Aktuelles | 03.03.2022 | Kailash

Fragen an Turid Müller, Autorin von "Verdeckter Narzissmus in Beziehungen"

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"Mich hat überrascht, wie wenig man zu den subtileren Formen narzisstischen Missbrauchs in der deutschsprachigen Literatur findet. Daher war es mir wichtig, dieses Buch zu schreiben. Ich hoffe sehr, dass diese Muster bekannt werden und mehr Menschen frühzeitig Unterstützung finden."

Turid, Dein Buch befasst sich mit verdecktem Narzissmus, einer eher unbekannteren und subtileren Form. Was hat Dich bei der Beschäftigung mit dem Thema am meisten überrascht?

Die größte Überraschung war tatsächlich die, die mich zur Beschäftigung mit diesem Thema veranlasst hat: nämlich herauszufinden, dass es so etwas wie verdeckten Narzissmus überhaupt gibt. Obwohl ich selbst Psychologin bin, hatte ich – wie die meisten – nur das vor Augen, was man so gemeinhin unter Narzissmus versteht. Selbst die Diagnose Manuale erfassen vor allem die klassischen Eigenschaften wie z.B. eine hohe Meinung von sich selbst. Für den verdeckten Narzissmus gibt es einen großen blinden Fleck – auch bei Profis aus Psychologie, Medizin und Pädagogik. So wird er oft nicht als solcher erkannt.
Erschwerend kommt hinzu, dass auch emotionaler Missbrauch etwas ist, das die Gesellschaft noch nicht auf dem Schirm hat. Mythos: Missbraucht werden nur Opfertypen. Das ist schlicht falsch. Es kann allen passieren. Auch ich als Fachfrau habe eine toxische Partnerschaft hinter mir. Einfach nicht einordnen zu können, was man da erlebt, kenne ich also aus eigener Erfahrung. Als ich es endlich benennen konnte, war ich fünf Tage später weg – Wissen ist Macht!
Mich hat überrascht, wie wenig man zu den subtileren Formen narzisstischen Missbrauchs in der deutschsprachigen Literatur findet. Daher war es mir wichtig, dieses Buch zu schreiben. Ich hoffe sehr, dass diese Muster bekannt werden und mehr Menschen frühzeitig Unterstützung finden.

 

Woran merke ich, ob ich in einer emotional missbräuchlichen Beziehung bin?

Allein diese Frage zu stellen, kann ein erstes Zeichen sein. Denn klassisch für Missbrauchsbeziehungen ist, dass ich mich ständig in einem Zustand von kognitiver Dissonanz befinde. Das heißt, dass ich zwischen verschiedenen Sichtweisen auf meine Partnerschaft hin- und her pendele: Ich dachte, es wäre eine glückliche Beziehung – aber irgendwas passt nicht ins Bild! Wir wollen heiraten – doch wie ich behandelt werde, fühlt sich nicht nach Liebe an. Die magischen Momente gibt es noch – aber ich bin zunehmend fertig und verzweifelt.
Wenn ich mir selbst immer wieder bestätigen muss, dass meine Beziehung eine Gute ist, ist das ein Warnzeichen.

 

Du schreibst Betroffene von dieser besonderen Form des emotionalen Missbrauchs verlieren oft das Vertrauen in ihr Bauchgefühl, weil ihnen die Umgebung und manchmal sogar in der Paartherapie gespiegelt wird: „Du hast doch so einen tollen Menschen an deiner Seite!“ Was rätst du Personen, die verunsichert sind, ob sie es wirklich mit verdecktem Narzissmus in ihrer Beziehung zu tun haben – oder ob sie selbst das Problem sind, wie die Partnerin oder der Partner sie das glauben machen?

Auch hier gilt: Wissen ist Macht. Ein erster Schritt ist es, sich zu informieren grade auch über die weniger offensichtlichen Formen.

Zusätzlich kann eine Therapie ein sicherer Rahmen sein, sich Klarheit zu verschaffen. Dabei ist es wichtig, jemanden zu finden, der sich mit narzisstischen Beziehungen, missbräuchlichem Verhalten und auch den verdeckten Formen von Narzissmus auskennt. Ein geschultes Gegenüber kann uns aus dem Nebel der kognitiven Dissonanz heraushelfen. Eine therapeutische Beratung kann uns dabei unterstützen, Muster zu erkennen, weise Entscheidungen zu treffen, für uns zu sorgen und der eigenen Wahrnehmung wieder trauen zu lernen. Denn diese innere Richtschnur ist bei Opfern von Manipulationstechniken wie „Gaslighting“ oft gestört.

 

Was bedeutet das?

Der Name dieser Manipulationsmethode leitet sich vom Film „Gaslight“ ab: Darin wird eine Frau von ihrem Mann systematisch in den Wahnsinn getrieben. Das gelingt ihm, indem er sie an ihrer Wahrnehmung und damit an ihrer geistigen Gesundheit zweifeln lässt. Wenn er die Gaslichter im Haus flackern lässt, behauptet er, das nicht zu sehen. So muss seine Frau zu dem Schluss kommen, dass sie sich das nur einbildet. Nach und nach verliert sie ihr Selbstvertrauen.
Genauso funktioniert Gaslighting: Jemand, dem wir vertrauen, versteckt Dinge, lügt oder redet uns unsere Gefühle aus (oder ein) bis wir massiv an uns selbst zweifeln.

Die Irritation der Gegaslighteten kann unterschiedliche Ausmaße annehmen: Sie reicht von einer leichten Verunsicherung bis hin zu der Angst, kognitiv erkrankt zu sein oder gar verrückt zu werden („Crazy Making“).

 

Konflikte kommen in jeder Beziehung mal vor – wann sollten wir hellhörig werden?

Ein klares Alarmzeichen ist, wenn jemand in Streitsituationen grundsätzlich keinerlei Verantwortung für den eigenen Anteil an einer Situation übernimmt. Wenn die Schuld immer nur beim Gegenüber, bei Dritten oder den widrigen Umständen liegt und es keinerlei Selbstreflexion gibt. Auch wenn die Beziehung stagniert, wenn ein Paar gemeinsam keine Probleme lösen kann. Wenn meine Bedürfnisse in der Beziehung nicht berücksichtigt und meine Grenzen nicht respektiert werden. Es braucht keine Narzissmus-Diagnose, um zu erkennen: Das ist toxisches Verhalten.


Worauf kann ich achten, um gar nicht erst an jemanden zu geraten, der ein Thema mit verdecktem Narzissmus hat?
In der Anbahnungsphase gibt es verschiedene Verhaltensmuster, die Warnsignale sind. Eines ist z.B. „Love Bombing“, das sind zu schnelle und zu frühe Liebesbeweise: Wenn ich z.B. schon beim ersten Date zu hören bekomme, ich sei die große Liebe, wenn ich mit unangemessen teuren Geschenken überhäuft oder mit lieben Nachrichten bombardiert werde. Bei subtileren Formen von Narzissmus werde ich vielleicht nicht zu einer Weltreise eingeladen, sondern bekomme das Versprechen, niemals verlassen zu werden. Oder meine Flamme scheint seelenverwandt zu sein.
Auch das Gegenteil kann eine rote Flagge für toxische Dynamiken sein: Dass jemand zwischen den Dates völlig untertaucht und ich mich plötzlich in der Rolle wiederfinde, Tempo zu machen, weil ich das Gefühl habe, um Zuneigung kämpfen zu müssen.
Daher gilt immer: Wenn mir in der Kennenlernphase etwas auffällt oder unangenehm ist, sollte ich das Gespräch suchen und kommunizieren, welche Rahmenbedingungen für mich stimmig sind, z.B. wie viel Kontakt oder auch Verbindlichkeit ich benötige. Die Reaktion gibt dann Anhaltspunkte: Wenn das Gegenüber nicht verständnisvoll oder sogar abwertend reagiert und wenn es keine Veränderungsbereitschaft gibt, habe ich meine Antwort.

 

(c) Kailash Verlag (Abdruck nur nach Rücksprache mit dem Verlag)

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