Herr Corbett, in Ihrem Buch „Die zwölf Seelen-Vögel“ schreiben Sie darüber, wie wir in der Natur Energie tanken können. Können Sie erklären, warum es so erfrischend und heilsam sein kann, einen Schritt zurückzutreten und unsere Umgebung zu betrachten?
In unserem gestressten und gehetzten Leben vergessen wir zu oft, dass auch wir ein Teil dieses Planeten sind. Wir sehen und hören zwar die Dinge um uns herum, nehmen sie aber nicht wirklich bewusst wahr. Wenn Sie sich die Zeit nehmen, einfach nur in der Natur zu sitzen, zu beobachten und zuzuhören, werden Sie bemerken, dass die Natur von ganz alleine einen Schritt auf Sie zumacht. Ihnen werden die Details einer kleinen Wildblume ins Auge fallen. Vielleicht setzt sich auch ein neugieriges Rotkehlchen neben Sie. Oder aber ein winziger Zaunkönig singt aus der nächsten Hecke ein Ständchen für Sie. Ganz egal ob in der Stadt, oder auf dem Land, Sie werden feststellen, dass Ihre Sorgen und Ängste in diesen besonderen Momenten in den Hintergrund treten werden. Ohne es zu bemerken, entfaltet die Natur ihre heilende Wirkung auf uns.
Haben Sie eine Empfehlung für jemanden, der gerade anfängt Vögel zu beobachten und der durch ihren Gesang Heilung erfahren möchte?
Verbringen Sie am besten so viel Zeit wie möglich draußen in der Natur. Hören Sie einfach nur zu und beobachten Sie Ihre Umgebung. Sie werden nicht nur beginnen, die Natur zu lieben, sondern auch Ihre unmittelbare Umgebung neu entdecken.
Der beste Zeitpunkt um dem Gesang der Vögel zu lauschen, ist der Frühlingsbeginn. Die Zeit in dem die Bäume noch kahl sind, die Vögel aber bereits angefangen haben ihre Lieder zu singen. Sobald Sie eines Märzmorgens eine Amsel oder eine Singdrossel in Aktion beobachtet haben, werden Sie wissen wovon ich rede. Wenn Sie gelernt haben ein oder zwei einzelne Vogelgesänge zu erkennen und bewusst wahrzunehmen, werden Sie ein ganz neues Gefühl für die verschiedenen Geräusche um Sie herum bekommen.
Zusätzlich gibt es auch einige gute Apps, wie BirdNET, die Sie verwenden können, um Vogelgesänge zu identifizieren.
Was können wir von der Natur und im Besonderen von Vögeln lernen? Was haben sie Ihnen beigebracht?
Ich lerne jeden Tag neue Lektionen von den Vögeln. Zum Beispiel die Widerstandsfähigkeit eines winzigen Zaunkönigs an einem eiskalten Wintertag. Der hoffnungsvolle Gesang einer Singdrossel, der mich an einem dunklen Januarmorgen erfüllt. Oder der erste Zilpzalp, der an einem kalten Märztag mit seinem Gezwitscher den Frühling ankündigt. Auch das schiere Wunder der Schwalben, die im April nach einer Reise von tausenden Kilometern bei uns ankommen. All diese Wunder, die jeder von uns tagtäglich erleben kann, zeigen uns die Vögel, wenn wir nur hinsehen.
Als ich anfing, mich dem Rhythmus der Jahreszeiten und meiner natürlichen Umgebung anzupassen, fand ich nicht nur Trost, sondern auch eine neue Perspektive im Leben. Meine Probleme wirkten irgendwie kleiner. Ich spielte nicht mehr die Hauptrolle in meinem eigenen privaten Melodrama, sondern nur noch eine kleine Nebenrolle im großen Epos der Natur.
Sie haben diese zwölf Vögel über einen Zeitraum von zwölf Monaten beobachtet. Gibt es ein Erlebnis, das Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben ist?
Die Feldlerche, die ich auf einem einsamen Hügel in Wiltshire in einer meiner dunkelsten Stunden habe singen hören, wird für mich immer eine ganz besondere Bedeutung haben. Dieser Moment gab mir wieder Hoffnung und ließ mich – vielleicht zum ersten Mal – erkennen, was ich all die Jahre verpasst hatte. Genau das habe ich, ohne es selbst zu wissen, in diesem Moment gebraucht.
Jeder Vogel ist aber auf seine eigene Art und Weise etwas Besonderes. Das ist das Schöne an der Natur: Über die Jahreszeiten verteilt passieren die unterschiedlichsten Dinge, auf die man sich freuen kann.
Alle Vögel haben eine besondere und schöne Art zu singen. Gibt es aber ein Lied, das die menschliche Seele besonders heilt?
Zweifellos singen einige Vögel etwas schöner als andere, das tut aber nichts zur Sache. Manche Vogelgesänge haben mehr Bedeutung als andere. Der erste Kuckuck im Frühling zwitschert vielleicht nicht mit der gleichen Kraft wie eine Nachtigall, aber sein Ruf kündigt den Start des Sommers an. Er wirkt wie ein Balsam für meine Seele.
Wenn ich mich aber für einen Vogel entscheiden müsste, dann wäre es wohl die Drossel. Zu ihr kehre ich immer wieder zurück. Sei es die Melodie einer Amsel an einem hellen Frühlingsmorgen, eine Misteldrossel, die bei Sturm singt, oder die kraftvolle Melodie einer Singdrossel, die an einem regnerischen Januarmorgen durch das Dorf hallt.
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