Aktuelles | 11.03.2024 | Goldmann

Interview mit Sia Piontek zu ihrem Kriminalroman »Die Sehenden und die Toten«

Sia Piontek Autorenfoto

Der erste Fall für ihre Wendland-Ermittlerin Carla Seidel ist mitreißend und messerscharf spannend.

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Wer ist Sia Piontek?

Ich habe mir für den Krimi ein griffiges, etwas härter klingendes Pseudonym gewünscht. Den Vornamen Sia liebe ich, und die Sängerin Sia verehre ich sehr. Ihr Lied »Chandelier« verbinde ich durchaus mit meiner Hauptfigur. Piontek stand auf einem Klempnerauto, das bei mir mal durch die Straße fuhr, und ich war sofort begeistert. Lustig ist, dass ich mein Pseudonym Sia Piontek zwar mit meiner Ermittlerin verbinde, nicht aber mit mir, Claudia Wuttke.

Um was geht es in Ihrem Kriminalroman »Die Sehenden und die Toten«?

Was den Fall betrifft, geht es auf der tieferen Ebene um Sehnsucht nach Verschmelzung, um Macht und Besitz. Vordergründig geht es bei den Jugendlichen aus meinem Buch auch darum, wie sie in einer zunehmend digitalisierten Welt verzweifelt versuchen, sich als Menschen überhaupt noch zu spüren, tragende Bindungen einzugehen, Anerkennung zu erfahren. Um das zu erreichen, tun sie die waghalsigsten Dinge.

Wie würden Sie Ihre Hauptfigur, Carla Seidel, beschreiben?

Spannend an meiner Protagonistin Carla ist ihre Zerrissenheit. Sie ist eine brillante Ermittlerin, weil sie sehr feine Antennen und gute Instinkte hat. Diese musste sie allerdings notgedrungen ausbilden, da sie jahrelang in einer Gewaltbeziehung lebte. Die an sich so starke und taffe Frau hat eine zutiefst verletzliche Seite, die sie in eine emotionale Abhängigkeit getrieben hat. Diese Ambivalenz fand ich wahnsinnig spannend, weil ich davon überzeugt bin, dass sich ein Stück von Carla in ganz vielen stark und taff wirkenden Frauen findet. Viele von ihnen haben auch einen bedürftigen, kindlichen Zug, den sie meistens verstecken. Zumindest mir ist das durchaus bekannt. Bei Carla kommen noch Schuldgefühle gegenüber ihrer Tochter dazu, die ebenfalls viele allein erziehende und beruflich engagierte Frauen kennen. Was Carla mir persönlich voraus hat, ist, dass sie viele Dinge einfach macht. Und ihr ist nichts peinlich! Vielleicht hätte ich meinen Kettensägen-Führerschein ohne Carla nie gemacht. Da hat sie mir förmlich in den Hintern getreten! Und den Kettensägen-Führerschein kann ich im Wendland mit meinem Holzofen sehr gut gebrauchen.

Sia Piontek Ganzkörperfoto Atmosphäre

© Marco Grundt

Sie leben in Hamburg und im Wendland. Warum haben Sie Ihren Krimi im Wendland angesiedelt?

Für manche ist das Wendland einfach eine öde Landschaft in der norddeutschen Tiefebene, andere kennen es von den Castor-Transporten oder natürlich vom atomaren Endlager Gorleben. Nur wenige wissen, dass es im Mai 1980 auch mal für einen Monat die Republik Freies Wendland gab, ausgerufen von der damaligen AKW-Bewegung. Diese wechselvolle Geschichte in dem bis dato toten Winkel unserer Republik, hat in dem östlichen Zipfel Niedersachsens für ein ganz eigenes Klima der Gelassenheit und des Miteinanders gesorgt. Dazu kommt eine unberührte Flora und Fauna mit Kranichschwärmen, Weißstörchen und natürlich den Elbtalauen. Ich habe das Wendland 2015 zufällig für mich entdeckt und es wurde sofort zu meinem Sehnsuchtsort. Es geht so ein Frieden von diesem Landstrich aus. Da können Wunden heilen – auch bei meiner Hauptfigur Carla.

Wer oder was hat Sie zu der Handlung inspiriert?

Ehrliche Antwort: Ich weiß es nicht! Die war einfach da – bumm! Carla Seidel und ihre Tochter Lana als Ermittlerinnen, da sehe ich schon ein bisschen auch meine Tochter, die wirklich Reflektorin ist im Human Design. Aber die Story war tatsächlich einfach da – zum Teil sogar gegen meinen Willen!

Was ist denn Human Design?

Das Humann Design ist eine Erkenntniswissenschaft, die sich aus der Astrologie, dem I Ging, der Kabbala, der Epigenetik und den Neurowissenschaften speist. Demnach hat jeder Mensch ein einzigartiges Chart – ähnlich dem Geburtshoroskop, nur deutlich komplexer –, das viel aussagt über seine individuellen Potenziale, Fähigkeiten, Stärken, über seine Lebensaufgabe und die möglichen Herausforderungen. Ich finde es sehr anwendbar, das macht es für mich so magisch. Meinen Krimi »Die Sehenden und die Toten« habe ich eigentlich dem Human Design zu verdanken. Das Human Design ist so etwas wie der feinstoffliche, einzigartige Fingerabdruck eines Menschen. Wenn man um den weiß, ist das ein Gamechanger. Lana ist Typ-Reflektorin im Human Design, den nur 1% der Bevölkerung haben. Das erklärt einige ihrer Macken , aber auch ihre Hochsensibilität.

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Haben Sie aktuelle gesellschaftliche Themen in den Handlungsverlauf eingebunden?

Tatsächlich bin ich in einem Zeitungsartikel über diese tödlichen Jugend-Challenges gestolpert. Die jungen Leute übernehmen halsbrecherische Challenges, filmen sich dabei und stellen das dann auf ihre Social-Media-Kanäle. Für ein bisschen mehr an Aufmerksamkeit. Ich finde das sehr erschreckend. Das Thema spielt in meinem Buch eine größere Rolle. Bei meinem Opfer, Julian, war es aber Mittel zum Zweck. Seine Sehnsucht war romantischer, philosophischer.

Wie haben Sie für Ihren Krimi recherchiert, um einen möglichst realistischen Fall zu schildern?

Ich glaube, es gibt nichts, was ich nicht recherchiert habe. Das beginnt bei der chemischen Zusammensetzung von Reinigungsmitteln, über die Eigentumsverhältnisse bestimmter Social-Media-Plattformen, bei der Größe, Farbe und Durchmesser von Patronenhülsen bis hin natürlich zu den Gesprächen mit der Polizei und der Gerichtsmedizin. Nichts ist für mich wichtiger, als realistische Leichen mit den richtigen Verletzungen darzustellen und daraus die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Ich habe viel zum Thema Gifte und deren Nachweisbarkeit recherchiert und mit mehreren Fachärzten gesprochen. Ich musste ja wissen, ob es möglich ist, dass mein Opfer über Tage halbwegs sediert in der Gewalt des Täters sein kann. Zu den Challenges habe ich vor allem mit diversen Jugendlichen gesprochen, und auch mit jemandem bei der Kriminalpolizei zum Thema Cyber-Kriminalität. Ich war auch in Waffengeschäften, und bin wirklich das ganze Wendland mit dem Fahrrad abgefahren.

Wie Sie es schon sagten, sind die Protagonisten Ihres Krimis zu einem großen Teil Jugendliche. Fiel es Ihnen schwer, diese jungen Charaktere zu entwickeln?

Hier hat mir wirklich meine Tochter, jetzt 19, sehr geholfen. Und mein jüngster Neffe, Mitte zwanzig. Mich in deren Sprache und deren Hedonismus einzuarbeiten, fiel mir nicht so leicht. Das ist einfach schon sehr weit von mir entfernt.

Als Schreib-Coach sind Sie Expertin für verschiedene literarische Genres. Welche besonderen Herausforderungen gilt es für die Konzeption eines Krimis zu beachten?

Ich kenne einen Autor, der einfach drauflos schreibt – ganz intuitiv. Er ist Bestsellerautor, wohlgemerkt. Das wäre für mich unvorstellbar. Ich habe zeitweise zwei Whiteboards mit selbstklebenden Post-its an den Wänden, ein Notizbuch mit aktuellen To-dos und eine Tagesliste. Krimi-Leser sind sehr kritisch und merken ALLES – du darfst also wirklich kein loses Ende irgendwo lassen oder eine Spur legen, egal wie winzig, und sie dann nicht auflösen. Das ist in meinen Augen die größte Herausforderung beim Schreiben eines Krimis: Die falschen Fährten oder auch Sub-Plots klug zu konstruieren und sie dann unvermutet und doch nicht plump aufzulösen.

Dürfen Ihre Leserinnen und Leser auf eine Fortsetzung hoffen?

Nicht nur hoffen – ich schreibe gerade an Band 2.

 

März, 2024. Die Fragen stellte Julia Meyn. Gerne dürfen Sie (nach Absprache) das Interview oder Teile daraus entnehmen und veröffentlichen.

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