Aktuelles | 27.06.2023 | Kailash

Fragen an Meike Statkus zu ihrem Buch “Migräne-frei: endlich Frieden im Kopf”

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Cover

Was hat dich auf deiner eigenen Migräne-Reise am meisten überrascht?

Wie einfach die Lösung letztlich war. Als das Puzzle dann am Ende vor mir lag und ich das letzte Teilchen einsetzte, konnte ich gar nicht glauben, dass ich da noch nicht früher drauf gekommen war. Und eines dieser letzten und entscheidenden Puzzelteile war für mich, zu verstehen, dass bestimmte Gefühle als Trigger fungieren können - dann wurde das Bild plötzlich klarer. 

Was hättest du über Migräne gerne schon früher gewusst?

Dass ich viel selbst tun kann, um meine Attackenanzahl zu verändern. Als Migräniker bekommt man sehr oft zu hören „Da kann man halt nix machen.“ Das stimmt halt nicht. Man kann Migräne nicht heilen, aber machen kann man eine ganze Menge, gerade im nicht-medikamentösen Bereich. Ich muss mich nicht damit abfinden, sondern kann trotzdem migränefreier leben. 

Was möchtest Du in der öffentlichen Wahrnehmung von Migräne verändern?

Dieses Bild, dass es einfach nur Kopfschmerzen sind, eine „Hausfrauenerkrankung” oder gar eine Ausrede, wenn die Frau keine Lust auf Sex hat. Viele denken immer noch: „Reiß dich mal zusammen, dann hast du das halt mal einen Tag.” Es gibt wenig Verständnis dafür, dass es eine Erkrankung ist, die immer da ist und auch da bleibt. Was aber nicht immer da ist, sind die Symptome, also eine Attacke. Das Verständnis, was diese Krankheit für das eigene Leben bedeutet und was nicht, das muss man sich als Migränikerin oder Migräniker oft hart erarbeiten. Da möchte ich mit meinem Buch Ansatzpunkte liefern und Mut machen.

Ersetzt dein Buch eine ärztliche Behandlung?

Nein, das soll es auch nicht. Ich kann jedem nur empfehlen, erstmal zum Neurologen zu gehen und alle medizinischen Optionen einmal durchzusprechen, bevor man an sich selbst rumgedoktert. Mein Buch ist eine Ergänzung und stellt die nicht-medikamentösen Ansätze vor. Es soll bestärken, selbst aktiv zu werden.  

Was wünscht Du dir als Migränikerin von Menschen ohne Migräne? 

Mehr Verständnis und mehr Ehrlichkeit: Mir ist es viel lieber, wenn jemand sagt „Ich kenn mich da leider gar nicht aus, deswegen kann ich nichts dazu sagen” oder einfach Fragen stellt wie “Was brauchst du denn gerade? Was tut dir jetzt gut? Kann ich irgendwas verändern” - stattdessen kriegt man als Migräniker häufig Tipps. Das ist total lieb gemeint, aber ungebetene Ratschläge sind grundsätzlich schwierig. Es hilft mir in dem Moment auch nicht, zu hören, dass die Nachbarin der Schwester das ja jeden Tag und viel stärker hat … Ich hab mal zu hören bekommen, als ich eine Veranstaltung absagen musste, ich könne ja wohl mit „Kopfschmerzen“ dorthin kommen, ich hätte ja jetzt keinen Krebs. Das ist das Problem daran, dass die Krankheit unsichtbar und nicht lebensbedrohlich ist - man muss sich ständig dafür rechtfertigen. Wenn man jedes mal rot leuchten würde, wenn man eine Attacke hat, dann würden die Menschen es einfacher verstehen. 

Also ist das Umfeld auch mit Schuld?

Nein, aber da einem vom Umfeld häufig das Gefühl vermittelt wird, man stelle sich bloß an, führt es dazu, dass Betroffene oft nicht oder erst, wenn es wirklich gar nicht mehr geht, sagen, dass sie die Krankheit haben. Das verhindert, dass man eine aufkeimende Attacke frühzeitig eindämmen kann, weil man sich dadurch übernimmt. Scham spielt da auch eine große Rolle, viele haben das Gefühl: Ich bin keine gute Mutter, wenn ich mich jetzt hinlege, bin keine gute Arbeitnehmerin, wenn ich früher gehe. Aber man ist krank! Und wer krank ist, darf und muss Pausen machen.

… und genau dieses schlechte Gewissen hat dann auch wieder Einfluss auf die Migräne?

Und wie! Da sind wir schon mittendrin in dem Katalog, der dann aufspringt: Die damit verbundenen Emotionen setzen unter Stress und der Stress wiederum begünstigt die Attacke. Deswegen ist Entspannung ja auch eine der Säulen meines T.E.K.E.®-Konzepts. 

Was vielleicht manche überraschen wird, ist, dass sich ein Teil des Kapitels zur Entspannung dem Thema Kommunikation widmet - wie hängt das zusammen?

Mir war es wichtig, das Thema mit reinzunehmen, denn ich sehe das bei fast allen meinen Kunden: Wir leben ja nicht allein mit unserer Migräne, sondern es gibt ein Umfeld, das mitbetroffen ist. Ich habe das zwar alleine, aber ich bin Teil eines Systems, das auf mich und meine Erkrankung reagiert: Seien es Familie, Freunde oder Arbeitskollegen. Das kann Probleme mit sich bringen. Ein Familiensystem will oft helfen, viele Menschen können es schwer ertragen, wenn jemand, der ihnen nahesteht, Schmerzen hat. Wenn ein Migräniker, dann selbst gar nicht weiß, was er braucht, sind die Angehörigen oft regelrecht verzweifelt. Dadurch wird manchmal ein Gefühls Ping-Pong in Gang gesetzt: Meine Kinder wissen gar nicht, was los ist, sind vielleicht enttäuscht, weil Mama jetzt nicht das machen kann, was sie versprochen hatte. Dann bekommt die Mutter natürlich ein schlechtes Gewissen. Der Mann will helfen und gibt Ratschläge und wird vielleicht angeranzt und so beginnt alles ein anstrengendes Konstrukt zu werden, was erst Recht Stress auslöst und damit die Attacke verstärkt. Daher ist Kommunikation bei Krankheiten ein wichtiges Thema. Allein schon die Fragestellung „Geht es dir besser?” baut z.B. Druck auf - auch das kann ein Trigger sein. Ein offenes „Wie geht es dir?” hat eine ganz andere Wirkung. 

Wie könnte man diese ungute Situation, die du beschreibst, entschärfen?

Im ersten Schritt muss man für sich klar kriegen, was man braucht, um dann ganz konkret seine Wünsche auf Sachebene formulieren zu können. Das gilt für beide Seiten. Im Buch habe ich daher Tipps für alle: für die Migräniker selbst, aber auch für das Umfeld. 

Was hat es mit dem Energiehaushalt auf sich?

Als Migräniker muss ich mir also darüber im Klaren sein, dass ich meine Energie besser managen muss als jemand, der nicht davon betroffen. Man geht davon aus, dass Migräne eine Filterfunktionsstörung bzw Reizverarbeitungsstörung im Hirn ist. Das heißt, man nimmt als Betroffener mehr Reize auf - was durchaus auch Vorteile hat.  Doch all die Reize müssen auch verarbeitet werden und das kostet viel Energie. Wenn das Gehirn nicht mehr genug davon zur Verfügung hat, rollt die Migränelawine los. Letztlich gipfelt das in einer Art Entzündung der Hirnhäute, die wir dann als schmerzhafte Migränesymptome wahrnehmen. Was kann ich als Betroffener also tun? Am besten fange ich ganz vorne an, in dem ich nämlich Reize spare. Dafür muss ich aber verstehen, was alles Reize sind. Das ist von Migräniker zu Migräniker im Übrigen unterschiedlich! Wir reden da nicht nur von einem hoher Workload, Deadlines oder unangenehmen Dingen. Auch ein schönes Treffen in einem lauten Restaurant oder ein tolles Konzert knabbern an meinen Energiehaushalt, da viele Reize auf mein System einströmen. Da lohnt es sich wirklich hinzugucken, wie das Ganze bei einem selbst funktioniert und wie sich gegensteuern lässt z.B. durch viele Pausen, Nein sagen im richtigen Moment und vielen weiteren Möglichkeiten. 

Und starke Gefühle verbrauchen auch Energie? 

Unglaublich viel Energie sogar. Viele fühlen das ja auch, dass man nach einem Streit zum Beispiel regelrecht erschöpft ist. Emotionen sind wie ein Ball, den man permanent unter Wasser drückt und der da im Untergrund rumwabert und versucht, an die Oberfläche zu kommen. Das ist anstrengend und zieht Energie. Sich Gefühlen zuzuwenden, sie durchzufühlen und zu sortieren, schafft daher Entlastung. Sehr oft ist das sogar weit weniger dramatisch als man zuvor annimmt. Ich arbeite da im Coaching sehr gern mit EMDR, einer Methode die aus der Traumatherapie kommt, aber natürlich auch psychisch gesunden Menschen wunderbar hilft. 

Und zum Abschluss: Was rätst du Migräniker:innen, wenn ein großes Ereignis wie eine Feier oder ein Urlaub bevorsteht und sie auf keinen Fall Migräne bekommen wollen…?

Das würde ich vom jeweiligen Ereignis abhängig machen. Beim Thema Urlaub kann das z.B. sein, dass ich mir zwei Tage vorher schon frei nehme, um mich ganz in Ruhe den Vorbereitungen und der Anreise widmen zu können. Und nach dem Urlaub ebenfalls Zeit extra einplane und nicht am nächsten Morgen um 8h wieder in meinen stressigen Job starte. Unser Hirn benötigt Zeit, die ganzen Reize erst einmal zu verarbeiten - auch hinterher. Wir wollen meist alles in den Urlaub reinkriegen, was sonst nicht im Alltag Platz findet. Der Ansatz führt tatsächlich bei sehr vielen Betroffenen zu enormem Stress. Da fliegt man z.B. lieber um 4:30 Uhr morgens los, um ja viel vom Tag zu haben oder Geld zu sparen. Hier darf man sich fragen: Gewinne ich da wirklich was, oder geht der Schuss nach hinten los? Dementsprechend macht es auch Sinn, sich das Urlaubsziel entsprechend der eigenen Bedürfnisse auszusuchen. Wenn ich sehr lärmsensitiv bin, würde ich nicht gerade in Touristenhochburgen wie z.B. den Ballermann reisen. Ist ein Hotel das Richtige für mich oder lieber ein Ferienhaus, wo ich allerdings selbst kochen muss? Auch das Aktivitäts-Pensum im Urlaub sollte ich mir vorab anschauen- will ich wirklich eine Städtereise machen und jeden Tag woanders schlafen, jeden Tag ein anderes Programm haben? Ich kenne Migräniker, die lieben solche Urlaube und kriegen das wunderbar gewuppt, für andere wiederum sind das zu viele Reize. Ein Rucksack-Urlaub ist nicht für jeden etwas. So kann ich mir jedes Event im Hinblick auf meine Bedürfnisse vorab angucken. Wichtig ist aus meiner Sicht, dass ich das Thema ernst nehme und auch mit meinem Umfeld ehrlich darüber spreche, wenn ich mir Sorgen wegen einer Attacke mache. Das nimmt häufig schon stark Druck aus der Sache. Aber tun Sie nichts einfach bloß Ihrer Familie zuliebe und übergehen Ihre Bedürfnisse. Wenn alle glücklich sind, aber Sie nachher mit einer Migräneattacke bezahlen, hat niemand etwas gewonnen ...  
 

© Kailash Verlag, Abdruck nur nach vorheriger Absprache

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