Aktuelles | 26.09.2023 | Kailash

Fragen an Oskar Holzberg zu seinem Buch „Liebe braucht Liebe“

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"Paarbeziehungen brauchen unsere Mühe, unseren Einsatz und unsere Bereitschaft, unsere psychische Komfortzone zu verlassen und uns immer wieder neu einzulassen und uns dabei in Frage zu stellen." 

Oskar Holzberg

Die Scheidungsrate in Deutschland nimmt seit 2012 kontinuierlich ab, zugleich wird ein Viertel aller Ehen geschieden, obwohl sich die Paare ganz zufrieden fühlten. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?

Die Scheidungsrate sagt heute nicht mehr viel aus. Denn viele feste Liebesbindungen werden nicht mehr mit einer Heirat verbunden. Die meisten Trennungen finden sicherlich in den jüngeren Jahren der Menschen, in der Phase der seriellen Monogamie statt. Dort werden Erfahrungen gemacht, aber wir suchen dabei auch schon immer nach dem passenderen, dem besseren Partner. Und geraten dabei unter den Optimierungsgedanken. Wir suchen stets nach dem Besseren, uns Genehmeren, uns vielleicht noch mehr Befriedigenden. Das ist Konsumkultur. Wir kaufen uns eine neue Hose, nicht weil die alte völlig verschlissen ist, sondern weil wir davon ausgehen, dass wir uns in der neuen besser fühlen werden und besser aussehen werden. Und so verhalten wir uns auch auf dem Partnermarkt.

 

Sie sprechen in Ihrem Buch von der großen und der kleinen Liebe. Was meinen Sie damit?

Nun, die große Liebe ist ja jedem bekannt. Sie ist das Ideal, das wir alle suchen und das wir auch finden. Oder in den meisten Fällen wenigstens für einige Zeit erleben. Dummerweise wird das intensive Liebesgefühl durch die Idee der großen Liebe mit einer Reihe sehr romantischer und wenig lebenspraktischer Vorstellungen verknüpft. Es erweckt hohe Erwartungen, die sich realistisch nicht erfüllen. Und stellt Anforderungen an die Partner, die sie unmöglich erfüllen können. Die große Liebe ist eine idealistische, unreflektierte Vorstellung. Vergleichbar mit unserer Ideologie des unendlichen Wachstums. Beides führt uns in die Irre und ist letztlich destruktiv, zerstörerisch. Die große Liebe ist nur eine Idee, aber sagt uns nicht, wie wir sie leben können. Die kleine Liebe betrachte ich als Gegenmodell dazu. Eine realistische Vorstellung von Liebe. In der auch die dunklen Seiten und das ständige Scheitern ihren Platz finden. Ein Liebeskonzept, das uns nicht heillos überfordert, sondern uns Möglichkeiten eröffnet. Und so auch in der Liebe zu mehr Nachhaltigkeit führen kann. Die kleine Liebe ist emanzipativ. Wir können handeln und befreien uns von dem Diktat der großen Liebe. Die große Liebe ist wundervoll, aber macht uns auch unglaublich unglücklich, weil sie ein historisch bedingter, völlig unrealistischer Anspruch ist.

 

Ein weiterer Aspekt in Ihrem Buch ist die Sehnsucht nach einer dauerhaften Bindung. Woher kommt diese Sehnsucht?

Wir sind Bindungswesen. Wir überleben nicht allein. Wir suchen unseren sicheren Platz in der Welt. Was nicht bedeutet, dass wir nicht auch Abenteuer suchen und allein auf Sicherheit bedachte Schnarchnasen sind. Aber ob verinnerlicht und symbolisch oder ganz real, wir leben immer in Beziehungen, in Beziehungen zu uns wichtigen Anderen. Das ist unser Platz in der Welt. Mit Glück finden wir ihn zunächst mit unseren Eltern oder Betreuungspersonen. Und später mit unseren Wahrverwandten, unseren Freunden und Bekannten und eben besonders mit unserem Liebespartner. Ob wir zunehmend andere, polyamouröse oder mehr gemeinschaftliche Modelle für unser Grundbedürfnis nach Bindung finden können, ist für mich offen. Gegenüber anderen Kulturen ist bei uns der Einfluss der Familie, damit aber auch der sichere Platz in der Familie geschwächt. Wir unterstehen nicht mehr dem Familienoberhaupt und folgen nur noch wenigen familiären Regeln. Eine Freiheit, die uns aber wieder nach Bindung suchen lässt. Die Möglichkeit dazu finden wir in unserer Liebesbeziehung. Das ist die Sehnsucht nach einer dauerhaften Bindung. Außerdem ist unsere Psyche konservativ. Veränderungen, und gerade speziell so umwälzende wie eine neue Lebensgefährtin, kosten viel Kraft. Selbst der Schlager weiß, dass eine neue Liebe wie ein neues Leben ist.

 

Wir leben in einer Gesellschaft, in der Menschen ihre Fähigkeiten einsetzen, um zu bestehen, sowohl im Beruf als auch privat. Was bedeutet das für eine Paarbeziehung?

Sich mit seinen Möglichkeiten einzusetzen, ist, was eine Liebesbeziehung braucht. Aber wir müssen für eine längerfristige Bindung auch neue Fähigkeiten entwickeln. Ich versuche die Gebiete darzustellen, in denen wir uns dann bewegen. Denn die Frage ist ja, wofür wir unsere Möglichkeiten einsetzen, worum wir uns bemühen, wofür wir uns engagieren in der Paarbeziehung. Und da sind wir wieder bei der großen Liebe und der kleinen Liebe. Denn wenn wir unsere Fähigkeiten dafür einsetzen unsere Liebe lebenswert zu erhalten, dann leben wir die kleine Liebe. Während die große von uns verlangt, jederzeit im großen Gefühl zu sein, und wir gar nicht wissen, wie wir das noch hinbekommen können. Das beginnt ja heute schon bei den bombastischen Hochzeiten, mit denen wir versuchen die große Liebe zu beschwören, indem wir sie inszenieren. Die große Liebe hat den Nachteil, dass sie nicht schwächeln darf. Dass sie entweder oder ist. Dass wir sie aufgeben, wenn die intensiven Gefühle nachlassen. Vielen Paaren ist das auch längst klar, aber es fehlt ein positives Verständnis für dieses Erleben. Das versuche ich mit „kleiner Liebe“ zu beschreiben. Small is beautiful. Paarbeziehungen brauchen unsere Mühe, unseren Einsatz und unsere Bereitschaft, unsere psychische Komfortzone zu verlassen und uns immer wieder neu einzulassen und uns dabei in Frage zu stellen.

 

Viele Ehen zerbrechen in dem Moment, in dem Erotik und Sex nachlassen. Wie begegnet man als Paar dieser Situation?

Wenn man ihr begegnet, dann ist schon viel gewonnen. Dann nehmen wir es nicht als Schicksal hin. Wir haben so ein schicksalhaftes Verhältnis zur Leidenschaft. Sie muss uns ergreifen. Sonst ist tote Hose. Aber Sex machen wir auch. To make love. Das müssen Paare lernen. Was ein durchaus tiefgehender Prozess ist, in dem wir unserer Kränkbarkeit und unseren Ängsten begegnen. Wir müssen verstehen, welche Rolle Sex in unserem Leben spielt, welche Funktion er für uns hat. Wir müssen betrauern, dass die überwältigende Ekstase schwerer zu erreichen ist. Und lernen bewusster zu fühlen und zu handeln.

 

Das Internet ist die Simulation eines perfekten Lebens, ein Narrativ, dass viele Paare bedienen. Woher kommt der Wunsch nach Perfektion?

Perfektion ist ein Abwehrmechanismus. Wir wollen es gar nicht super gut machen. Wir wollen unangreifbar werden, weil wir alles richtig machen. Und sicher liegt ja auch eine gewisse Schönheit in allem, was sich unserer Idee des Perfekten nähert. Doch durch die unendliche Vergleichbarkeit, den Zugang zu unendlichen Variationen, die die virtuelle Welt bietet, sind wir unbewusst und auch bewusst mit unseren eigenen Unzulänglichkeiten auf bislang ungeahnte Weise konfrontiert. Und der darin liegenden Kränkung und Entwertung begegnen wir durch dem Streben nach Perfektion und Optimierung. Wodurch alles eine Funktion bekommt. Wir gehen nicht mehr spazieren, wir machen 7000 von jenen 10 000 Schritten, die angeblich nötig sind, um fit zu bleiben. Ja, wir haben nicht mal mehr Sex, weil es einfach lustvoll ist, sondern weil es gut für unser seelisches Gleichgewicht, entspannend und blutdrucksenkend ist. Wir sind ständig damit beschäftigt, alles richtig zu machen.

 

Laut einer Forschung, sind zwei Drittel aller Konflikte in Paarbeziehungen nicht lösbar. Was ist Ihr Rat als erfahrener Therapeut?

Das anzuerkennen. Wir können Konflikte nicht aus der Welt schaffen. Wie wir global gerade sehr schmerzlich sehen. Wir können auch unsere Paarkonflikte nicht aus der Welt schaffen, unsere Unterschiedlichkeit, unsere Unvollkommenheit. Wenn wir Lösungen finden, dann sind es oft Kompromisse, Notlösungen, Dauerbaustellen. Das Leben ist nicht perfekt. Die Liebe schon gar nicht. Das ist verdammt schwer zu leben in einer Welt, in der die Produkte immer designter und die technologischen Lösungen immer perfekter werden. Wie nervig ist der alltägliche Kampf um Ordnung und Unordnung verglichen mit der Möglichkeit mit ein paar Klicks jede erdenkliche Serie in bester Qualität zu streamen. Wie mühsam ist es aus dem Liebsten herauszuholen, was er jetzt gerade über unsere Beziehung denkt, verglichen mit dem kleinen Ding an unserem Handgelenk, dass uns sofort sagt, wie es unserem Blutsauerstoff geht, dass wir heute noch vierhundert Kalorien verbrennen müssen und Mira um 16.48 Uhr eine Botschaft an uns geschickt hat. Technologie verspricht uns mittlerweile bessere Lösungen für Dinge, die wir gar nicht gelöst haben wollen. In der Liebesbeziehung anzuerkennen, dass sie zu komplex für einfache Lösungen ist, das fällt uns immer schwerer zu akzeptieren. In Beziehungen scheitern wir ständig. Und gute Paare sind Paare, die ihre Kommunikation immer wieder herstellen, sie reparieren. Gescheiterte Interaktionen zu überwinden und wieder herzustellen, ist ein unglaublich wichtiger Prozess, den wir noch immer unterschätzen.

 

© Kailash Verlag, Abdruck nur nach vorheriger Absprache

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