Aktuelles | 18.02.2021 | Penguin

Im Gespräch – Stephan R. Meier über seinen Thriller »44 Tage«

Stephan R. Meier, © Francesco Damele

Als Sohn von Richard Meier, dem damaligen Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz hat Stephan R. Meier die RAF-Zeit hautnah miterlebt. Sein exklusives Insider-Wissen verarbeitet er zu einem hochspannenden Polit-Thriller. Im Interview spricht der Autor über seine Jugend, seinen Vater und die 44 Tage, die Deutschland für immer verändert haben und den Stoff für seinen neuen Thriller liefern.

In »44 Tage« schreiben Sie über ein brisantes Kapitel der deutschen Geschichte. Wovon genau handelt Ihr Thriller?

Von einem bis heute streng geheimen Pakt und dem wohl am besten gehüteten Geheimnis der deutschen Nachkriegsgeschichte. »44 Tage« beleuchtet vor allem die entscheidende Rolle der Geheimdienste in dieser extrem verdichteten Phase linksradikaler Gewaltexzesse. Erst unter Einsatz aller nachrichtendienstlichen Methoden ist es Deutschland gelungen, mit der RAF fertig zu werden. In »44 Tage« habe ich viele ganz neue Perspektiven entwickelt, vor allem die Sicht des Krisenstabes wird deutlich: Die RAF lauerte, was der Krisenstab als nächstes macht, der Krisenstab lauerte, was die RAF als nächstes unternimmt. Und das wochenlang. Im Hintergrund lief eine geheime Operation auf internationaler Ebene.

Der Begriff Deutscher Herbst ist längst in die Geschichte eingegangen. Von der Entführung Hanns Martin Schleyers bis zur Befreiung der Lufthansa-Maschine Landshut in Mogadischu durchlebte Deutschland damals die Hochphase des RAF-Terrors, man könnte auch sagen, dass es in diesen 44 Tagen zum finalen Show-Down zwischen Bundesregierung und RAF gekommen ist. Wer nicht dabei war, sollte das erfahren. Wer zu klein war, oder es vergessen hat, auch. Denn diese Phase war wie ein Lehrstück für wehrhafte Demokratie und hat die Weichen gestellt für alles, was danach kam.

Als Sohn von Richard Meier, damals Bundesverfassungsschutz-Präsident, haben Sie diese Zeit so nah miterlebt wie wohl kaum jemand. Wie haben Sie diese Wochen in Erinnerung?

Wir waren ja nur die Angehörigen – und trotzdem mitten drin. Wir standen unter ständiger Bewachung durch das Bundeskriminalamt und den Bundesgrenzschutz, unter reger Mithilfe der örtlichen Polizei. Die potentielle Gefahr, entführt zu werden, war uns jederzeit bewusst.

Als Kinder von Richard Meier wären meine Geschwister und ich ein gutes weiteres Druckmittel gewesen, um die Forderungen der RAF durchzusetzen. Auch der Rachedurst der RAF spielte eine große Rolle. Wir mussten uns daran gewöhnen, dass es kein »normales« Familienleben in so einer Bedrohungslage gibt. Schwer bewaffnete Leibwächter waren ständig in unserer Nähe, im Schulalltag, wenn wir mit dem Hund rausgingen, beim Sport aber auch im Urlaub, wo die Bodyguards auf Handtüchern um uns herum am Strand lagen. Ihre Waffen – schwere Smith & Wesson Revolver – trug dann oft meine Mutter in ihrer Strandtasche, weil es in den Badehosen der Bodyguards natürlich keine Versteckmöglichkeiten gab. Die Terroristen waren Menschen, die wir gar nicht kannten, und die nach unserem Leben trachteten, um unseren Vater zu treffen. Uns wurde deshalb ein tiefes Misstrauen eingeimpft, und das war vielleicht die schwerste Last, mit der wir auch später noch zu kämpfen hatten.

Die zentrale Figur in Ihrem Thriller ist Roland Manthey. Würden Sie ihn kurz charakterisieren?

Die Vorlage zu Roland Manthey ist mein Vater. Manthey ist der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz und ein Spitzenbeamter, der seine Rolle als Geheimdienstchef erfüllt wie vielleicht kein zweiter in der Nachkriegsgeschichte der BRD. Seine Loyalität gilt ausschließlich dem Amt. Er ist parteilos, was ungewöhnlich ist, ihn aber politisch unabhängig macht. Es ist Manthey zu verdanken, dass Deutschland eine so wichtige und glaubwürdige Rolle bei der Verteidigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung einnehmen kann, weil es Männern wie Manthey gelingt, den Spagat zwischen Freiheit und den Schutz derselben hinzubekommen. Ohne jede Polemik, mit Tatkraft, Können und Loyalität zur Demokratie und ihren Institutionen.

In Deutschland ist der Blick auf Geheimdienste oft negativ und mit Begriffen wie »Spitzel«, »Verräter«, »Spion« oder »Schnüffler« verbunden. Ganz anders als beispielsweise in den USA oder Großbritannien, wo die Diskussion in der Öffentlichkeit mit mehr Respekt und Ehrfurcht – ja fast Bewunderung geführt wird. Dabei muss sich jeder, der in einer demokratischen freiheitlichen Grundordnung leben will, einen funktionierenden Geheimdienst wünschen, der Gefahren frühzeitig erkennt und bekämpft. Manthey ist ein Typ, der beides verkörpert: Integrität und Schlagkraft.

Sie haben bereits mehrere Sachbücher über Ihren Vater geschrieben. Warum verarbeiten Sie diesen Stoff nun zu einem Polit-Thriller?

Weil ich Dinge schildere, die aus Gründen der höchsten Geheimhaltungsstufe nur in fiktionaler Form beschrieben werden können. Die Fiktion liefert auch ganz andere Möglichkeiten, Ereignisse zu verdichten und erlaubt es, die intellektuellen Reflektionen der handelnden Akteure von damals mit einem über 40-jährigen Abstand zu den Ereignissen zu komplettieren. Ein Roman ist immer ein Unterhaltungsmedium. Er bietet auch den unschlagbaren Vorteil, dass man eine wesentlich breitere Zielgruppe erreicht – nicht nur diejenigen, die sich ohnehin für Zeitgeschichte interessieren und sich allein deshalb bereits mit der RAF auseinandergesetzt haben, sondern auch Thriller-Fans, die über den spannenden Stoff auf das Thema aufmerksam gemacht werden. Es ist mir ein besonderes Anliegen, dass die Leute erfahren oder sich in Erinnerung rufen, was damals passiert ist und was es für Konsequenzen gab, die bis heute wirken.

Und der Stoff ist wie gemacht für einen Thriller. Es stand wirklich Spitz auf Knopf damals. In den 44 Tagen lief eine der spannendsten Geheimdienstoperationen, die es in Deutschland je gegeben hat. Alle Unterlagen hierzu waren und sind weiterhin streng geheim. Auch das ist ein Grund, aus dem ich die Romanform gewählt habe.

Der RAF-Terror hat viele Opfer gefordert, deren Familien zurückgeblieben sind. Haben Sie es irgendwann als Tabu empfunden, sich dem Thema über einen Unterhaltungsroman zu nähern?

Nein, absolut nicht. Denn jeder gute und spannende Unterhaltungsroman regt auch zum Denken an. Wir müssen weg von der Täter-Kultur und hin zu einem respektvollen Umgang mit den Opfern dieser sinnlosen Taten – hier im speziellen mit den Opfern der RAF. Täter von damals werden irgendwann aus der Haft entlassen, dürfen in TV-Dokus über ihre Legitimation sprechen und schildern, wie sie ein neues Leben beginnen. Zu den wirklichen Tathergängen, deren Aufklärung den Hinterbliebenen enorm helfen würde, schweigen sie. Das ist unerträglich für die Angehörigen, die von den Terroristen zu lebenslangen Konsequenzen verurteilt wurden. Ein Tabu habe ich nie empfunden, denn ich demaskiere jeden Terrorismus als Sackgasse und die Terroristen selbst als gescheiterte Existenzen.

Im Krisenstabs in »44 Tage« wird intensiv um die Einhaltung beziehungsweise das Ausdehnen der Grenzen der Verfassung gerungen. Wie blicken Sie auf die momentanen Herausforderungen des Staates im Umgang mit der Corona-Pandemie?

Da gibt es im Moment viele Parallelen zu damals. Der Staat muss die Freiheit und die Unversehrtheit jedes Einzelnen schützen und bewahren. Der Staat muss aber gleichzeitig auch die Freiheit und die Unversehrtheit der Allgemeinheit schützen und bewahren. Genau hier liegt das vermeintliche Dilemma. Juristisch ist das ganz klar formuliert und eindeutig entschieden – übrigens seit 1977, seit dieser 44 Tage: Der Schutz der Allgemeinheit ist juristisch höher zu bewerten als der des Individuums. Es war also juristisch gesehen legitim, das Leben Schleyers durch ein Ablehnen der Forderungen der RAF in Gefahr zu bringen.

In der Corona-Pandemie gibt es noch einen weiteren Aspekt: Das Thema, die Bekämpfung eines Virus, ist für die verantwortlichen Politiker ein weitgehend fremdes Territorium. Sie können sich also nur bei Fachkundigen schlau machen und hier Grundlagen für ihre Entscheidungen suchen. Und was macht ein Arzt, wenn ein Patient krank ist? Er schickt ihn nach Hause, steckt ihn ins Bett und rät ihm, sich zu isolieren. Nichts anders passiert im Moment. Die freiheitliche Grundordnung ist das höchste zu verteidigende Gut, das wir haben. Aber wenn ich krank bin und sterben, wenn ich andere mit einem potentiell tödlichen Virus anstecken kann, dann ändern sich die Regeln.

Bis heute übt die RAF auf viele eine Faszination aus. Nach Ihrer intensiven Auseinandersetzung mit deren Taten und der Geschichte – können Sie sich diese Faszination irgendwie erklären?

Ja, absolut. Negative Helden finden immer ihr Publikum. Baader war schon ein Typus, dessen Strahlkraft mehr auf schnellen Autos, Waffen, schnodderiger Sprache und einem gefährlichen Leben fußte als auf verfassungsrechtlichen Analysen und intellektuellen Statements. Und auch die anderen Mitglieder der RAF wurden nicht als mordende Revolutionäre geboren. Aber aufgepeitscht durch die entsetzlichen Bilder des Vietnamkrieges und getragen durch die Kraft eines neuen Gemeinschaftsgefühls nach der Studentenbewegung von 1968 bildete sich eine entschlossene kleine Elite heraus, die in den Untergrund ging.

Ein bisschen Che Guevara-Romantik. Bestechende links-intellektuelle Logik durch Ulrike Meinhof. Ein wenig Leninismus und der Glaube, eine kleine Avantgarde könne die Revolution beschleunigen. Etwas Anarchismus und der Wunsch nach herrschaftslosen Gesellschaften; der Glaube an die Revolution als Motor für gesellschaftliche Veränderungen; und nicht zuletzt der Maoismus und die Idee, politische Macht entspringe Gewehrläufen – das war das Rezept der RAF. Dieser vermeintliche Idealismus hat sich auf die vier in Stammheim inhaftierten Mitglieder projiziert und sie ungemein attraktiv für viele Anhänger gemacht. Jede Zeit hat ihre Helden, und für viele Menschen hatte die RAF damals etwas Heldenhaftes.

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Sein Job: das Land zu schützen. Sein Gegner: der Terror. Seine Entscheidung: die härteste seines Lebens.

5. September 1977: Der Terror in Deutschland nimmt immer brutalere Ausmaße an. Auf offener Straße wird der Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer entführt. Roland Manthey, Chef des Verfassungsschutzes und mächtigster Staatsmann im Krisenfall, weiß auch ohne das Bekennerschreiben, wer dafür verantwortlich ist.

Die RAF fordert die Freilassung ihrer inhaftierten Mitglieder im Austausch gegen die Geisel. Eilig beruft Manthey einen Krisenstab ein, der vor der größten Bedrohung in der Geschichte der Bundesrepublik steht. Während das verängstigte Volk den Atem anhält, sucht Manthey fieberhaft nach der Geisel. Doch als die Ereignisse eskalieren, steht er vor der schwersten Entscheidung seines Lebens …

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