Interview mit Tobias Haberl
Heute erscheint "Unter Heiden. Warum ich trotzdem Christ bleibe", das neue Buch von Tobias Haberl. Wir haben ihm ein paar Fragen gestellt.
»Unter Heiden. Warum ich trotzdem Christ bleibe« – der Titel Ihres neuen Buchs klingt provokant. Was war die Motivation für Sie, dieses Buch zu schreiben?
Mir fällt auf, wie überrascht, ja perplex viele Menschen sind, wenn sie erfahren, dass ich in der Kirche bin und fast jeden Sonntag in die Messe gehe. Was früher normal war, scheint etwas Unerhörtes geworden zu sein. Dazu kommt: In den letzten Jahren wurde fast nur im Zusammenhang mit dem Missbrauchsskandal über die Kirche gesprochen – was wichtig und notwendig war – , umso wichtiger ist es, an die strahlende Seite des Glaubens zu erinnern, die Schönheit, den Trost, die Hoffnung.
Was kann die „heidnische“ Gesellschaft von gläubigen Menschen lernen?
Vielleicht täusche ich mich, aber mir kommen viele Menschen unruhig, verunsichert und ängstlich vor. Ich sehe sie und denke: Eigentlich ist der christliche Glaube genau das, was unsere Gesellschaft bräuchte. Warum? Im Christentum findet man alle Zutaten für ein erfülltes Leben: die Stille, die Demut, den Rhythmus, die Barmherzigkeit, die Hoffnung. Es gibt sie umsonst, und die Menschen wollen sie haben, aber bitte nicht von der Kirche. Schon klar: Silence-Retreat im Luxusresort klingt schicker als Schweigemeditation im Gemeindezentrum, außerdem gibt es viele andere Strategien, um Sinn und Trost zu finden. Leider steht dabei oft das Ego im Zentrum. Im Glauben lernt man, worum es eigentlich geht: kleiner werden, leiser werden, langsamer werden. Selbsthingabe statt Ich-Sucht. Zu sich selbst kommen, indem man von sich weggeht, hin zu Gott, hin zu anderen Menschen – das ist Glaube.
Sie bezeichnen sich selbst als gläubigen Christen, aber auch als lebensfrohen Genussmenschen. Liegt darin kein Widerspruch?
Für mich gehört beides zusammen, Lebenslust und Verzicht, Geselligkeit und Stille. Gerade weil ich ein unvernünftiger und außerordentlich hedonistischer Mensch bin, bringt mich der Glaube immer wieder zurück in die Balance und gibt mir das unvergleichliche Gefühl, wahrgenommen zu werden, ohne auf mich aufmerksam machen zu müssen.
Es gibt so viele Bücher über den Glauben. Warum noch eines?
Weil man sich als gläubiger Mensch (vor allem als Katholik) noch nie so stark rechtfertigen musste wie heute. Viele wissen nicht mehr, was Christen eigentlich tun, woran sie glauben und worauf sie hoffen. Dazu kommt: Ich bin kein Religionslehrer, war kein Ministrant, gehe nicht mal jeden Sonntag in die Kirche, also schon oft, aber manchmal bleibe ich lieber im Bett. Das Buch ist weder eine theologische Abhandlung noch eine frömmelnde Erbauungsschrift, sondern ein gesellschaftspolitisches Plädoyer für den Glauben in krisenhafter Zeit. Ich erzähle vom Glauben, weil ich davon überzeugt bin, dass es unserer modernen, digitalisierten Welt nicht an noch schnellerem Internet, sondern an Spiritualität, einem neuen Bewusstsein mangelt.
Sie haben eine Woche in einem strengen Benediktiner-Kloster in Südfrankreich verbracht. Was haben Sie von diesem klösterlichen Leben in Ihren Alltag mitgenommen?
In der radikalen Weltabgewandtheit dieses Ortes konnte ich nicht nur Gott näherkommen, sondern auch einen schonungslosen Blick auf mein Leben und die gegenwärtige Gesellschaft werfen – eine schmerzhafte Erfahrung. Schon am dritten Tag war ich kurz davor abzubrechen, so quälend fand ich den gnadenlosen Rhythmus der Stundengebete, das Gefühl des Abgeschnittenseins. Man muss durch diesen Schmerz hindurch, um eine Ahnung von der Freiheit bekommen zu können, die dahinterliegt, eine Freiheit, die nichts damit zu tun hat, immer das zu tun, worauf man gerade Lust hat. Stille ist die Voraussetzung, um das Göttliche zu spüren – leider fliehen die meisten Menschen vor ihr, weil sich in ihr Fragen stellen, die Google nicht beantworten kann.
Im Buch schildern Sie sehr anschaulich Ihre Nahtoderfahrung, die Sie mit Anfang 30 gemacht haben. Inwiefern hat dieses Erlebnis Ihren Glauben und Ihr Leben verändert?
Ich hatte einen Herzstillstand während des Belastungs-EKGs. Anschließend wurde ich oft gefragt, ob ich ein gleißendes Licht oder Gott gesehen habe. Die Antwort ist: Ich habe nichts davon gesehen. Danach litt ich monatelang unter Panikattacken, ein Herzstillstand ist eine existenzielle Erfahrung. Trotzdem hat sie meinen Glauben weder erschüttert noch auf eine neue Stufe gehoben. Es ist nicht so, dass ich nach glücklichen Erfahrungen mehr und nach schmerzhaften weniger glaube; es wäre auch kindisch. Entweder gibt es Gott, oder es gibt ihn nicht. Ich glaube nicht, obwohl ich Gott nicht gesehen habe, sondern weil ich ihn nicht gesehen habe – Glauben und Wissen schließen sich aus. Viele Menschen schreckt diese Unsicherheit ab, dabei ist es ein großes Abenteuer, sich auf einen Weg einzulassen, von dem man nicht weiß, wie er einen verändert und wohin er einen führt.
Was ärgert Sie an dem Vorwurf, dass die Kirche nicht „zeitgemäß“ ist?
Mich ärgert, dass viele Menschen „zeitgemäß“ mit „gut“ oder „richtig“ gleichsetzen. Mich hat nie interessiert, ob etwas zeitgemäß ist, sondern immer nur, ob etwas gut oder schlecht, wahr oder unwahr ist. Natürlich steht die Kirche in vielen Punkten quer zum Zeitgeist, ich hadere selbst immer wieder mit ihren Regeln, trotzdem liegt ihre Kraft gerade in der Differenz zum Zeitgeist. Freilich muss sie anders zu den Menschen sprechen als vor 500 Jahren, trotzdem wäre eine vollkommen zeitgeistige Kirche ein Widerspruch in sich, weil sie in einer Gesellschaft, die außer sich nichts Größeres mehr sieht, unzeitgemäß sein muss, um davon erzählen zu können, woran sie nun mal glaubt, dass Gott den Menschen Gebote gegeben hat, nach denen sie leben sollen, um die Schöpfung zu bewahren und im Tod erlöst zu werden. Jesus war definitiv nicht kompatibel mit seiner Zeit – es ist der Grund, warum sich zweitausend Jahre später zwei Milliarden Menschen auf ihn berufen.
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