„Dry January“ oder „Veganuary“? Oder gleich beides? – der Jahreswechsel ist traditionell die Zeit der guten Vorsätze. Doch bringt ein kurzfristiger Verhaltenswechsel denn überhaupt etwas? Körperlich, aber auch im Hinblick auf Gewohnheiten? Denn Sucht wird regelrecht erlernt, sagt Suchtexperte Prof. Dr. Falk Kiefer: „Situationen, Menschen und Orte, die mit Alkoholkonsum assoziiert werden, werden positiv besetzt. Auf neurobiologischer Ebene ist es die Ausschüttung des Botenstoffs Dopamin und die Stimulation des "Belohnungssystems" die Voraussetzung dafür, dass Stoffe wie Nikotin, Alkohol oder Kokain, abhängig machen“. Was passiert, wenn wir darauf vier Wochen verzichten?
Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie und Autor (zusammen mit Journalistin Nathalie Stüben „Frauen und Alkohol – Wie sie trinken, warum sie trinken und was sie gewinnen, wenn sie damit aufhören“ (ab 25. Dezember im Kailash Verlag)) hat drei Mythen rund um das Thema Alkoholkonsum auf den Zahn gefühlt:
1.) Ein alkoholfreier Januar hat nachhaltige Effekte auf die Gesundheit und die Gewohnheiten
Prof. Falk Kiefer: „Eine alkoholfreie Zeit hat in jedem Fall unmittelbare positive Effekte: Der Schlaf und die Stimmung sollten sich z.B. verbessern. Was wir aber oft erleben, ist, dass es einen so genannten „Rebound-Effekt“ gibt und Menschen nach einer Zeit des Verzichts im Anschluss die eingesparte Trinkmenge nachholen. Vielen ist nicht bewusst, dass der Übergang zu problematischem Trinkverhalten sehr schleichend ist. Die Tatsache, keine Entzugserscheinungen zu haben, sagt nichts darüber aus, ob man ein Problem mit Alkohol hat. Außer bei Menschen, die einen konstanten Pegel halten, ist der Körper ein Auf und Ab des Blutalkoholspiegels gewöhnt, weswegen 80-90% aller alkoholabhängigen Menschen keine Entzugserscheinungen haben.
Tipp: Um nachhaltige Effekte zu haben, sollte es beim Dry January nicht ums bloße Durchhalten gehen, sondern man sollte im Anschluss Bilanz ziehen: Was war in der Zeit ohne Alkohol besser? Was habe ich dadurch gewonnen? Habe ich besser geschlafen oder zwischenmenschliche Begegnungen intensiver erlebt? Und was hat mir vielleicht gefehlt? Wenn das Gefühl eines Verzichts überwogen hat, kann man sich fragen, was das Bedürfnis dahinter ist und ob man dieses wirklich nur durch Alkoholkonsum stillen kann.“
- Ein Gläschen Wein ab und an ist doch gesund
Prof. Falk Kiefer: „Mittlerweile hat auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung ihre Position dem aktuellen Forschungsstand angepasst und sagt: Risikofreien Alkoholkonsum gibt es nicht, gesunden erst recht nicht. Solche Wahrheiten erreichen jedoch nur langsam das kollektive Bewusstsein. Während jeder weiß, dass Rauchen Lungenkrebs verursachen kann, wissen erschreckend wenige, dass auch jeglicher Alkoholkonsum das Krebsrisiko erhöht – bei Frauen insbesondere das Risiko für Brustkrebs. Doch Alkohol stört auch den Schlaf, stört die Verdauung, stört den Zyklus, verschärft Wechseljahresbeschwerden und beeinträchtigt nicht zuletzt die Funktionsweise des Gehirns, sogar noch im nüchternen Zustand, sogar bei Mengen, die lange als harmlos galten. Alkohol ist zelltoxisch, er steht im Zusammenhang mit 200 Krankheiten. Dazu gehören Herzinfarkte, Demenzen und verschiedene Krebsarten, darunter auch Krebserkrankungen im Rachen, in der Leber oder der Brust. Bei einer Aufklärung darüber geht es nicht darum, den Menschen den Spaß am Glas Wein zu verderben oder etwas zu verbieten – jedoch sollte man die Risiken kennen, um eine gut informierte Entscheidung treffen zu können.
Tipp: Machen Sie sich bewusst, dass unser Bild von Alkohol von einer industriefreundlichen Alkoholpolitik und einer starken Alkohollobby geprägt ist. Die investiert allein in Deutschland rund eine halbe Milliarde Euro pro Jahr, um für ihre Produkte zu werben, um sie in unseren Köpfen als gesund, unabkömmlich, gemeinschaftsstiftend und mehrwertig zu verankern. Stünden der Wissenschaft solche Summen zur Verfügung, um ihre Erkenntnisse zu verbreiten – das Land sähe anders aus, denn Sätze wie „Ein bisschen Rauchen ist gesund/ Rauchen steht für Genuss und Lebensqualität./ Feiern ohne Rauchen? Das geht doch nicht./ Wenn jemand süchtig nach Zigaretten wird, liegt das nicht am Nikotin – da stecken ganz andere Probleme hinter“ würden dann nicht nur beim Rauchen als Lüge entlarvt, sondern in Bezug auf Alkohol ebenso.
- Frauen trinken ja ohnehin viel weniger als Männer, weil sie weniger vertragen
Prof. Falk Kiefer: „Das Trinken bis an den Rand der „Verträglichkeit“ ist inzwischen bei Frauen ebenso verbreitet wie bei den Männern. In der Gruppe der 18-29 Jährigen Frauen trinken diese mittlerweile sogar häufiger riskant als Männer. Beim Hineinrutschen in den Alltagskonsum und bei den Problemen, die daraus entstehen, gibt es inzwischen gar nicht mehr so viele Unterschiede. Aber: Die Konsequenzen des gleichberechtigten Trinkens sind nicht gleich. Alkoholisierte Männer werden zum Beispiel häufiger Täter, alkoholisierte Frauen häufiger Opfer von Gewalt. Also Männer schaden öfter eher anderen, wenn sie betrunken sind, und Frauen schaden öfter sich selbst, was eine fürchterliche Alltagsrealität ist. Das Risiko für Frauen, das vom Betrunken sein ausgeht, ist viel höher, die Konsequenzen sind oft viel schlimmer.
Tipp: Vergleichen Sie Ihren Alkoholkonsum nicht mit anderen – egal welchen Geschlechts. Nur, weil Sie in Ihrem Freundeskreis oder Arbeitsumfeld nicht sonderlich herausstechen, heißt es nicht, dass Ihr Konsumverhalten nicht auch risikoreich und gesundheitsgefährdend sein kann.“
Bitte beachten Sie: Die Zitate von Prof. Falk Kiefer sind nur im Zusammenhang mit einer Erwähnung des Buches „Frauen und Alkohol“ honorarfrei zur Veröffentlichung freigegeben. Bei Kürzungswünschen innerhalb einzelner Antworten bitten wir vorab um Rückfrage.