Fragen an Coco Berlin zu ihrem Buch „Body Love“
"Selbstliebe lässt sich nicht erzwingen. Sie ist, wie alle Liebe, ein körperlich erlebter Zustand, der sich von ganz allein einstellt, wenn wir die passenden Verhältnisse schaffen. Selbstliebe ist keine Handlung, sie ist ein Wunder, das wir zulassen oder eben auch verhindern können."
Coco Berlin
Was bedeutet für dich Selbstliebe?
Selbstliebe ist ein spannendes und sehr missverstandenes Phänomen. Sie lässt sich nicht intellektuell meistern. Wenn es um Selbstliebe geht, geben uns die gängigen Übungen wie Affirmationen oder Positives Denken nur ein kurzzeitiges High, auf Dauer entfernen sie uns unbemerkt weiter von uns selbst. Denn der Blickwinkel ist das Problem. Die Art, wie wir uns und unseren Körper betrachten und wie wir uns an das »To-do« der Selbstliebe machen, ist von Nicht-Akzeptanz geprägt. Solange wir aus einer Unzufriedenheit heraus agieren und uns selbst als »Baustelle« betrachten, werden wir nicht aus dem ewigen Kreislauf des »noch nicht gut genug« aussteigen können.
Selbstliebe lässt sich nicht erzwingen. Sie ist, wie alle Liebe, ein körperlich erlebter Zustand, der sich von ganz allein einstellt, wenn wir die passenden Verhältnisse schaffen. Selbstliebe ist keine Handlung, sie ist ein Wunder, das wir zulassen oder eben auch verhindern können. Selbstliebe entsteht, wenn wir uns wirklich spüren und uns authentisch und offen begegnen. Wenn wir uns auf uns selbst einlassen, uns wirklich kennenlernen und eine innige Beziehung zu uns aufbauen. Dann ist sie ein unumstößliches, inneres Wissen, das in uns aufkommt. Und es gibt keinen Weg zurück.
Wann hast du das erste Mal gemerkt, dass der Körper ein wichtiger Schlüssel ist?
Das begann in meiner Kindheit. Ich stand von klein auf »neben mir«, immer dissoziiert, in Tagträume und später Bücher vergraben. Ich hatte Probleme, im Leben anzukommen und Anschluss zu finden. Meine Kindheit war von Gewalt geprägt und ich hatte früh gelernt, mich aus meinem Körper zu beamen, um dem Schmerz zu entgehen. Ich lebte wie hinter einer Wolkendecke, alles kam mir unreal vor und ich verstand nicht, was die anderen Menschen bewegt. So war ich zwar in gewisser Weise unangreifbar, schwebte über allem, aber innerlich einsam und verzweifelt. Ich hatte Angst, verrückt und lebensunfähig zu sein. Heimlich sehnte ich mich nach Liebe und nach Zugehörigkeit.
In diesem Leid gab es aber auch immer wieder Augenblicke, die mir Hoffnung auf eine bessere Welt irgendwo da draußen gaben. Das waren Momente, in denen ich Tänzer sah oder Musik hörte. Sie lösten in mir Emotionen aus, die ich ganz tief in meinem Körper spürte und als meine ureigenen erkannte. Heute weiß ich, dass sie mir halfen, meine Seele zu spüren. Sie entfesselten in mir eine Sehnsucht, eine Vorahnung, ja geradezu eine Vorfreude aufs Leben. Wie ein Silberstreif am Horizont halfen sie mir, durchzuhalten.
Diesem Silberstreif folgend experimentierte und tanzte ich zunächst in meiner eigenen Welt, gelangte dann zu Ballett und Yoga, dann zum Bauchtanz, um später als professionelle Tänzerin zu Körperarbeit und schließlich zur Körper-Psychotherapie zu finden. Schritt für Schritt erkämpfte ich mir den Zugang zu meinem Körper und zugleich zu einem selbstbestimmten Leben voller Verbundenheit, Leidenschaft und Abenteuer. Auf meinem Weg habe ich intuitiv sehr effektive Übungen für mich entwickelt, die ich so in der Art später auch in der körperorientierten Traumatherapie wiederfand.
Kann jeder lernen, sich selbst zu lieben? Also normschöner Mensch sagt sich das ja leichter, als jemand, der nicht dem gesellschaftlichen Ideal entspricht?
Ja, es kann jeder lernen. Da gibt es ein Missverständnis: Normschöne Menschen haben es oft leichter in unserer Gesellschaft, Erfolg zu haben, doch diese Vorteile haben nichts mit unserer Beziehung zu uns selbst zu tun. Wer sich über sein Aussehen definiert, dessen Selbstliebe ist nicht bedingungslos, sie ist an das Aussehen gekoppelt. Bedingungslose, echte Selbstliebe entsteht auf dem inneren Weg, am einfachsten über die direkt erlebte Verbindung zu unserem Körper. Wenn wir uns von innen heraus kennen und lieben, ist es kinderleicht auch unser Äußeres zu lieben. Der schöne Nebeneffekt ist: Wer sich in sich selbst wohl fühlt, strahlt geradezu von innen und das hat eine immense Anziehung auf andere, egal ob er den gängigen Schönheitsidealen entspricht. Das ist „das Gewisse etwas“, das man nicht in Worte fassen kann.
Wieso ist es so viel effizienter, über den Körper anzusetzen, als Glaubenssätze über den Verstand zu verändern?
Glaubenssätze sind nicht mentalen Ursprungs, sie zeigen sich im Geist, aber sie haben ihre Basis in tiefen Gefühlen. Die hartnäckigsten Glaubenssätze über uns selbst wie „Ich bin nicht gut genug“ entstehen recht früh in unserer Entwicklung und werden direkt Bestandteil unseres Selbstbildes. Das beginnt ganz früh, noch bevor wir wie Erwachsene denken können. Da liegt es auf der Hand, dass wir nicht am Symptom, dem Glaubenssatz, ansetzen, sondern bei der ursprünglichen emotionalen Wunde, die diese Glaubenssätze hervorruft. Das geht am besten über den Körper.
Wir haben uns wie alle lebendigen Organismen durch Evolution entwickelt. Trial-and-Error unserer langen Entwicklung hat uns zu diesem Augenblick geführt, in dem wir komplexe Zivilisationen gestalten und auf der Erde die dominante Spezies sind. Wäre unser Organismus nicht in der Lage, individuell und kollektiv mit schwierigen Emotionen und traumatischen Erlebnissen umzugehen und sie zu verarbeiten, wären wir Menschen bereits ausgestorben.
Diese Art der Heilung hat sich entwickelt, noch bevor wir auf unserem heutigen Level denken und sprechen konnten. Sie ist evolutionär älter und stärker als alle mentalen Konzepte.
Emotionale Heilung folgt demselben Prinzip wie körperliche Heilung und sie hat auch eine biologische Komponente. Genauso wie unser Körper Wunden selbst heilen kann, kann unser komplexes Körper-Geist-Seele-System unsere emotionalen Verletzungen und Traumata heilen. Unser System ist generell daran interessiert zu heilen, wieder Integrität herzustellen, wieder ganz und dabei stärker zu werden. So wachsen wir im besten Fall an unseren Herausforderungen, emotionalen Schwierigkeiten und bei der Bewältigung von Trauma. Wir werden resilienter und weiser.
Was verändert sich, wenn ich anfange, deine Übungen zu machen?
Du wirst dich von innen heraus in dich selbst verlieben. Body Love ist eine sinnliche und berührende Reise zu dir selbst. Es wird dir helfen, in deinem Körper anzukommen und deine innere Kraft für dich zu entdecken. Du wirst dem ganzen Potenzial, das du bist, begegnen und dich aus deinem Innersten heraus frei entfalten. Unser Körper ist kein Objekt, sondern ein lebendiger, weiser Organismus, der direkt und jederzeit mit unserer Seele und allem, was wir je erlebt, gefühlt oder gedacht haben, verbunden ist. Zusammen mit unserem brillanten Geist und unserer wilden Seele macht er uns zu dem, was wir sind – und was wir werden können.
Ich weiß, das klingt so cheesy, wie Kalendersprüche. Wenn wir versuchen, diese tief erlebten, berührenden Wahrheiten in Worte zu fassen, wirkt es oft so banal und klischeehaft. In unseren Ausbildungen erleben die Frauen immer wieder diese Momente der Befreiung, in denen es „klick „macht. In denen sie sagen: ich habe das schon 100 mal gehört, aber jetzt spüre ich es und weiß was gemeint war.
Hast du zum Abschluss noch eine konkrete Übung für zwischendurch für uns, die jeder, der jetzt neugierig geworden ist, in seinen Alltag integrieren kann?
Etwas, was man gut zwischendurch machen kann, ist seine Haut von innen zu spüren. Unsere Haut umgibt uns als lebendige, atmende Hülle, doch meistens sind wir uns ihrer gar nicht bewusst. Deine Haut als Hülle wahrzunehmen, macht dich sofort präsent:
- Schließ deine Augen und spüre, wie und wo du gerade in deinem Körper bist.
- Wandere nun mit deiner Aufmerksamkeit zu deinen Füßen. Kannst du wahrnehmen, wie ihre Haut die Erde berührt? Wenn du sitzt, kannst du die Haut deines Pos spüren und wie sie die Sitzfläche berührt? Kannst du die Haut von innen fühlen?
- Spüre die Haut deines Kopfes von innen und wie dort die Haare herauswachsen. Wandere liebevoll durch dein ganzes Gesicht und nimm auch die Haut der Nase und der Ohren von innen wahr.
Kannst du die Haut deiner Arme und Hände von innen bewohnen, deine Fingernägel?
- Fühle die Haut an deinem Bauch und deinen Brüsten von innen heraus.
- Wandere so durch deinem Körper und versuche die Haut überall von innen zu erkunden.
- Kannst du sie auch als Ganzes wahrnehmen, wie sie dich überall umhüllt?
- Kannst du von innen her fühlen, wie Luft deine Haut berührt?
- Spüre dich selbst, wie du in dieser wunderbaren Hülle lebst.
- Öffne deine Augen. Wie ist es so, in deinem Körper zu sein?
- Beginn dich zu bewegen und erkunde, wie sich Bewegung anfühlt. Wie nimmst du die Bewegung wahr? Spürst du, wie sich die Haut an einigen Stellen dehnt oder über den Muskeln spannt? Spürst du Luftdruck und Luftzug? Fühlst du die sanfte Bewegung deines Torsos beim Atmen mit deiner Haut. Spürst du deine Kleidung?
Nimm diese Übung mit in den Alltag. Stell dir einen Timer, der sich jede Stunde einmal meldet, und spüre bei jedem Klingeln für einige Minuten deine Haut. Oder setz dir einen Anker: Immer, wenn du das Haus verlässt, immer wenn das Telefon klingelt, immer am Kaffeeautomaten im Büro erlebst du deine Haut von innen.
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Mi Yong Neumann