Aktuelles | 01.07.2024 | Blessing

Luca Kieser im Interview

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Der Autor im Gespräch über seinen zweiten Roman "Pink Elephant"

Cover Pink Elephant

„Vielleicht ist es der Glaube, dass man über alles schreiben kann und es nur darauf ankommt, wie man es tut.“

Luca, du hast erst letzten Herbst deinen Debütroman veröffentlicht. Ein Jahr später erscheint nun schon dein zweiter Roman „Pink Elephant“. Schreibst du so schnell?

Die ersten Sätze zu „Pink Elephant“ habe ich vor zehn Jahren geschrieben. Damals habe ich gerade in Wien angefangen, Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst zu studieren. Meine Abschlussarbeit ist dann eine Erzählung geworden, aus der sich nach dem Studium ein Romanmanuskript entwickelt hat. Es wäre wahrscheinlich richtiger zu sagen, dass ich „Pink Elephant“ besonders langsam geschrieben habe, ein ganzes Jahrzehnt lang.

Dann ist wohl die umgekehrt Frage angebracht: Wieso hast du dir denn so viel Zeit genommen?

Das war keine bewusste Entscheidung, es kam einfach so. Womöglich weil der Roman, aber auch ich die Zeit einfach brauchten. In „Pink Elephant“ experimentiert der Jugendliche Vincent mit Bräunungscreme, um mehr wie seine PoC-Freunde auszusehen, und damit geht es natürlich sofort um kulturelle Aneignung, um Rassismus, um den weißen Blick. Hier muss man erst einmal verstehen, was das alles bedeutet – und das ist sehr viel Arbeit an sich selbst. Vor allem, wenn man weiß ist und höchstens ahnt, wie oft man selbst rassistisch denkt oder agiert, obwohl man glaubt, es nicht zu sein. Wenn ich ehrlich bin, habe ich deswegen immer wieder gezweifelt, ob der Roman überhaupt möglich ist.

Während du an „Pink Elephant“ geschrieben hast, haben diese Themen ja auch immer mehr Eingang in den öffentlichen Diskurs gefunden. Wie hat dein Umfeld auf deine Zweifel reagiert?

Es ist sehr unterschiedlich gewesen – und ist es noch immer. Während es die einen gibt, die immer gleich verstehen, warum ich mir unsicher mit einer weißen Figur bin, die nicht mehr weiß sein will, lassen sich andere kaum auf ein Gespräch darüber ein. Sie halten die Sache insofern für erledigt, als – so argumentieren sie – die Geschichte ja von dieser Figur selbst erzählt wird. Es gibt auch noch die, die zwar verstehen, dass man Verantwortung dafür trägt, welche Figuren man sich ausdenkt, aber irgendeine Art von Selbstzensur befürchten. Sie sagen Dinge wie: „Man muss alles schreiben dürfen!“ und hören gar nicht mehr zu, wenn ich frage: „Aber soll ich es auch schreiben?"

Die Unterscheidung zwischen Dürfen und Sollen, da klingst du jetzt ein bisschen philosophisch.

Vielleicht bin ich das. Vor meinem Sprachkunst-Studium habe ich Philosophie studiert, in Heidelberg und Leipzig. Im Augenblick mache ich darauf aufbauend einen Master an der Universität Wien, und zwar in Ethik, wo es viel um die Frage geht, was getan werden sollte. Ich finde einfach, dass viel zu schnell darüber gesprochen wird, ob jemand etwas darf, und zu wenig, ob er bzw. sie es auch sollte. Da bilden wir Schreibende keine Ausnahme. Und das ist schade. Natürlich müssen wir alles schreiben dürfen. Meiner Erfahrung nach entwickeln sich aber ernsthafte Gespräche darüber, ob etwas auch geschrieben werden sollte, rasch in eine Richtung, in der wir gemeinsam überlegen, wie es geschrieben werden kann – und das gehört mit zu den wertvollsten Augenblicken, die ich aus meiner Schreibpraxis kenne.

Also hat sich die lange Arbeit gelohnt?

Absolut. Die letzte Überarbeitungsphase des Manuskripts habe ich – dank dem Verlag – im Austausch mit einem richtigen Team verbracht. Wieder und wieder habe ich mit zwei Redakteuren, mit meinen beiden Lektorinnen und mit zwei Personen, die für Sensitivity Reading zuständig gewesen sind, gesprochen. Es ist nicht immer einfach gewesen, und es war auch von den Arbeitsabläufen komplizierter, aber am Ende hat das nicht nur den Text besser gemacht, sondern auch meine Zweifel abgebaut. 

Du hast jetzt sehr viel über Zweifel gesprochen. Was hat dich denn all die Jahre angetrieben, überhaupt weiterzumachen?

Der Text ist einem alten Freund gewidmet. Er starb, als wir ungefähr so alt waren, wie es die Jugendlichen in „Pink Elephant“ sind. Ich weiß noch, wie ich damals irgendetwas tun wollte. Ich hatte das Gefühl, ich müsste ihm ein Denkmal setzen, wusste aber nicht wie. Daran habe ich mich beim Schreiben oft erinnert. Irgendwann hat es angefangen, dass ich mich bei bestimmten Entscheidungen gefragt habe: Wie wäre die Geschichte, die er lieber gelesen hätte. Das ist dann nach und nach für mich zum Motto für das ganze Buch geworden.

Aber ist „Pink Elephant“ eure Geschichte?

Nein, mein Freund hat sich damals nicht das Leben genommen. Und wir haben auch nie geplant, eine Spielhalle zu überfallen. Meine Eltern sind ganz anders als die von Vincent. Selbstverständlich habe ich in „Pink Elephant“ aber trotzdem jede Menge verarbeitet. Ich weiß zum Beispiel, wie es ist, vor dem Jugendrichter zu stehen und etwas Falsches auszusagen. Ich weiß, wie diese Pink Elephant-Zigaretten schmecken. Und ich weiß auch, wie es ist, wenn alle Freunde Arabisch
sprechen, man selbst aber nicht. Irgendwie wäre es auch seltsam, wenn das nicht so wäre. Schreiben fängt immer bei einem selbst an. In diesem Fall habe ich eine Story entwickelt, die hoffentlich weit über mich hinausragt. Mir ist es wichtig, etwas zu schaffen, was auch für die anderen da ist.


Heißt der Text wegen diesen Zigaretten so?

Die Zigaretten kommen zwar tatsächlich immer wieder vor, viel wichtiger aber ist der rosa Elefant als Bild für das, was Vincent tut, wenn er versucht, durch äußere Merkmale Zugehörigkeit zu erlangen. Nicht nur wegen der Farbe, auch weil er damit richtig viel Raum einnimmt, während seine beiden Freunde, Tarek und Ali, Raum für existenzielle Probleme bräuchten.


Dann ist der Elefant also so etwas wie eine zentrale Metapher? So wie bei deinem Debütroman der Riesenkrake?

„Weil da war etwas im Wasser“, mein Debütroman, setzt sich mit Nature Writing auseinander. Vor allem aber ist er ein Experiment, das verschiedene Arten von literarischen Formen verschränkt und dabei an das sogenannte Tentakuläre Erzählen anschließt. Vor diesem Hintergrund könnten die beiden Bücher gar nicht verschiedener sein: „Pink Elephant“ ist formal zugänglicher und weniger experimentell, es wechseln sich zwei Zeitebenen ab, die Erzählperspektive bleibt aber bei einer Figur.  Auch sprachlich richtet sich der Text nicht mehr nur an erwachsene Leser*innen, sondern auch an Jugendliche. Man könnte also vielleicht sagen, das einzig Gemeinsame der beiden Bücher ist, dass sie ein Tier als Paten haben. Ich glaube aber, es gibt noch etwas anderes, was beide Bücher verbindet. Vielleicht ist es der Glaube, dass man über alles schreiben kann und es nur darauf ankommt, wie man es tut.

Eine letzte Frage: Würdest du „Pink Elephant“ als postmigrantische Literatur bezeichnen?

Das sollen andere entscheiden. Mir tut es manchmal leid für meine Kolleg*innen, denen dieses Label sofort zugesprochen wird. Ich kann über einen Kraken schreiben, dann über Jugendliche, morgen schreibe ich vielleicht einen Tagebuch-Roman oder ein Sci-Fi-Epos über Psychopharmaka. Bei vielen BIPoC wird immer alles gleich autofiktional gelesen und dann „postmigrantisch“ genannt – dabei leben wir alle in derselben Gesellschaft. In ihr herrschen unterschiedliche  Möglichkeiten, das ist leider so. Wir sind aber alle Teil von ihr, auch ich.

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Carina Stransky

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