Wie seid ihr auf die Idee zum Projekt „Alle an Bord“ gekommen und wie habt ihr euch darauf vorbereitet?
Wir wollten ein Abenteuer starten, das nachhaltig und innovativ ist. Außerdem gab es plötzlich nicht mehr nur Paul und Hansen, die wilden Abenteurer! Paul und Anna haben ein Kind bekommen, die kleine Momo, und kurze Zeit darauf hat sich Hansen dazu entschieden, Ronny einen weißen Schäferhund aus der Ukraine aufzunehmen. Es war also klar: Das neue Abenteuer findet zu fünft statt. Wir wurden kreativ und kamen zu der Idee, auf dem Wasser zu reisen. Annas Vater war es, der uns letztendlich zu der Idee unserer Route brachte: Europa auf den Flüssen und Kanälen zu erkunden, eine: „Tour de Europe“. Wir planten dann, von Berlin über Flüsse, Kanäle, Seen und Meere durch Deutschland, Österreich, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Türkei, Griechenland, Italien und Frankreich wieder zurück nach Berlin zu fahren. Am Anfang waren wir alle ein wenig skeptisch, ob das möglich ist. Vor allem, ob wir das Ganze wirklich CO2-neutral schaffen. Dazu mussten wir nämlich einen alten „Motorsegler“, der ursprünglich mit Wind und Diesel betrieben wurde, auf elektrischen Antrieb umrüsten. Versucht haben wir es mit riesigen „Solarflügeln“, die wir seitlich am Schiff befestigt haben. Nach und nach wurde Ulla, wie wir unser Boot liebevoll nennen, zu einem richtigen Schmuckstück. Egal, wo wir lange fuhren: Die begeisterten Blicke der Menschen waren uns sicher. Da Ulla für uns drei recht klein ist, ging es beim Umbau auch viel um die Optimierung der Nutzung des Raumes. Zunächst durften wir natürlich nur das Nötigste mitnehmen, aber wir mussten auch jeden Winkel des Bootes, egal wo, nutzbar machen, um zu fünft auf dem kleinen Schiff Platz zu haben. Die Route planten wir dann so, dass wir möglichst viel flussabwärts und auf dem Meer fahren konnten, um Energie zu sparen und auch überhaupt die fast 20 000 km durch Europa in 6 Monaten schaffen zu können. In diesem Abenteuer kam vieles anders als gedacht und das hat wiederum diese ganze Reise zu so etwas Besonderem gemacht. Aus 6 wurden 14 Monate. Wir dachten, die Technik wäre die größte Herausforderung, und haben doch schnell gemerkt, dass das Zusammenleben an Bord genau so viel Pflege benötigt.
Ihr habt schon viele Abenteuer gemeinsam bestanden – was war bei „Alle an Bord“ im Vergleich dazu die größte Herausforderung?
„Alle an Bord?“ Ist tatsächlich nicht zu vergleichen mit den vorherigen Projekten. Aus einer nachhaltig geplanten Reise mit elektrischem Motorsegler wurde im Grunde ein spannendes Sozialexperiment. So, als ob man zu fünft in einer kleinen Einraumwohnung lebt, in der nur Vorhänge die Privatsphäre ermöglichen. Dafür lebt man sehr viel draußen und ist immer direkt in der Natur, das ist etwas, was wir heute alle sehr vermissen: Diese einsamen wunderschönen Orte, die für kurze Zeit unser Zuhause waren. Auch das Leben an Bord mit einem Kleinkind fordert viel Aufmerksamkeit und Absicherung. Wir wurden kreativ und haben das Boot so umgebaut, dass Momo sich frei bewegen konnte. Für sie war das nach kurzer Zeit ein ganz normaler Alltag. Auch für Ronny wollten wir natürlich die besten Bedingungen schaffen und haben bei unserer Routenplanung immer die Gassi-Pausen eingeplant. Er ist mit der Zeit wirklich der perfekte Bootshund geworden und hat sich sehr gut an Bord eingelebt. Das enge Leben an Bord hat uns dazu gebracht, vieles zu besprechen und Konflikte so aus der Welt zu schaffen. Wir mussten als Team zusammenhalten und haben uns alle dadurch sehr intensiv und ehrlich kennengelernt.
Wie hat das Zusammenleben an Bord als große Familie funktioniert?
Das Zusammenleben war eine riesige Aufgabe, aber wir haben uns auch daran gewöhnt. Die ganzen Bedürfnisse der einzelnen Crew-Mitglieder dabei zu beachten, ist nicht immer ganz einfach. Für uns war klar, dass alle am meisten Rücksicht auf Momo nehmen müssen. Aber es war oft ein ziemlicher Spagat, allen gerecht zu werden. Auch hier haben wir verschiedene kreative Lösungsansätze probiert: Strukturierte Tagesabläufe und Aufgabenverteilungen in einem Wochenplan. Was wir gemerkt haben, was eigentlich aber am besten funktioniert, sind bewusste Ausflüge und Quality-Zeit gemeinsam, wie zum Beispiel gemeinsames Kochen an Bord. Wir haben an einem wilden Strand gezeltet und Lagerfeuer gemacht. Verlassene Inseln erkundet und auf offenem Meer nackt ins Tiefe blau gesprungen.
Wie geht Ihr damit um, wenn ein Plan nicht funktioniert?
Ein guter Plan ist nicht dafür da, eingehalten zu werden, sondern dafür, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, wenn man von seinen Zielen abweicht. Fast alle Pläne, die wir hatten, sind anders gekommen als gedacht. Wir sind positiv geblieben und haben uns gegenseitig unterstützt. Eine gewisse Flexibilität in der Planung ist sehr hilfreich. Auch das Ändern eines Ziels ist für uns kein Versagen, sondern das flexible Umgehen mit einem neuen Plan. Oft ändern sich Gegebenheiten, die man vorher gar nicht absehen konnte, und so kann aus einem alten Plan ganz schnell mal ein neuer werden. Wichtig ist es nur, immer gut nachzufühlen, ob sich alles noch richtig anfühlt. Wir haben auf dieser Reise so oft auf unser Bauchgefühl gehört, viel diskutiert und gemeinsame Lösungen gefunden. Wir glauben, es ist wichtig, sich ein Ziel zu setzen, aber dann auch mit einem anderen Ergebnis glücklich zu sein. In unserem Fall hat das „Neue Ziel“ das Alte auf jeden Fall sogar übertroffen.
Welches Erlebnis hat euch in Sachen Nachhaltigkeit auf Reisen am meisten inspiriert?
Wir haben viele tolle Projekte unterwegs besucht und sehr inspirierende Menschen kennengelernt. Die waren alle einzigartig auf Ihre Weise. Es war beeindruckend zu sehen, wie viele tolle Ideen es gibt, um nachhaltiger leben zu können. Und wie Menschen in unterschiedlichen Teilen von Europa das Ziel der Nachhaltigkeit verfolgen und daran glauben, das hat uns sehr verbunden gefühlt. Da waren die mutigen Bewegungen in Belgrad, die sich gegen die korrupte Politik und den Bergbauriesen Rio Tinto für ein nachhaltigeres Serbien einsetzen; der Videoproduzent, der eine wunderbare und hochwertige Kinderserie zur Aufklärung über die Natur auf Youtube gemacht hat; die Waldkinder aus Regensburg, die eine Wildbienenwiese geplant und ins Leben gerufen haben; der slowakische Imker, der den als weltbesten prämierten Honig ganz ohne Gifte und Pestizide auf seinem Hoteldach macht. Es gibt überall eine Menge zu tun. Die Vielfalt der Möglichkeiten ist schier unendlich. Und mal ganz pragmatisch: Der erste Moment, an dem wir schon auf dem Rhein flussaufwärts nur mit Sonnenenergie und Wind gefahren sind, hat uns inspiriert, das vermeintlich Unmögliche doch zu versuchen.
Was ist nach 14 Monaten Reise euer Fazit?
Diese Reise war für uns alle eine Reise zu uns selbst. Wir haben viel herausgefunden über uns, unsere Beziehungen zueinander und Themen, die uns wichtig sind. Das Leben an Bord regt zum Nachdenken an, weil alles sehr entschleunigt ist und die Zeit anders tickt als auf Land. Wir haben uns oft verschätzt und doch immer wieder einen neuen Weg gefunden – das macht im Nachhinein ganz schön stolz. Auch dass wir diese Tour als Team gemeistert haben und so als Familie zusammengewachsen sind. Unser gemeinsames Fazit ist, dass es manchmal einer Konfrontation bedarf, um Veränderungen hervorzurufen. Das galt auf dieser Tour für uns und alle Beziehungen in unserer Crew. Aber wir denken, das gilt auch für die Nachhaltigkeitswende und andere politische Veränderungen. Wir alle brauchen den Mut, Fehler zu machen, um gemeinsam etwas Neues zu schaffen. Das klingt jetzt sicher paradox: Aber auf diese Weise kann es sich sogar richtig anfühlen, Fehler zu machen. Und genau das fasst unsere Reise eigentlich am besten zusammen: Wir haben unser Ziel erreicht, ohne dort anzukommen.
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Interview: Constanze Schwarz
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