Inge Heym im Interview über das Lebenswerk ihres Mannes Stefan Heym
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Inge Heym, Sie waren 30 Jahre Stefan Heyms Ehefrau. Wie würden Sie den privaten Stefan Heym beschreiben?
INGE HEYM: Er war ein anderer, als der den man von seinen öffentlichen Auftritten her kannte. Hinter dem harten, durchsetzungsfähigen Mann verbarg sich ein sehr empfindsamer, sensibler Mensch.
Sie waren Dramaturgin bei der DEFA, inwieweit hat die berufliche Nähe gegenseitigen Niederschlag in ihrer beider Arbeit gefunden?
INGE HEYM: Meine Arbeit bei der DEFA hat ihn nicht besonders interessiert. Seine Arbeit war für ihn das wichtigste im Leben. Meine Kenntnisse und Erfahrungen bei der Arbeit an Filmen und Drehbüchern waren für ihn nützlich und anregend, die präzise kurze Beschreibung einer Szene, klare Dialoge, der dramaturgische Aufbau einer Story. So wurde die gemeinsame Arbeit an seinen Bücher, Artikeln und Reden wichtig in unserer Beziehung. Mit mir fand er in die deutsche Sprache zurück, und fühlte sich integriert in eine jüngere Generation, denn meine Freunde, mit denen ich zusammen arbeitete, kamen gerne zu uns.
„Heym ist einer der großen Autoren des 20. Jahrhunderts, der zwischen den Welten wanderte, der immer zwischen den Stühlen saß und der diesen unbequemen Platz als den ihm gemäßen letztlich schätzen gelernt hat.“ schrieb die Westfälische Rundschau einmal. Finden Sie Stefan Heym in diesem Zitat wieder, und wie war das Leben an der Seite diese Mannes?
INGE HEYM: Dieses Zitat ist treffend. Zu ergänzen wäre, dass Stefan immer sich selbst treu blieb, auch wenn es unbequem war. Das Leben mit ihm war interessant, nie langweilig. Doch die Konflikte, in die man kam, durch eine solche Haltung, gingen oft bis an die Grenze des Erträglichen. Aber zu zweit konnte man besser bestehen als allein.
Stefan Heym hat sich zeitlebens immer sowohl publizistisch als auch schriftstellerisch geäußert. Warum war es ihm so wichtig, in beiden Rollen aufzutreten?
INGE HEYM: Seine publizistische und literarische Arbeit ergänzten sich und entsprachen seiner Auffassung von der Rolle des Schriftstellers in der Gesellschaft.
Welche historisch-politischen Ereignisse haben Stefan Heym am meisten geprägt?
INGE HEYM: Die Machtübernahme der Nazis 1933, die Zeit in der Emigration in Prag und in Amerika. Der Krieg. Die McCarthy-Zeit in Amerika. Die Rückkehr aus der Emigration. Die Ankunft in der DDR. Der 17. Juni 1953. Der XX. Parteitag der KPDSU. Die Ereignisse 1968 in Prag. November 1989 - die Rede auf dem Alexanderplatz. Die Art und Weise der Wiedervereinigung 1990. Die Rede zur Eröffnung des 13. Deutschen Bundestages 1994. Internationale Heine-Konferenz in Jerusalem am 13. Dezember 2001.
„Leben heißt an etwas glauben“, sagte Stefan Heym. Was war es, woran er geglaubt hat?
INGE HEYM: An die Veränderung bestehender gesellschaftlicher Machtverhältnisse und die wichtige Rolle, die der Einzelne dabei spielt.
„Was treibt uns denn, dass wir einander ständig Schmerz zufügen?“, hat Stefan Heym sich in seiner schriftstellerischen und politischen Arbeit oft gefragt und die Menschheit als eine beschrieben, die „einander an die Kehle ging und sich gegenseitig zerkratzte, zerschnitt und zerhackte“. Welche Antworten hat er für sich in seinem langen schriftstellerischen und politischen Leben gefunden?
INGE HEYM: Zu unterscheiden zwischen Widersprüchen, antagonistischen, bei denen es ums Leben geht - wie in der Nazizeit - und nicht-antagonistischen - wie in der DDR -, bei denen es nicht ums Leben, sondern ums Wohlleben geht.
In Stefan Heyms erzählerischem Werk stehen neben Romanen, die sich mit den Themen seiner Zeit befassen, auch historische Romane, Erzählungen, Märchen und Satirisches. Wie wichtig war ihm der Wechsel zwischen diesen Genres? Und hatte dieser mit der repressiven Situation in der DDR zu tun?
INGE HEYM: In allen historischen Büchern, allen Texten, finden sich Bezüge zur Gegenwart. Die Märchen schrieb er zu seinem Spaß, zur Entspannung. Die historischen Romane, als es nicht mehr möglich war, Gegenwartsstoffe in der DDR zu veröffentlichen. Aber auch der „König David Bericht“ und „Die Schmähschrift“ wurden anfangs in der DDR nicht veröffentlicht. Man erkannte den deutlichen Bezug zur Gegenwart.
Die großen Romanfiguren Stefan Heyms tragen alle Anteile des Autors in sich: Es sind jüdischer Außenseiter, Revolutionäre und Dichter wie Pargfrider, Lassalle, Radek oder Collin. Selbst Heinrich Heine erscheint in Heyms Magisterarbeit „Atta Troll“ wie eine visionäre Vorlage von Stefan Heym in seinem späteren Leben. Hat Stefan Heym sich über seine Figuren geäußert?
INGE HEYM: In jeder Figur steckt auch etwas von ihm selbst, in den Guten, wie auch in den Bösen. Das war seine Meinung.
Vielen ist Stefan Heym als Schriftsteller aus der DDR bekannt, tatsächlich hat er seine frühen Schaffensjahre gar nicht in Deutschland, sondern in Prag und den USA verbracht. Er schrieb sehr lange alles auf Englisch. In welcher Sprache hat er sich Ihrer Meinung nach mehr zu Hause gefühlt?
INGE HEYM: Er war in beiden Sprachen zuhause.
Inwieweit hat seine zweite Heimat, die USA, Stefan Heyms Art zu schreiben beeinflusst?
INGE HEYM: Er schrieb und sprach nur noch Englisch, als er nach Amerika kam. Beeinflußt war er von der amerikanischen Literatur und den bedeutenden Schriftstellern dieser Zeit.
Wie wurde Stefan Heym nach seiner Rückkehr nach Deutschland im englischsprachigen Ausland wahrgenommen? Wurden seine Werke weiterhin international verlegt und rezipiert?
INGE HEYM: Es war die Zeit des kalten Krieges. Seine Bücher wurden vorwiegend in den sozialistischen Ländern veröffentlicht.
Mit „Flammender Frieden“ wird Stefan Heyms zweiter Roman „Of Smiling Peace“ zum ersten Mal ins Deutsche übersetzt. Wie hat die Kriegszeit den jungen Stefan Heym geprägt? War sie in den späten Jahren noch oft Thema in persönlichen oder öffentlichen Gesprächen?
INGE HEYM: Er hat seine Erlebnisse literarisch verarbeitet, privat nicht darüber gesprochen.
1943 ist Stefan Heym in die U.S. Army eingetreten, hat als Sergeant in einer Einheit für psychologische Kriegsführung an der Invasion in der Normandie teilgenommen. Inwieweit sind seine Erlebnisse in den Roman „Of Smiling Peace“ eingeflossen?
INGE HEYM: Diese Erlebnisse spielen eine Rolle in „Crusaders“. „Of Smiling Peace“ sah er später als Material und als eine Art Vorstufe für „Crusaders“.
In der DDR war Heym einer von wenigen Intellektuellen, die aus dem West-Exil in die DDR gegangen sind. Was zeichnete diese Rolle des Westexilanten aus?
INGE HEYM: Leute, die aus der Westemigration kamen wurden in den Anfangsjahren der DDR willkommen geheißen und hofiert, wie Brecht und Seghers, so auch Stefan Heym. Die anfangs verdeckten Widersprüche zwischen denen, die aus der Westemigration und denen die aus der Sowjetunion kamen zeigten sich bald, ohne offen ausgetragen zu werden. Die Westemigranten waren den Herrschenden immer verdächtig und wurden genau beobachtet.
In „Der Winter unseres Mißvergnügens“ hat Stefan Heym die bedrückende Situation der Stasi-Überwachung beschrieben. Wann ist es Ihnen bewusst geworden, dass sie überwacht wurden und welche Auswirkungen hatte das auf die Arbeit von Stefan Heym und auf ihr gemeinsames Leben?
INGE HEYM: Das Ausmaß der Überwachung haben wir erst nach Öffnung der Stasi-Akten erfahren. Die Überwachung wurde zum Teil konspirativ, ohne dass wir etwas davon bemerkten, durchgeführt. Auf der anderen Seite sehr offen und sichtbar, mit dem Ziel zu verunsichern, Angst zu verbreiten, und uns zu veranlassen, das Land zu verlassen. Die Frage war: Bleiben oder Gehen. Viele sind gegangen und wir verloren Freunde. Unsere Beziehung wurde dadurch gefestigt und unsere gemeinsame Arbeit wurde intensiver. Ich verlor zwar meine Arbeit bei der DEFA, Stefans Arbeit wurde davon nicht berührt. Er veröffentlichte seine Bücher, die in der DDR nicht mehr erscheinen durften, im Westen.
In unserer Werkausgabe gibt es den Titel „Stalin verläßt den Raum“. Eine Publizistik- Sammlung, die 1990 in sehr hoher Auflage erschienen ist. Können Sie uns die Geschichte dieses Buches erzählen?
INGE HEYM: „Stalin verläßt den Raum“ ist eine Auswahl aus den Publizistikbänden „Wege und Umwege“ und „Einmischung“, die in der DDR nicht erschienen sind. 1990 hat Heinfried Henniger bei Reclam diese Auswahl für die DDR zusammengestellt. Es gab nach den ersten Auslieferungen, die aus der Druckerei in die Buchhandlungen kamen, so viele Bestellungen, dass die Auflage auf 100 000 Exemplare erhöht wurde. Diese Bücher gingen dann, wie es üblich war, in die Hallen der LKG (Leipziger Kommissionsgroßbuchhandel, zentraler Buchgrossist und Barsortimenter der DDR). Von dort wurden sie an den Handel, an Bibliotheken, usw. ausgeliefert. 1990/91 befand sich in den Hallen ein Lagerbestand von zehn Millionen Büchern. Nachdem die Treuhand die Hallen übernommen hatte, wurden die Bücher auf Mülldeponien bei Leipzig verkippt. So auch die hohe Auflage von „Stalin verläßt den Raum“. Pfarrer Weskott aus dem niedersächsischen Katlenburg initiierte eine Rettungsaktion und holte mit Brauereifahrzeugen eine Million Bücher von der Mülldeponie, die er in einer alten Ritterburg aus dem 12. Jahrhundertunterbringen konnte. Dort befinden sich noch ca. 20 000 Exemplare von „Stalin verläßt den Raum“.
Am 10. November 1994 hielt Stefan Heym die Eröffnungsrede als Alterspräsident des Deutschen Bundestags. Um diese Rede herum gab es einen Skandal. Wie hat Stefan Heym das empfunden?
INGE HEYM: Er war darauf vorbereitet und hatte nach den am Vorabend über das Fernsehen verbreiteten Falschmeldungen über angebliche Stasi-Verstrickungen Schlimmeres erwartet. Erst nach der Eröffnung konnte er in einem Pressegespräch die falschen Informationen widerlegen.
Neben seinem literarischen Wirken war Stefan Heym vor allem bekannt für seine Auftritte als Redner. Welche Bedeutung hatte für ihn das gesprochene Wort sowohl in seinem Werk als auch in seinem öffentlichen Auftreten? Ein Beispiel ist die Rede auf dem Alexanderplatz am 4. November 1989.
INGE HEYM: Seine öffentlichen Auftritte entsprechen seiner Auffassung von der Stellung des Schriftstellers in der Gesellschaft, sich einmischen, sein Wort zu Gehör bringen. Er hat nicht darauf gedrängt, für ihn war die Arbeit am Schreibtisch, das Schreiben wichtiger.
Wie haben Sie seine Ausstrahlung auf das Publikum empfunden? Wie sind Ihnen die Reaktionen im Gedächtnis?
INGE HEYM: Seine Lesungen und Veranstaltungen waren immer überfüllt. Überwiegend kam ihm Sympathie und Dankbarkeit von den Leuten entgegen.
Welche Botschaft wollte ihr Mann mit „Flammender Frieden“ vermitteln? Und meinen Sie, dass diese für das heutige Publkium noch aktuell ist?
INGE HEYM: Es könnte sein, dass er, wenn er heute noch lebte, den Roman literarisch überarbeiten würde, wie er es damals mit „Die Architekten“ und „Der Tag X“, später „5 Tage im Juni“, tat. Der Roman hat heute möglicherweise eine neue Aktualität.
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Barbara Romeiser