Sie bekommen ja sicherlich viele Hörbuchanfragen - was hat Sie bewogen, bei diesem Projekt gleich zuzusagen?
MARTINA GEDECK: Ich fand es eine ganz faszinierende Geschichte, weil sie in unserer Zeit spielt und sich ganz intensiv mit den Topics unserer Zeit beschäftigt. Da kommen ganz viele Themen rein, die im Moment gesellschaftlich relevant sind. Ich fand die Perspektive, die sie [die Protagonistin] einnimmt, interessant; wie sie damit umgeht, dass ihr Mann so ins Kreuzfeuer gerät, wie sie zu ihm steht, wie sie wieder nicht zu ihm steht. Es ist eine ungewöhnliche und berührende Liebesgeschichte, und zwar gar nicht so sehr die Liebesgeschichte zwischen ihr und Vladimir, sondern die zwischen ihr und ihrem Mann. Dadurch, dass das sehr viele verschiedene Schichten sind, und dass es bei dieser Frau ganz unterschiedliche Standpunkte gibt, die sich abwechseln, wird das sehr spannend. Man merkt erst, wenn man das ganze Buch gelesen hat, worum es der Autorin wirklich geht. Insofern gibt es immer eine Art Spannung, die einen durch dieses Buch trägt. Dann hat mir gefallen, dass ganz viel Reflektorisches auch darin ist, dass sie wirklich nachdenkt über Dinge, schonungslos offen ist und man in ihre Gedankenwelt eintauchen kann. Ich fand es eine ganz großartige, klare und unverlogene Frau und Frauenfigur und habe das sehr, sehr gern gelesen.
Gab es eine Wendung im Roman, die Sie besonders überrascht hat?
MARTINA GEDECK: Es gibt zwei Wendungen, die mich besonders interessiert haben. Einmal, dass sich ihre [der Protagonistin] Haltung gegenüber Vladimir, in den sie verliebt ist, in dem Moment ändert, wo sie ihn besitzt, wo er ihr in gewisser Weise ausgeliefert ist. Also in dem Moment, in dem sich ihre Fantasien in Wirklichkeit verwandeln, hört ihre Fantasie auf zu arbeiten und sie verliert das Interesse. Das hat auch was mit der Kreativität und ihrer [der Protagonistin] Fantasie als Schriftstellerin zu tun. Dass der Traum oder die Vorstellung und das, was man sich ausmalt, eine viel größere Kraft hat als das, was dann in Wirklichkeit passiert. In dem Moment, wo sich das einlöst, dreht es sich und verliert seinen Reiz. Und umgekehrt hat mich die Wendung überrascht, dass sie sich wieder ihrem Mann zuwendet, dass sich diese tiefe Liebe und die tiefe Verbundenheit, die zwischen den beiden besteht, wieder entwickelt und zum Leben erweckt wird obwohl sie sich schon so lange kennen. Dass sie wieder zusammenkommen, habe ich nicht erwartet, ungewöhnlich - aber folgerichtig. Mir hat gut gefallen, dass es so endet.
Ist Ihnen beim lauten Einlesen des Textes etwas besonders aufgefallen, was Ihnen in der stillen Vorbereitung nicht so bewusst geworden ist?
MARTINA GEDECK: Ja, ihre [der Protagonistin] Beschäftigung mit dem Körperlichen, die war mir beim ersten Lesen nicht so bewusst. Dass sie damit die ganze Zeit zu tun hat und ganz viel wahrnimmt, was mit dem Körper zu tun hat, ist beim ersten Lesen, beim stillen Lesen, an mir vorbeigeflogen. Aber diesen durchsexualisierten Blickwinkel, den sie hat, in dem Moment zumindest, wo wir auf sie treffen, den finde ich was ganz Eigenartiges und was Besonderes, was sehr Auffallendes. Wir erleben ihre inneren Gedanken und Empfindungen mit, und das nimmt einen großen Platz ein. Auch – das schreibt sie zum Beispiel über sich selbst – dass ihr ihr Körper nicht gefällt und dass sie Schwierigkeiten damit hat, körperlich alt zu werden. Ich konnte mich fast gar nicht daran erinnern, dass sie sich darüber sogar selbst äußert, und dass sie auch selbst beschreibt, dass ihr das auf die Nerven geht, dass sie immer mit Äußerlichem beschäftigt ist. Dass es schon immer so war, auch als sie jung war, dass sie dauernd darüber nachgedacht hat, wie sie aussieht und dass sie so fixiert war auf das Äußerliche. Im Text gibt es also wirklich viel Spielraum dafür, und das fand ich beim lauten Lesen viel deutlicher.
Auch ihre Ironie, ihr Sarkasmus und ihr Humor sind mir beim lauten Lesen deutlicher geworden – wie sie sich über die Dinge lustig macht, wie bösartig sie über die Dinge denkt und spricht und kein Blatt vor den Mund nimmt. Ihre Haltung zur jüngeren Generation finde ich auch ziemlich gelungen. Es hat mir gefallen, dass Sie es nicht als das Gelbe vom Ei nimmt, nur weil die Leute jetzt jung und am Start sind, dass sie trotzdem auf ihre eigene Sicht der Dinge, auch auf ihre eigene Jugend und auf ihre eigene Wahrnehmung besteht und gleichzeitig ihre geistige Überlegenheit deutlich zum Vorschein kommt. All das ist beim lauten Lesen viel stärker, weil man dann hört, wie sie spricht und alles plötzlich eine Form annimmt, anders als beim stillen Lesen.
Gibt es darüber hinaus noch etwas, das Sie gerne zu dem Roman sagen möchten?
MARTINA GEDECK: Ich finde, dass es keine Figur gibt, die durchweg positiv oder durchweg negativ ist. Es ist sehr bemerkenswert, dass es eigentlich um jede Figur herum changiert, dass jede Figur einmal in besonders schönem Licht, besonders exklusivem Licht erscheint, und dann denkt man wieder, oh, das ist eine fürchterliche Person. Es ist eine große Gabe, Menschen so zu beschreiben, dass man sie eigentlich alle mag, sie aber auch mit negativen Ingredienzien zu bedenken. Das ist hier sehr auffallend und etwas, was natürlich großen Spaß macht, weil man nie genau weiß, was passiert jetzt? Was für eine Wendung macht die Figur? Wie bewegt sie sich? In welche Richtung geht sie? Das ist die Spannung bei dem Stück.