Aktuelles | 27.05.2022 | Mosaik Verlag

Interview mit Dr. Zoe Chance

Porträt Zoe Chance

Yale-Professorin Dr. Zoe Chance über authentische Überzeugungskunst

Wie sind Sie auf die Idee zu dem Buch gekommen?
Das Buch entstand aus dem Kurs „Die Kunst, andere positiv zu beeinflussen und zu überzeugen“, den ich an der Yale School of Management gebe. Er ist die populärste Lehrveranstaltung an der Business School, und Student*innen nennen ihn unter sich salopp „Unbequeme Dinge tun, die dich zu einer besseren Person machen“. Ich habe diesen Kurs entwickelt, weil ich sah, wie schwer sich Personen, die mir besonders am Herzen lagen – freundliche, bescheidene, intelligente, kreative Menschen –, taten, weil es ihnen unangenehm war, darum zu bitten, dass ihre großartigen Ideen anerkannt werden und ihre harte Arbeit belohnt wird. Einfluss ist Macht, und darum interessieren sich eher machthungrige Menschen dafür. Ich wollte helfen, das Machtgleichgewicht zu verschieben, um den leisen Stimmen, den „dienenden“ Führungskräften und den Idealisten mehr Gehör zu verschaffen. Zu diesem Zweck trug ich die hilfreichsten Dinge zusammen, die ich als Verhaltenswissenschaftlerin, als jemand, die in Marketing und Vertrieb gearbeitet und sogar ihr Glück als Schauspielerin und Politikerin versucht hat, gelernt hatte. Das Buch befasst sich viel eingehender mit den wissenschaftlichen Grundlagen als die Lehrveranstaltung. Es stützt sich insbesondere auf verhaltensökonomische, sozialpsychologische und neurowissenschaftliche Erkenntnisse.

Wie würden Sie Ihr Buch beschreiben?
Kennen Sie vielleicht Dale Carnegies Buch „How to Win Friends and Influence People?“ Es ist eines der beliebtesten Bücher aller Zeiten – und es wurde im Jahr 1938 geschrieben. Mein Buch ist gewissermaßen dessen Tochter – allerdings auf wissenschaftlicher Grundlage und geschrieben für die heutige komplizierte Welt. Und es ist mehr als nur eine Sammlung von Tools, um das zu bekommen, was man will – dieses Buch beschreibt das Phänomen des positiven Einwirkung auf andere als einen Prozess der Selbstentwicklung. Es bringt Ihnen bei, wie Sie zu jemandem werden, zu dem andere Ja sagen wollen.

Was ist das Einzigartige an diesem Buch?
Es ist im Grunde so, wie wenn Sie die beliebteste Lehrveranstaltung an einer Ivy-League-Business School besuchen würden. Und das Buch eröffnet Lesern eine völlig neue Perspektive auf das Phänomen des „guten Einflusses“. Bei authentischem Einfluss geht es nicht um Transaktionen, sondern um Transformation. Andere Bücher und Kurse, die die Kunst der Beeinflussung lehren, konzentrieren sich auf kurzfristige Transaktionen, bei denen die andere Person das „Ziel“ oder Ihr „Gegner“ oder, bestenfalls, ein „potentieller Kunde“ ist. Diese Art von transaktionaler (nutzenbasierter) Beeinflussung funktioniert nicht bei Menschen, die man mag und schätzt. Deshalb richte ich mein Augenmerk auf Strategien der Beeinflussung, die sich für beide Seiten sowohl angenehm als auch positiv anfühlen – für Ihre Mitarbeiter*innen, Ihren Vorgesetzten, Ihre Partner*in und sogar Ihre Kinder. Dieses Buch wird Ihnen helfen, sowohl die Menschen, die Ihnen wichtig sind, als auch die Menschen, die Sie kennenlernen möchten, in einer positiven Weise zu beeinflussen. 
 

Zoe Chance bei Vortrag

An wen richtet sich dieses Buch?
Das Buch enthält so viele praktische Ratschläge, dass selbst Experten noch viel daraus lernen können. „Der gute Einfluss“ richtet sich an Menschen, die etwas verändern wollen – ob im Großen oder im Kleinen. Vielleicht suchen Sie einen neuen Job, oder Sie handeln mit Ihrem Arbeitgeber die Work-Life-Balance aus, dann könnten Sie zu dem Kapitel über Verhandlungen springen. Wenn Sie sich auf eine wichtige Rede vorbereiten, können Sie zu dem Kapitel über Charisma springen. Wenn Sie eine Frau sind, könnten Sie das Kapitel „Frauen als Verhandlerinnen“ lesen. Wenn Sie eine Führungskraft oder eine Aktivist*in sind, können Sie sich in alle Kapitel vertiefen. Es geht hier nicht nur um Berufsleben und Karriere. Dieses Buch kann Ihnen überall dort, wo es Ihnen wichtig ist, helfen, andere Menschen positiv zu beeinflussen – in Ihrer Gemeinschaft, Ihrer Schule und Ihrer Familie. Die Liste ließe sich beliebig verlängern. 

Ihr Buch stützt sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse. Könnten Sie ein Beispiel für Forschungsergebnisse anführen, die Menschen in Erstaunen versetzen?
Die überraschendsten Erkenntnisse stammen wohl aus der Studie von Chris Chabris und Dan Simon über Unaufmerksamkeitsblindheit. Aber ich will nicht spoilern. Wenn Sie noch nichts davon gehört haben, googeln Sie das Video, und es wird Sie umhauen. Ich schreibe in dem Buch darüber, wie wenig von unserer Umwelt wir im Grunde genommen wahrnehmen – wir können nur das scharf sehen, was auf einen winzigen zentralen Bereich unserer Netzhaut projiziert wird – dieser Bereich des schärfsten Sehens erstreckt sich über nur 0,1 Prozent der Retinafläche. In unserem übrigen Gesichtsfeld wird nur eine sehr niedrige Auflösung erreicht. Dort raten wir mehr oder minder. Und das ist eine Analogie zu den Faustregeln, an denen wir uns bei unseren Entscheidungen orientieren. Wir besitzen einfach nicht die Bandbreite, um große Mengen an Informationen mental zu verarbeiten. Aus diesem Grund zeige ich Menschen, wie sie mit dem „faulen“ Alligatorgehirn sprechen können. Oder, wie es Daniel Kahneman nennen würde, mit System 1. 

Haben Sie aufgrund Ihrer intensive Beschäftigung mit dem Thema der positiven Beeinflussung Ihr eigenes Verhalten geändert?
Aber ja. Als ich jung war, schenkte niemand dem, was ich sagte, Gehör. Ich wuchs mit einer alleinerziehenden Mutter auf und unsere Familie war die ärmste von allen, die wir kannten. Man ließ mich einfach nicht zu Wort kommen, und ich war ein solcher Sonderling, dass ich dachte, dies hänge damit zusammen, dass meine Stimme das gleiche Timbre wie die Umgebungsgeräusche hätte. So verschroben wie ich damals war, begann ich mich mit dem Phänomen der zwischenmenschlichen Beeinflussung in Theorie und Praxis zu befassen. Meine Obsession mit dem Thema Einfluss hat sich auf jeden Aspekt meines Berufs- und Privatlebens ausgewirkt, und ich schildere in dem Buch ein paar Beispiele, wie etwa den Monat, in dem ich zu jeder Bitte Nein sagte, die Zeit, in der ich meine Tätigkeit als Lehrkraft als die der Gastgeberin einer Party reframte, und die kreative Zusammenarbeit, die ich zwischen Yale und Google aushandelte. Aber ich schrieb nicht über eine der wichtigsten positiven Auswirkungen meiner Auseinandersetzung mit dem Thema Einfluss auf mein Leben, nämlich die Tatsache, dass ich eine glückliche Ehe und eine einverständliche Scheidung hatte.  
 

Porträt Zoe Chance

Können Sie mir ein Beispiel für eine der Strategien nennen, die Sie lehren, und was haben Personen, die sie anwenden, damit erreicht? 
Eine der Lieblingsstrategien der Leute ist das, was ich Die magische Frage nenne, weil sie so leicht ist. Wenn Sie fünf Minuten Zeit haben, kann ich sie Ihnen auf eine inspirierende Weise beibringen und ausführlich erläutern, warum man damit so viel bewirken kann. Um nicht lange um den heißen Brei herumzureden: Die magische Frage lautet „Was bräuchte es?“ In dem Buch erläutere ich, wie diese Frage Frauen vor Sexhandel bewahrte und einem Medizingerätehersteller half, Rekordgewinne zu erzielen. Workshop-Teilnehmer*innen, die die Magische Frage von mir gelernt haben, nutzten sie dazu, um ein bezahltes Praktikumsprogramm für unterrepräsentierte Minderheiten bei Turner Networks einzurichten oder um bei der New York Times zu erreichen, dass das Einfrieren von Eizellen als Zusatzleistung für Mitarbeiterinnen vom Arbeitgeber finanziert wird. Viele Leute haben mit Hilfe der Magischen Frage Gehaltserhöhungen und Beförderungen durchgesetzt.

Was, hoffen Sie, werden Leser aus der Lektüre des Buches mitnehmen? 
Meine größte Hoffnung ist, dass Leser etwas, was sie in dem Buch gelernt haben, praktisch anwenden. Es geht mir nicht darum, Ihr Wissen zu vergrößern; es geht mir darum, Sie zu befähigen, andere Menschen positiv zu beeinflussen. Also konzentriere ich mich auf das, was leicht erreichbar ist – einfache Ideen, die wirkmächtig sein können. Tatsächlich ist es die beste Methode, Verhalten zu beeinflussen, Dinge leicht zu machen. Wenn Sie jemanden beeinflussen wollen, etwas zu tun, sollten Sie es für die betreffende Person so leicht wie möglich machen, eine Entscheidung zu treffen und entsprechend zu handeln. Kapitel Zweieinhalb widmet sich ausschließlich diesem Thema. 

Sie unterstützen mit Ihrem Buch den Kampf gegen den Klimawandel?
Ja. Ich spende die Hälfte meine Einnahmen aus dem Verkauf dieses Buches an Organisationen, die die Klimakrise bekämpfen, u.a. an 350.org, eine globale Basisbewegung, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die Umstellung auf nichtfossile Energieträger zu forcieren. Tatsächlich hatten meine Lehrassistent*innen einen enormen Einfluss auf meine Einstellung zu Klimafragen. Etwa die Hälfte von ihnen hat an der School for the Environment der Yale-University studiert. Die enge Zusammenarbeit mit diesen brillanten, netten Menschen, die diese Bedrohung für existentiell erachten – und die zugleich der Meinung sind, dass wir noch die Zeit haben, sie zu entschärfen – hat mich dazu bewogen, mich stärker mit diesem Thema zu befassen. Denn wir können die Klimakrise nur meistern, wenn wir Einstellungen und Verhaltensweisen beeinflussen. Dazu kann ich – dazu kann ein jeder von uns – einen Beitrag leisten. 

Interview bei gleichzeitiger Buchvorstellung zum Abdruck freigegeben
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