"Generation arbeitsunfähig" - Interview mit Rüdiger Maas
"Eine erfolgreiche Fahrt in unruhigen Gewässern gelingt nur, wenn wir gemeinsam rudern."
Fünf Fragen an den Psychologen und Generationenforscher Rüdiger Maas
Herr Maas, aktuell stehen vier Generationen im Berufsleben: Die Boomer, Generation X, Generation Y und die Jüngsten, Generation Z. Immer öfter hat man das Gefühl, dass die drei älteren Gruppen einander ratlos anschauen, angesichts dessen, wie „die Jungen“ so ticken. Woher kommt das?
Rüdiger Maas: Der Arbeitsmarktkontext der Generation der Babyboomer (Geburtenjahrgänge 1950-1964) unterscheidet sich stark von dem der Generation Z (Geburtenjahrgänge 1995-2009): Während die Babyboomer durchschnittlich mit 30 bis 80 Mitbewerber:innen bei einem Jobangebot konkurrieren mussten, haben die Angehörigen der Generation Z mehr denn je die Wahl: Als kleinste Alterskohorte seit dem Zweiten Weltkrieg und aufgrund des aktuellen Arbeitnehmermarktes kommen rechnerisch wenige Bewerber:innen auf viele Stellenangebote. Eine Vielzahl der Stellen bleibt sogar unbesetzt.
Die Generation Z hat die Wahl, sich die Stelle auszusuchen, die sie wirklich möchte oder die zu ihr passt. Für viele Arbeitgeber:innen fühlt es sich so an, als hätten sie mit ihren Arbeitnehmer:innen die Plätze getauscht. Denn nun müssen sich die Unternehmen um ihre Nachwuchskräfte bewerben. Dieser „Rollentausch“ trifft häufig bei den Babyboomern auf Unverständnis. Denn diese mussten sich bei Karrierefragen schon mal mit den Ellenbogen durchkämpfen, waren froh um jede Stelle und trauten sich kaum, Forderungen an die Arbeitgeber:innen zu stellen.
Das führt zu Generationenkonflikten am Arbeitsmarkt, die aber aus psychologischer Perspektive nicht ungewöhnlich sind. Denn egal, ob wir es gut oder schlecht finden: Die Generation Z kennt ja keine andere Arbeitswelt und hat sich, wie jede Generation, einfach der Umgebung angepasst, die sie vorgefunden hat bzw. vorfindet.
Für jeden Boomer, der die kommenden Jahre in Rente geht, kommt nur eine halbe Arbeitskraft der Generation Z nach. Grund genug für Personalverantwortliche, in Panik auszubrechen und den Jungen den roten Teppich auszurollen …?
Rüdiger Maas: Ein gewisses Entgegenkommen von Seiten der Arbeitgeber:innen ist notwendig, da das Unternehmen für die Nachwuchskräfte attraktiv erscheinen muss, um beim „war for talent“ eine gute Figur zu machen. Den roten Teppich auszurollen hilft allerdings nicht, den Fachkräftemangel zu beheben. Unternehmen sollten den Mut haben, nur diejenigen einzustellen, die wirklich zu ihnen passen. Wenn beispielsweise eine junge Nachwuchskraft trotz sieben Rechtschreibfehlern im Anschreiben und einer falschen Empfängeradresse zum Bewerbungsgespräch eingeladen wird, dort unpünktlich erscheint und dennoch eine Arbeitsstelle mit allen möglichen Incentives angeboten bekommt, ist das nicht die Person, die man wirklich braucht, um den Job angemessen zu erfüllen. Der „Konflikt“ ist somit vorprogrammiert.
Welche Seite muss den ersten Schritt machen in der Generationenverständigung?
Rüdiger Maas: Ein Zusammenarbeiten kann nur funktionieren, wenn unterschiedliche Generationen ihre verschiedenen Erfahrungshintergründe anerkennen und die Andersartigkeit verschiedener Menschen respektieren. Schaffen sie das nicht, dominieren Vorurteile und Stereotype über Menschen verschiedener Generationen, welches letztlich den gemeinsamen Arbeitsalltag erschwert. Wenn wir Menschen mit vorgefassten Meinungen begegnen, führt das nicht nur dazu, dass wir uns diesen Menschen gegenüber entsprechend unserer Meinung verhalten, sondern auch dazu, dass sich unser Gegenüber unwohl und nicht willkommen fühlt. Welche Mitglieder der Generation Z möchten schon bei einer Firma arbeiten, bei der die Generation Z als arbeitsunwillig gilt? Welcher Babyboomer hat Lust dort zu arbeiten, wo er bzw. sie mit „OK Boomer“ begrüßt oder als rücksichtslos bezeichnet wird?
Sie forschen am Institut für Generationenforschung seit Jahren insbesondere zur Generation Z. Hat Sie irgendein Ergebnis besonders überrascht?
Rüdiger Maas: Immer wieder erstaunlich ist, dass viele der Vorurteile, die die Generationen übereinander haben, nicht zutreffen. Beispielsweise wird die Generation Z häufig als unverbindlich bezeichnet. „Verbindlich zu sein“ bedeutet aber für junge Menschen heutzutage, wenn zum Beispiel schnell per WhatsApp abgesagt werden kann, und somit etwas ganz anderes als für ältere Generationen. Das kann zu Unverständnis führen, wie wir in unserer „Generation-thinking“-Befragung 2023 herausfinden konnten.
Etwa 70 Prozent der Menschen in Deutschland glauben beispielweise, dass sich die Generation Z in der Arbeit viel weniger durchbeißt als ältere Generationen. Allerdings ist die Art des Durchhaltevermögens, das noch die Babyboomer zeigen mussten, für die Generation Z nicht nötig. Die Generation der Babyboomer hätte sich wahrscheinlich ähnlich verhalten, wären sie im Arbeitskontext der Generation Z groß geworden. Überraschend daran ist, dass etwa die Hälfte der Generation Z selbst daran glaubt, weniger Durchhaltevermögen als ältere Generationen zu haben, begründet durch eine nun „selbsterfüllenden Prophezeiung“. Die Vorurteile, die die älteren Generationen gegenüber der Generation Z haben, übertragen sich, medial verstärkt, auf das Selbstverständnis der Angehörigen der Generation Z. Umso wichtiger ist es, sich anbahnende Generationenkonflikte in Unternehmen zu bearbeiten.
Ihre Vision für die perfekte Arbeitswelt von morgen?
Rüdiger Maas: Ob Arbeit jemals perfekt für alle sein kann, ist fragwürdig, denn jeder Mensch blickt mit eigenen Erfahrungen, Erwartungen und Vorstellungen auf den Arbeitsmarkt. Ein perfekter Zustand der Arbeitswelt wird immer eine Utopie bleiben, da wir in einem veränderbaren Fluss des Geschehens leben und arbeiten. Immer wieder müssen wir uns an veränderte Kontexte anpassen und für uns ausloten, welche Arbeitswelt wir uns wünschen.
Ich würde daher statt von einer perfekten Arbeitswelt lieber von einem gelungenen Transformationsprozess in verschiedenen Arbeitswelten sprechen. Dazu müssen alle Generationen lernen, offen für Innovation und neue Wege zu sein, aber nicht unüberlegt das Altbewährte über Bord zu werfen. Alt und Jung sitzen in einem Boot. Eine erfolgreiche Fahrt in unruhigen Gewässern gelingt nur, wenn wir gemeinsam rudern.
Die Fragen stellte Susanne Grünbeck.
© Goldmann Verlag
Rüdiger Maas, „Generation arbeitsunfähig. Wie uns die Jungen zwingen, Arbeit und Gesellschaft jetzt neu zu denken“, erscheint am 27. März 2024 bei Goldmann.
Constanze Schwarz