Aktuelles | 06.09.2023 | Kailash

Fragen an Antonia Speerforck zu ihrem Buch „Wo ist mein Platz im Leben“

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"Der eigene Platz im Leben ist etwas sehr Bewegliches. Es funktioniert ja selten so, dass man den Platz findet, sich niederlässt und dann alles läuft. Angekommen bin ich sicher noch nicht."

Antonia Speerforck

Liebe Antonia, würdest du sagen, Du selbst hast du deinen Platz im Leben schon gefunden?

Oh ja, sehr, zumindest für den Moment. Aber der eigene Platz ist etwas sehr Bewegliches, denke ich. So sehr ich den Wunsch verstehe, funktioniert es ja selten so, dass man den Platz findet, sich niederlässt und dann alles läuft. Angekommen bin ich sicher noch nicht.


„Hör auf deinen Bauch“ oder „Folge deiner inneren Stimme“ – das sind Ratschläge, die jeder schonmal gehört hat, der vor einer Entscheidung stand. Gibt es denn überhaupt die eine Stimme?

Nee! Das weiß jeder, der schon mal einen inneren Konflikt hatte, zum Beispiel darüber, was er anziehen, essen oder mit seinem Leben anfangen soll. Da gibt es immer viele Stimmen in uns, die uns mit rationalen Argumenten oder wilden Gefühlen in die eine oder andere Richtung ziehen wollen: Zieh Dich mal ein bisschen aufregender an! Nein, geh lieber auf Nummer sicher! Oder: Folge Deiner Leidenschaft für Kunst! Das wird gleich gekontert von: Quatsch, davon kannst Du eh nicht leben! Das ist oft anstrengend, aber es gehört zum Leben dazu, dass es nur selten eine eindeutige Stimme in uns gibt. Manchmal hören wir aber auch eine ganz besonders laut in uns, die so tut, als wüsste sie alles eh am besten. Ob das die eine Stimme ist? Ich bezweifle es. Das ist aber auch vollkommen in Ordnung. Wir brauchen diesen bunten Chor in uns.


Warum profitiert jeder davon, sich mit seinen inneren Anteilen zu befassen?

Ich finde immer wieder, dass es eine spannende und spielerische Methode ist, um die eigene Vielfalt kennenzulernen und auch annehmen zu können. Wir alle haben ganz verschiedene Seiten, die in unterschiedlichen Situationen zum Vorschein kommen. Oft gibt es bestimmte Anteile, die wir gut kennen oder auch besonders mögen, nette Kumpels oder strebsame Bienchen zum Beispiel. Aber wir alle haben eben viel, viel mehr Seiten und sind so viel mehr, als wir glauben. Da genau hinzuschauen, mit einem neugierigen Blick auch auf die, die wir nicht so zeigenswert finden und am liebsten aussortieren würden – zweifelnde Häslein, feuerspeiende Drachen oder andere kleine Trolle in uns – hilft zu erkennen, dass auch sie nur für uns da sein wollen und oft sogar eine Menge drauf haben. Auf dem eigenen Weg ist es hilfreich, mal genau zu schauen, wer eigentlich zur inneren Reisegruppe gehört und auch mitgenommen werden sollte.

 

Was brauchen wir, um zu innerer Klarheit im Anbetracht all der Möglichkeiten, die das moderne Leben bietet, finden zu können?

Ja, die können einen wirklich umhauen! Und darin den eigenen Weg finden zu wollen, ist wie eine Stecknadel im Heuhaufen zu suchen. Es ist klar, dass man sich da schnell klein und auch überfordert fühlt. Vor allem, wenn man den Eindruck hat, dass alle anderen schon wissen, was sie wollen und können.

Auch wenn es erstmal nicht nach mehr Klarheit klingt, ist ein sinnvoller Ansatz in meinen Augen, die eigene Vielstimmigkeit zuzulassen: Was genau treibt mich an, was genau hält mich davon ab, etwas zu wagen? Und warum haben vielleicht auch diese Stimmen ihre Berechtigung?  Das kann helfen, unter all den Angeboten aus dem Außen das zu finden, das einem tatsächlich entspricht. Und nicht nur einem Bild, das wir gern von uns hätten oder das andere von uns haben.

Ach ja, und was viele sicher auch gut gebrauchen können, ist sich genau das zu erlauben: Dass es viel ist, dass es kompliziert und manchmal auch schwer ist, seinen Platz zu finden – statt sich dafür runterzumachen, dass man es immer noch nicht geschafft hat. Und kleine Schritte machen zu dürfen, immer wieder neu in Kontakt mit sich zu treten. Ich bin sicher, dass es ganz viele Wege geben darf, dass man Abzweigungen und Umwege nicht nur gehen darf, sondern auch sollte.

 

Lernst du selbst auch immer noch neue Anteile in dir kennen? Oder ist so ein inneres Team irgendwann mal komplett?

Ich habe in den letzten Monaten nochmal ganz viel Neues über mich erfahren! Zum Beispiel habe ich eine Erzählerin in mir entdeckt, die mich wirklich überrascht hat. Sie war ziemlich vergraben unter einem Berg von Selbstzweifeln. Dabei begleitet sich mich wahrscheinlich schon ganz lange. Und sie ist ein gutes Gegengewicht zu anderen Anteilen in mir, den gewissenhaften und Präzision liebenden, aber manchmal etwas engstirnigen zum Beispiel.

Ich glaube aber, das Ziel sollte gar nicht sein, irgendwann alles über sich verstanden zu haben – auch weil das gar nicht geht, zum Glück. So ein Team ist wahrscheinlich nie komplett, aber ausreichend komplett, das geht sicher.


Mit welchem Anteil hast du am längsten gebraucht, um dich anzufreunden?

Oh, knifflige Frage. Ich habe verschiedene Anteile, mit denen ich lange im Clinch lag. Einer ist ein kleines, pummeliges Wesen in mir, das sich in erster Linie „seltsam“ findet. Ein anderes ist Keifey-Wifey, eine ganz schöne Zicke, leider (frag meinen Mann!). Mittlerweile kann ich sie beide gut annehmen, weil ich weiß, was sie für mich tun und was sie brauchen, um sich nicht zurückziehen oder loszicken zu müssen. Und ich kann nun über sie schreiben, was für ein Geschenk!

 

© Kailash Verlag, Abdruck nur nach vorheriger Absprache

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