Aktuelles | 14.09.2021 | Goldmann

Interview mit Elisabeth Herrmann zu ihrem Roman „Der Teepalast“

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Es war mir sehr wichtig, dass die Spannung aus den Konflikten entsteht, mit denen meine Hauptfigur Lene zu kämpfen hat.

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Sie sind als Krimi- und Thriller-Autorin bekannt, u.a. mit Ihren Krimis um den rebellisch-unkonventionellen Anwalt Joachim Vernau, die mit Jan Josef Liefers in der Hauptrolle vom ZDF verfilmt werden. Mit „Der Teepalast“ begeben Sie sich auf neues Terrain, denn Sie haben einen Genre-Wechsel in den Bereich des Historischen Romans gewagt und nehmen uns mit auf eine Reise von der rauen Küste Ostfrieslands in das exotische China und das farbenprächtige Indien. Was hat Sie daran gereizt?

Ich liebe es mir vorzustellen, wie die Menschen in früheren Zeiten gelebt haben. Wenn es Zeitreisen gäbe, ich würde das erste Ticket kaufen! Die 1830er Jahre sind zudem eine unglaublich spannende Zeit. Kühnen Menschen gehörte die Welt, und so hatte ich den Wunsch, eine Geschichte zu schreiben, die von genau so einem Menschen erzählt. Diese literarische Reise war mit das Aufregendste, was ich je geschrieben habe. Jeden Tag einzutauchen in diese fremden, fernen Welten war ein unglaubliches Glück. Anfangs dachte ich noch: kommst du denn wirklich ohne einen Mord aus? Aber diese Zweifel haben sich eigentlich schon nach den ersten Zeilen in Luft aufgelöst, weil „Der Teepalast“ von der ersten Seite an so spannend geworden ist.  

Und welche Herausforderungen sind Ihnen beim Schreiben von „Der Teepalast“ (im Gegensatz zum Schreiben eines Krimis) begegnet?

Ein Krimi hat natürlich eine ganz andere Struktur. Eine Tat wird begangen, und sie muss aufgeklärt werden. Bei einem Roman spielen die Personen und ihre Geschichte eine viel größere Rolle. Es war mir sehr wichtig, dass die Spannung aus den Konflikten entsteht, mit denen meine Hauptfigur Lene zu kämpfen hat. Und das sind unendlich viele: die Armut in Ostfriesland, der Ruf einer Frau, der schon durch eine falsche Begegnung zerstört sein kann, die List, ohne die Lene manchmal nicht weiterkommt, und die extrem gefährlichen Expeditionen der Teehändler kurz vor den Opiumkriegen… beim Schreiben dachte ich immer wieder: wie viel haben wir Frauen doch schon erreicht. Damit meine ich nicht, dass es nicht noch viel zu tun gäbe.

Sie sind bekannt für Ihre aufwendigen und akribischen Recherchen. (Sie kommen gerade aus Frankreich und davor waren Sie auf einer Recherchereise in der Arktis unterwegs.) Wie haben Sie für „Der Teepalast“ recherchiert und was hat Ihnen daran besonders Spaß gemacht?

Ich konnte gerade noch in Friesland recherchieren, dann kam Corona. Ich hatte schon meinen Besuch auf einer Teeplantage geplant und wollte auch nach London, aber all diese Pläne hat die Pandemie zunichte gemacht. Eine Weile hat mich das wirklich sehr beschäftigt, denn ich bin jemand, der fürs Schreiben auch unbedingt Eindrücke vor Ort sammeln will. Aber dann dachte ich mir, wenn ich mich in den Kopf eines grausamen Mörders hineinversetzen kann – warum dann nicht auch ins China des 19. Jahrhunderts? Es wurde meine vielleicht aufwändigste Recherche, denn an manchen Tagen hatte ich das Gefühl, für jeden einzelnen Satz in Nachschlage­werken, Sachbüchern und im Internet für Stunden unterwegs zu sein. Zum Beispiel die vielen verschiedenen Währungen und Geldstücke, die 1834 in Friesland in Umlauf waren. Oder die Packungsgrößen der Teetüten damals. Tee wurde ja löffelweise verkauft und nicht so wie heute in 100-Gramm-Tüten. Da konnte man mir glücklicherweise noch im Heimatmuseum Leer und im Bünting Teemuseum helfen. Den Rest musste ich mir erarbeiten. Das kann man sich vielleicht so vorstellen, dass ich eine Puppenstube einrichte. Alles muss stimmen. Die Kleidung. Die Möbel. Das Essen. Die Sprache. Die Umgangsformen. Erst wenn ich das alles zusammen habe, kann ich mich einfühlen und die Szene beginnen lassen. Ich muss trittsicher sein beim Schreiben, sonst wirkt die Szene an manchen Stellen unklar. Aber dann geht es los, und dann bin ich einfach mal ein paar Tage nur in den Docks von London oder in dem Palast eines Reeders. Oder auf einer Opiumdschunke. Oder im Dschungel. Das macht Freude. Richtige, große Freude.

„Der Teepalast“ entführt die Leser:innen in die Kaschemmen und Hafenkneipen, und auf die großen Schiffe dieser Welt, auf den Spuren von Lene Voßkamp, einer unglaublichen Frau, die ein Tee-Imperium gegründet hat. Wie kamen Sie auf die Idee zu diesem Roman?

Ich trinke gerne Tee und lade auch öfter zu einer original britischen Teatime. Ich mag diesen Moment, wenn man zum ersten Mal an einer frischen Tasse Tee schnuppert und einem dieser Duft in die Nase steigt. Tee ist ja auch ein zauberhafter Begleiter, wenn man einmal seine Gedanken schweifen lassen möchte. Irgendwann muss ich dabei neugierig geworden sein, wie das mit dem Tee in Deutschland begann. Und je mehr ich mich damit beschäftigt habe, desto klarer wurde mir: das ist eine Geschichte. Die will ich aufschreiben. Und am liebsten mit einer Heldin, die sich immer wieder in einer Welt behaupten muss, in der es für Frauen keinen Platz zu geben scheint. Wie sie es dennoch schafft, diese Welt zu erobern, war für mich eine unglaubliche Reise.

Was gefällt Ihnen besonders an Ihrer weiblichen Hauptfigur, dieses einst armen Fischermädchens, das im Laufe der abenteuerlichen Geschichte Königin eines Tee-Imperiums wird?

Lene ist ein normales Mädchen in der damaligen Zeit, das erst durch eine grausame Intrige in die Situation kommt, sich wehren zu müssen. Sie ist gezwungen, ihr Heimatdorf zu verlassen und steht plötzlich vor der Frage: Untergehen oder wagen, was noch nie jemand vor mir gewagt hat? Am Anfang ist sie schüchtern und naiv, ausgesprochen tugendsam und sehr vorsichtig. Irgendwann stellt sie fest, dass es genau diese Eigenschaften sind, die sie davon abhalten, ihre Träume zu verwirklichen. Ich liebe es wie sie anfängt, mutiger zu werden. Immer einen Fuß vor den anderen setzt, Chancen ergreift, schlimme Fehler macht… und vor allem irgendwann der Tugend eine Absage erteilt. Diese Szenen zu schreiben haben auch mir großen Spaß gemacht. Dennoch hat sie etwas, das ich den Anstand des Herzens nenne. Ja, sie wird irgendwann ein mit allen Wassern gewaschener Trader und die erste deutsche Teeplantage gründen. Aber sie bleibt eine Liebende und eine Frau, die alles was sie tut, leidenschaftlich und kompromisslos will.

Kann man in diesem klassischen Genre des Historischen Romans überhaupt feministisch schreiben?

Ich denke ja, aber wenn man den Vorsatz dazu hat, wird es vielleicht nicht so viel Freude machen.

Wo sammeln Sie Ihre Ideen uns Ihre Inspiration, auf Reisen oder eher im Alltag?

Tatsächlich ist es der Alltag. Lange Autofahrten und Spaziergänge, Gespräche mit Freunden, und der enge Austausch mit meinen Verlegerinnen. Als Schreibende brauche ich weniger Inspiration, eher Fantasie und die Fähigkeit, mich in Menschen und Situationen hineinzuversetzen. Eine Idee zu haben ist gar nicht so schwer. Aber sie zu entwickeln ist harte Arbeit.

Wohin geht Ihre nächste (Recherche-)Reise?

Das ist noch offen. Gerade bin ich aus der Arktis zurückgekommen, wo ich bei den Samen bei der Kälbermarkierung der Rentiere dabei war. Es könnte sein, dass ich demnächst viel im Harz unterwegs bin. Aber vielleicht, vielleicht auch in Darjeeling.

À propos starke Frauenfigur und Feminismus: Was wünschen Sie sich für uns Frauen im Jahr 2021?

Weltweit würde ich mir, gerade was die aktuelle Situation angeht, Bildung wünschen. Schule für alle Mädchen und die Chance, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Für uns, in diesem wunderbaren Land, wünsche ich mir mehr Frauen in der Politik und an der Spitze von großen Firmen. Aber ich wäre auch schon über gleichen Lohn für gleiche Arbeit sehr glücklich.

September, 2021. Die Fragen stellte Barbara Henning, Goldmann Verlag

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