Als Chief Sustainability & Diversity Officer bei RTL Deutschland setzt du dich täglich für Diversität und Chancengleichheit ein. Warum ist dir das Thema so wichtig?
Ich habe, wie ganz viele Menschen, im Laufe meines Berufslebens festgestellt, dass wir keine Chancengleichheit in Deutschland haben. Das ist einfach ein Fakt. Am Tag der Geburt entscheidet sich - je nachdem, wie jemand ausschaut, wo jemand herkommt, welches Geschlecht jemand hat und so weiter - ob diese Person oder mit welcher Wahrscheinlichkeit diese Person es in diesem Land in eine Führungsrolle schafft; sei es in der Politik oder in der Wirtschaft, aber auch in anderen Bereichen, in Vereinen, im Privaten oder im sozialen Bereich […]. Dass das ein Problem ist, erkennt man entweder im Laufe des Berufslebens oder auch schon früher - je nachdem wie aktiv man selbst davon betroffen ist. Für mich war klar, dass ich nicht nur meine Stimme, sondern auch meine Privilegien einsetzen möchte, um daran etwas zu ändern. Das ist mein intrinsischer Antrieb, natürlich getrieben davon, dass ich ganz viele Geschichten miterlebe oder Leute mir erzählen, welche Diskriminierungserfahrungen sie machen oder dass ich in der Literatur und in den sozialen Netzwerken ganz viel mitbekomme, warum ich denke, dass wir noch einen so langen Weg vor uns haben. Deswegen will ich einen Beitrag dazu leisten, dass dieser Weg gegangen wird und vielleicht sogar ein bisschen kürzer wird.
Wie gehst du mit Rückschlägen um? Wie bewahrst du den Mut und die Zuversicht, wenn Veränderungen nicht schnell genug umgesetzt werden?
Ich glaube, dass Rückschläge Teil des Spiels sind, muss man einfach anerkennen. Gesellschaftlicher Wandel braucht Zeit, wir als Gesellschaft dürfen uns nicht überfordern. Wenn man überlegt, dass Frauen überhaupt erst seit 1977 ohne die Erlaubnis ihres Mannes arbeiten dürfen, dann ist das im Bezug auf die Arbeitswelt gesehen, ehrlich gesagt, erst ein paar Sekunden her, dass wir überhaupt darüber sprechen, dass die Arbeitswelt im Wandel ist oder dass wir eine neue Arbeitswelt brauchen. Ich sage immer, der weiße Mann ist das DIN A4-Blatt der Arbeitswelt, also die Norm oder der Standard. Aktuell sagt man, dass alle versuchen können ein DIN-A4-Blatt zu werden, aber nicht, dass man versucht einen Drucker zu bauen, in den auch andere Blattgrößen und Farben hineinpassen. Wir müssen anerkennen, dass nicht alle Menschen in der gleichen Geschwindigkeit Wandel umsetzen können und wollen und dass es Diskussionen gibt. Diskussionen sind wichtig. Denn Macht bedeutet Bewegung; Menschen bewegen sich in eine Richtung, die sie vorher nicht gegangen wären.
Der Unterschied ist Herrschaft, nämlich dass man mit Strukturen und Regeln Dinge durchsetzt. Ganz wichtig ist auch der aktuellen intersektionalen-feministischen Bewegung, zu sagen, dass wir es schaffen müssen, dass Türen aufgehen - und zwar für alle. Es geht nicht darum, dass Frauen - weiße Frauen - in den Vorstand kommen, sondern darum, dass alle Menschen so leben können, wie sie wollen. Das bedeutet, dass zum Beispiel auch Männer gleichberechtigte Elternteile werden, dass auch sie in Eltern- und Teilzeit gehen können und man da fifty-fifty macht.
Wir müssen es schaffen, dass alle Gruppen sehen, warum sie selbst auch ein Teil davon sein müssen und dass Feminismus sich nicht gegen Männer richtet. Das ist zum Beispiel der erste Fall. Wir müssen aufhören, über alte weiße Männer zu sprechen, was auch ein total diskriminierendes Stereotyp ist. Wir müssen anfangen, darüber zu sprechen, welche Lösungen es gibt und wie wir uns Schritt für Schritt vorarbeiten. Es wäre seltsam, wenn es keine Rückschläge gibt. Deswegen müssen wir sie mit einer gewissen Leichtigkeit nehmen und immer konstruktiv bleiben.
Du hast für dein (Hör)buch mit vielen anderen Frauen gesprochen, die ihre Erfahrungen mit dir geteilt haben. Warum ist es wichtig, dass Frauen sich gegenseitig bei der Umsetzung ihrer Ziele unterstützen und fördern?
Ich habe für mein Hörbuch mit 15 Frauen gesprochen, die es geschafft haben, in ihrem jeweiligen Feld Hürden zu überwinden. Ich habe aber auch mit Frauen gesprochen, weil es mir wichtig war, unterschiedliche Perspektiven abzubilden. Denn wenn wir über Vielfalt sprechen, dann bedeutet das unterschiedliche Perspektiven und auch ich habe nur eine Perspektive, nämlich meine eigene. Deshalb fand ich es total spannend zu hören, welche Erfahrungen diese Frauen gemacht haben und ich glaube, es gibt verschiedene Punkte, die ich daraus lernen konnte. Ich kann jetzt nicht alle nennen, aber ein paar wichtige herauspicken.
Das eine ist, dass wir uns um die Stärke von Netzwerken Gedanken machen. Frauen haben, auch durch die Sozialisierung, ein sehr anderes Netzwerk-Verhalten als Männer. Männer neigen dazu, sich eher nach oben zu vernetzen, eher mit Menschen Kontakt zu suchen, die vielleicht mehr Einfluss haben, um damit vielleicht auch selbst Einfluss zu gewinnen. Frauen machen das nicht, sondern schauen eher auf gleicher Ebene oder nach unten, hierarchisch gesehen. Dementsprechend ist es wichtig, dass Frauen die Angst vor dem Netzwerken und vor dem Netzwerken nach oben verlieren.
Das Zweite ist, dass wir lernen müssen, uns weiterzuempfehlen, dass wir uns einfach unterstützen, selbst wenn das bedeutet, dass es schiefgehen könnte. Männer empfehlen andere Männer sehr viel wahrscheinlicher weiter. Frauen haben eher Angst, dass es negativ auf sie zurückfallen könnte. Es ist wichtig, diese Hemmungen abzulegen und zu sagen: „Ich unterstütze dich und vielleicht geht es schief, aber ich mache jetzt eine Tür auf und ob du durch gehst, entscheidest du dann selbst“.
Auch der Punkt „Macht“ wird bei vielen Frauen als sehr negativ empfunden, da es dunkel und böse klingt. Aber Macht bedeutet eigentlich nichts anderes, als Dinge bewegen zu können, Mitbestimmung. Frauen können sich gegenseitig bestärken, das positiv zu konnotieren und zu sagen, dass sie mitbestimmen wollen, ins Risiko gehen und Verantwortung übernehmen.
Beim Thema „Sprache“ geht es zum einen darum, welche Sprachbilder wir verwenden – Frauen werden sehr anders beschrieben und beurteilt als Männer; das muss man sich bewusst machen – und zum anderen auch die eigene Stimme zu erheben, wenn man zum Beispiel Ungerechtigkeit sieht. Da bin ich bei dem Punkt, die eigenen Privilegien zu nutzen und einzuschreiten, wenn man Ungerechtigkeit sieht und damit zu unterstützen. Dadurch kann ich zum Schluss entweder ein Mentor, eine Mentorin oder auch einfach ein Ally sein.
Kannst du dich an den größten Fehler erinnern, den du zu Beginn deiner Karriere gemacht hast?
Mein größter Fehler war, dass ich immer von allen gemocht werden wollte. Ich hatte das Bedürfnis, alle Menschen davon zu überzeugen, dass ich wahnsinnig liebenswürdig und nett bin. Das bedeutet natürlich auch, sich manchmal falsch anzupassen und manchmal einer Erwartung gerecht zu werden, obwohl das überhaupt nicht mehr authentisch ist. Das Thema Konfliktvermeidung, gemocht zu werden, das liebe Mädchen zu sein, nur nicht zu laut und so viel Raum einnehmend, war ein Glaubenssatz, den ich hatte, der total zu meinem Nachteil war und wahrscheinlich nervig wurde - nicht nur für mich, sondern auch für andere.
Dementsprechend musste ich das einmal ablegen und einfach als gesetzt sehen, dass ich nicht von allen gemocht werde und dass ich manchmal in Konflikte gehen muss. Wenn jemand über dich sagt, du seiest aber schwierig oder „bossy“ oder so, ist das nichts Negatives. Ich glaube damit klarzukommen, mal anzuecken und auch mal in den Konflikt zu gehen. Das ist etwas, was ich lernen musste und wobei ich mir so viele Gedanken gemacht habe, wer mich alles nicht mögen könnte - wo ich im Nachhinein sage, dass ich das auch mal über Bord werfen kann.
Als ehemalige Geschäftsführerin der Bertelsmann Audio Alliance und Chief Crossmedia Officer bei RTL Deutschland bist du mit der Erstellung von Audio-Content bestens vertraut. War es dir wichtig, das Hörbuch selbst einzulesen?
Mir war es sehr wichtig, das Hörbuch selbst einzulesen. Zum einen, weil es mir so wahnsinnig fehlt, vor einem Mikro zu sitzen. Ich habe mich irgendwann mal für den Job der Radiomoderatorin oder -reporterin entschieden, weil ich das einfach total schön finde. Beim Medium „Audio“ und beim Podcast fand ich es faszinierend, dass es Möglichkeiten gibt, die man in anderen Medien nicht hat: beim Fernsehen, weil man immer Bilder dazu hat, die dazu passen müssen; und beim Print oder Schreiben, weil man die Authentizität einer Tonspur nicht hat. Deshalb war es für mich natürlich klar, dass ich das Hörbuch gerne selbst einlesen möchte und auch mal wieder mit Sprache und Sprechen aktiv zu arbeiten. Und es hat mir Riesenspaß gemacht, im Studio zu sitzen, auch wenn es sehr viel komplexer war als ich dachte. Ich dachte am Anfang, dass ich in zwei Tagen durch bin, aber an Tag 5 wurde ich eines Besseren belehrt.
Hast du bereits einmal selbst ein Hörbuch eingelesen? Oder warst du bisher immer nur Produzentin? Wie ist es für dich, das Ganze von der anderen Seite zu betrachten?
Ich habe im Radio und Fernsehen natürlich oft Beiträge selbst eingesprochen oder war als Moderatorin oder Nachrichtensprecherin aktiv. Ein Hörbuch habe ich noch nicht gemacht und es war wirklich das erste Mal. Ich war überrascht davon, wie komplex das ist und dachte am Anfang, in zwei Tagen ist das Ding durch, aber so lief das leider nicht. Ich war auch überrascht, dass man doch noch mal anders sprechen muss, als man das zum Beispiel beim Radio oder Fernsehen macht. Aber es hat mir Riesenspaß gemacht, mal wieder selbst vor dem Mikro zu sitzen. Denn auch wenn man als Produzentin natürlich die Möglichkeit hat, das Drumherum zu bestimmen, ist es auf der einen Seite irgendwie entspannend, dass man ein Produkt wirklich von Anfang bis Ende begleitet und auch mehr als Produkt sieht, und sich mal wieder in die Rolle der Autorin zu begeben und die zu sein, die vor dem Mikro sitzt und sich nicht darum kümmert, wie das Cover ausschaut und wer noch alles mit darin ist und die Regie gebucht hat und alles. Auf der anderen Seite war es auch wahnsinnig anstrengend, weil natürlich dieser Kontrollverlust, der damit einhergeht, auch eine neue Erfahrung für mich war.
Haben sich beim Einlesen noch mal ein neuer Blick auf deinen Text und vielleicht sogar neue Gedanken dazu ergeben?
Ich habe den Text im Spätsommer beendet und dann ging er ins Lektorat. Dementsprechend war, als ich ihn dann eingelesen habe und seit ich den Text wirklich das letzte Mal aktiv in den Händen hatte, ein Vierteljahr vergangen. Am Anfang dachte ich, wer das denn geschrieben hat. Es war wirklich so, als wäre es ein Text, den ich noch nie gesehen hätte. Gleichzeitig habe ich auch noch mal einen ganz anderen Blick darauf gehabt, weil ich quasi objektiver oder in der Rolle der Leserin darauf geschaut habe und nicht mehr in der Rolle der Autorin. Bei manchen Sachen dachte ich, dass ich das jetzt anders schreiben würde, bei anderen Sachen, dass das aber ein kluger Gedanke ist und ob der wirklich von mir kam. Es war auf jeden Fall eine ganz neue Erfahrung und ich hätte am liebsten direkt noch Dinge hinzugefügt, weil ich etwas vergessen habe, es noch fehlt oder spannend ist. Aber ich habe das beim Schreiben aus Gründen gekürzt - auch weil meine Lektorin mir gesagt hat, ich darf eben nicht 500 Seiten schreiben oder die Säulen der Erde Teil 2 daraus machen oder die Chancengleichheitsversion davon. Dementsprechend habe ich mich etwas beschränken müssen. Es war trotzdem unglaublich spannend, diesen Text auch noch mal aus einer Leserperspektive vor mir liegen zu haben. Mir sind noch ganz viele Sachen aufgefallen, die ich dann natürlich direkt meiner Lektorin durchgeben habe, dass wir die noch korrigieren müssen.