melanie Raabe als sehr erfolgreiche Thriller-Schriftstellerin oder Kenza Ait Si Abbou als Expertin für KI und Roboter stelle ich beispielsweise in meinem Buch vor.

In der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt ist man in Hinblick auf Diversity auf einem guten Weg. Warum tut man sich gesamtgesellschaftlich noch so schwer?

Viele Unternehmen haben das Thema Vielfalt auf ihrer Agenda. Das ist gut und ich hoffe es schwappt auch in andere gesellschaftliche Bereiche über. Ähnlich wie in den 90er Jahren, als alle über Nachhaltigkeit gesprochen haben und dann jahrelang Greenwashing betrieben wurde, fühlt es sich allerdings auch jetzt manchmal beim Thema Diversity Management an. Viele reden drüber, aber tatsächliche Veränderung streben die wenigsten an oder finden noch nicht den Weg, wie sie dieses große und komplexe Thema angehen sollen. Einige Unternehmen betreiben in der Tat PR-trächtig “Color Washing”, also schöne Maßnahmen ohne tatsächlichen Mehrwert. Ich bin optimistisch und glaube, dass dies der Beginn ist und wir zukünftig wirkliche Veränderung spüren werden. Es gibt eine neue, junge Generation, die diesen Prozess regelrecht vorantreibt und neue Maßstäbe setzt, die gesamtgesellschaftliche Auswirkungen haben werden. Unsere Großstädte sind bereits sehr vielfältig: teilweise haben über 60% der unter 30-Jährigen in Großstädten Migrationserfahrung. Jetzt braucht es nur noch mehr Chancengerechtigkeit und Wertschätzung, damit Vielfalt in allen Bereichen unseres Lebens stattfindet. Wo sind die weiblichen CEOs oder PoCs in DAX Konzernen? Wir sollten daher nicht nur über Diversity sprechen, sondern auch über Equity (Chancengerechtigkeit), Belonging (Zugehörigkeit) und Inclusion (Inklusion/ Wertschätzung).

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