Fragen an Till Raether zu seinem neuen Roman »Die Architektin«
»Die Architektin« erscheint heute bei btb
Herr Raether, worum geht es in Ihrem neuen Roman?
»Die Architektin« handelt vom größten Bauskandal der Berliner Nachkriegs-Geschichte, und davon, wie Anfang der Siebziger Jahre ein junger Zeitungspraktikant in diesen Skandal verwickelt wird. Es ist eine Geschichte über Macht und Utopien, Liebe und Freundschaft, und über zwei völlig unterschiedliche Hauptfiguren: Otto, einen naiven neunzehnjährigen Berufsanfänger, und die super erfolgreiche Architektin Ende vierzig. Es geht aber auch um Gespenster, Hobbykeller, kommunistische Untergrundgruppen, Kochen im Römertopf und mit Aspik, um Scharlachberg Meisterbrand und Miami-flip und, eine weitere Schwäche von mir, zeittypische Kalauer. Aber vor allem geht es darum, wie schwer es ist, die Welt so mitzugestalten, dass man auch darin leben möchte.
Die Figur der Architektin ist von einer realen Person, der Architektin Sigrid Kressmann-Zschach, inspiriert. Was fasziniert Sie an dieser Person, warum eignet sie sich so gut als Anregung für eine Romanfigur?
Es gibt ein Foto von Sigrid Kressmann-Zschach vor einem Untersuchungsausschuss, sie soll erklären, wo das Geld für das Kreisel-Bauvorhaben geblieben ist, und warum sie nicht mit ihrem Honorar für die Baupleite haftet. Sie sieht so gelassen aus: geduldig, fast unbeteiligt. Sie zieht sich gerade eine Zigarette aus der Schachtel und lässt das alles ganz in Ruhe auf sich zukommen. Darauf bin ich durch Zufall gestoßen, und ihre Ausstrahlung macht sie für mich zur idealen Inspiration für eine Romanfigur. Es ist sehr reizvoll, sich zu überlegen, was für eine Geschichte und was für ein Innenleben eine Figur hat, die unter großem Druck steht, und die mit mehreren sehr großen Baupleiten durchkommt, ohne sich jemals wirklich etwas zuschulden kommen zu lassen. Abgesehen davon ist die Architektin im Buch aber frei erfunden.
Die Architektin behauptet sich in einem zur damaligen Zeit von Männern geprägten Milieu. Würden Sie sie als starke Frau bezeichnen?
Mir scheint, dass die Männer, die der Architektin im Roman begegnen, gar kein Wort für eine Frau haben, die ihre Welt wie selbstverständlich mitgestaltet, und die mit einflussreichen Männern ihre Spiele spielt. Genau so viel Freude haben mir deshalb im Roman die Männerfiguren gemacht, die an der Architektin abprallen, und die immer erst hinterher merken, dass sie die ganze Zeit die Oberhand hatte.
Wie sind Sie bei der Recherche des historischen Falls vorgegangen und was hat Sie dabei am meisten überrascht?
Ich habe in Archiven Hunderte von Zeitungsartikeln aus der Wirkungszeit von Sigrid Kressmann-Zschach gelesen, und dabei hat mich vor allem der Sound fasziniert: Die Journalisten (es sind alles Männer), die damals über die Millionen-Pleite des Kreisel-Projektes und die Verfilzung von Politik und Bauwirtschaft berichtet haben, schreiben über sie mit einer Mischung aus Herablassung und Staunen. Man merkt so eine Ratlosigkeit, die sich in so ganz seltsamen Formulierungen niederschlägt: „die schöne Siggi“ habe sich „die öffentliche Hand um die schmale Taille gelegt“, so in dem Stil. Überrascht hat mich, wie offen damals in der Presse buchstäblich über die Bettgeschichten von Politikern berichtet worden ist: Es geht ganz viel darum, wer wann in welchem Hotel mit wem in einem Zimmer, einem Bett oder zwei nebeneinanderstehenden Betten übernachtet hat.
Da Sie von Zeitungsarchiven sprechen: »Die Architektin« liest sich wie eine Liebeserklärung an die gute alte Tageszeitung. Lesen Sie die noch auf Papier?
Ja, solange, wie es geht. Wie Otto bin ich mit einem regelrechten Tageszeitungs-Fimmel aufgewachsen, ich habe Tageszeitungs-Namenszüge aus aller Welt gesammelt, mein schönstes Geburtstagsgeschenk war zum elften Geburtstag eine alte Visitenkarten-Druckmaschine mit Bleilettern, auf der ich dann versucht habe, eine Zeitung zu drucken. Mein erster Artikel ist 1988 im »Volksblatt« erschienen, als ich neunzehn war, also in der Berliner Zeitung, bei der Otto im Winter 1972/73 sein Praktikum macht. Die habe ich zu Schulzeiten auch ausgetragen, und ich werde nie das Gefühl vergessen, um fünf Uhr morgens an der Abwurfstelle der Zeitungspakete meinen Text zu suchen und zu finden. Die Tageszeitung wird für mich immer das Fenster zur Welt bleiben.
Ihre Romane bilden eine Chronik Berlins: Ihr Roman »Treue Seelen« (btb 2021) spielt in den 1980er Jahren in Berlin, »Die Architektin« ist in den 1970er Jahre angesiedelt. Was verbindet Sie mit diesen Jahrzehnten und dieser Stadt?
Zum einen spüre ich, glaube ich, der Atmosphäre, den Farben, den Eindrücken meiner Kindheit nach. Es macht mir Freude, mit Leben zu füllen, was ich damals bestenfalls aus dem Augenwinkel mitbekommen habe. Zum anderen beschäftigt mich, wie weit die Nachkriegszeit in die Geschichte der Bundesrepublik und West-Berlins hineinreicht: alle, die in den Siebzigern und Achtzigern erwachsen sind, sind noch in die Nazi-Zeit oder ihre unmittelbaren Nachwirkungen verstrickt. Die Vergangenheit mit ihren Einschusslöchern, Ruinengrundstücken und Stadtnarben war in Berlin einfach bis mindestens zum Mauerfall noch präsenter als anderswo in der Bundesrepublik.
Bauskandale, Veruntreuung – welche Auswirkungen hat das Tun der Architektin auf das heutige Berlin?
Das Kreisel-Hochhaus wird immer noch von Pleiten und Skandalen geplagt, bis heute, und es ragt immer noch unvermittelt und sinnlos in die Skyline von Südberlin. Ich denke aber, dass abgesehen von dieser konkreten Spur die Geschichte der Architektin eher ein Symptom für eine bestimmte Zeit war. Jahrzehntelang war West-Berlin durch Förderprogramme, Berlin-Zulagen und Steuererleichterungen eine Art Selbstbedienungsladen für die Bauwirtschaft, eng verfilzt mit den davon profitierenden Entscheidungsträgern in der Politik. Diese Mentalität hat das Stadtbild buchstäblich gezeichnet und wirkt, denke ich, noch heute bei einer gewissen Scheißegal-Haltung nach, die der Stadt ja immer mal wieder nachgesagt wird.
Ihr Jungjournalist gründet in dem Roman eine skurrile Wohngemeinschaft, haben Sie selbst WG-Erfahrung?
Ja, ich habe als Student in New Orleans mit einem U.S. Marine, einem Jurastudenten und seiner Schwester, einer Couch von der Heilsarmee sowie einer halben Million Kakerlaken in einer sehr schönen WG gewohnt, und im Alter meiner Hauptfigur in Berlin-Wilmersdorf, mit meinem ältesten Freund Patrick und seiner heutigen Frau. Den beiden habe ich das Buch gewidmet. Ich vermisse diese nächtlichen Begegnungen in der Küche, die auch in »Die Architektin« eine wichtige Rolle spielen.
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Inge Kunzelmann