Die Stimme ist zutiefst persönlich – und dabei absolut öffentlich. Sobald Sie auch nur einen kleinen Seufzer von jemandem hören, wissen Sie – wenn auch unbewusst – schon sehr viel über diesen Menschen.
In ihrem Buch führt Stimmlehrerin Sophia Katschinski aus, wie unsere Stimme klangvoller, präsenter und strahlender wird und hilft Schritt für Schritt, die gesamte Palette des eigenen Ausdrucks zu entwickeln.
Liebe Frau Katschinski, welchen Stellenwert nimmt unsere Stimme in zwischenmenschlichen Beziehungen und der Kommunikation ein?
Grundsätzlich färbt die Stimme jedes gesprochene Wort - und damit ist sie natürlich auch ein sehr wichtiger Faktor in unseren zwischenmenschlichen Beziehungen! Wie groß der Einfluss konkret ist, kommt aber auf die jeweilige Situation an. Je mehr Emotionen im Spiel sind, umso mehr gewinnt die Stimme an Bedeutung.
Stellen Sie sich zum Beispiel vor, Sie geben am Telefon die Bestellung für den Lieferservice durch. Der Ton Ihrer Stimme wird hier normalerweise nicht entscheidend für die Qualität des Essens sein. Wenn Sie aber mit dem Kollegen im Feedbackgespräch zu einem weniger gut gelaufenen Projekt sitzen, dann bestimmt Ihr Ton zu einem großen Anteil, ob das Gespräch offen und respektvoll verläuft. Oder wenn Sie Ihrem Kind liebevoll, aber klar sagen möchten, dass es nicht noch ein drittes Eis oder das vierte Mal vorgelesen bekommt, schenkt Ihnen der richtige Ton die nötige Glaubwürdigkeit.
Persönlichkeit und Außenwirkung sind eng mit dem Klang der Stimme verbunden. Was wirkt alles auf den Stimmklang ein?
Wenn man sich die menschliche Stimme in ihrer Komplexität anschaut, ist es tatsächlich eher die Frage, was hat keinen Einfluss auf den Klang? Die Stimme ist, genau wie jedes tonerzeugende Instrument, abhängig von all den spezifischen Faktoren, die gemeinsam den Klang entstehen lassen. Bei einer Gitarre zum Beispiel bestimmen das verwendete Holz, die Größe und das Material der Saiten den grundlegenden Sound. Und je nach Virtuosität des Musikers können dem Instrument darüber hinaus noch viele andere Klangfarben entlockt werden. So ähnlich ist es bei der menschlichen Stimme, denn der organisch festgelegte „Eigenton“ ist durch viele Stellschrauben modulierbar.
Wenn beispielsweise eine muskuläre Verspannung die freie Resonanzentfaltung des Klangs bremst, oder wenn der Atem durch starkes Lampenfieber flacher und kürzer wird, dann wird der Stimmklang beim Sprechen und auch beim Singen hörbar matter oder enger. Andersherum können ein tiefer Atem, ein ausgewogener Muskeltonus im ganzen Körper oder eine entspannte Gesprächssituation den Ton sofort voller und strahlender werden lassen. Dabei finde ich es ganz wichtig, sich immer wieder daran zu erinnern, dass wir alle mit unserer Stimme ein geniales Werkzeug besitzen, mit dem wir auf unsere Umgebung und sogar auf uns selbst einwirken können. Besonders gut erforscht sind bisher die Effekte des Singens, das allgemein stimmungsaufhellend, gesundheitsfördernd und stresslösend wirkt. Aber auch beim Sprechen einfach nur genügend Atempausen einzulegen, kann den Duck aus einer Situation nehmen.
Um an der eigenen Klang Palette zu arbeiten und den eigenen Ausdruck bewusst zu gestalten, welche Übungen empfehlen Sie als erstes?
Ich würde immer mit dem beginnen, was auch heute noch Teil meiner täglichen Stimmpflege ist. Die essentielle Basis für eine klangvolle, präsente und strahlende Stimme ist eine aktive Atmung und eine ausgewogene Körperspannung, in der auch die Artikulation flexibel agieren kann. Tägliche, auch leichte, Bewegung und ein paar intensive Dehnungsübungen verbunden mit einer spürbaren Vertiefung der Atmung, sind da schon mal ein guter Start.
Für mehr emotionalen Ausdruck gibt es eine kleine Übung mit einem großen Effekt, die ich vielen Menschen empfehle. Es geht darum, in den kleinen alltäglichen Momenten bei Enttäuschung, Erschöpfung, Freude, Staunen oder auch Ärger das jeweilige Gefühl sofort im nächsten Ausatem auszudrücken. Und zwar nicht mit vielen Worten, sondern mit einem unwillkürlichen und nicht allzu kontrollierten Ton. Wenn Sie das nächste Mal die U-Bahn verpassen, schnauben Sie Ihren Ärger sofort mit einem kleinen „pfhh“ durch die Lippen aus. Oder wenn Ihnen beim Anblick eines wunderschönen Blumenstraußes die Worte fehlen, zeigen Sie Ihr Staunen mit einem zarten „ooohhh“. Der Ton muss gar nicht laut oder dramatisch sein, er soll nur Ihren momentanen Impuls ohne zu zögern direkt in Klang verwandeln. Durch die Erfahrung der vielen unterschiedlichen Farben, die Ihre Stimme so erzeugt, fühlt es sich mit der Zeit viel selbstverständlicher an, diese neuen Stimmfarben auch beim Sprechen zu nutzen.
In ihrem Buch wählen Sie als Methodik aus der Yogapraxis die „Lehre der fünf Elemente“ – Feuer, Erde, Wasser, Luft und Äther – und benennen Sie als Landkarte für den Zugang zu unserer Persönlichkeit. Welches Potenzial steckt in dieser Betrachtungsweise und wie unterstützt diese Methode das Entdecken und Formen der eigenen Stimme?
Die Elemente sind für die meisten Menschen intuitiv sehr schnell zugänglich. Unsere Welt und auch wir selbst bestehen aus den 5 Elementen. Wir wissen, was gemeint ist, wenn jemand als feurig oder geerdet, fließend, luftig oder ätherisch bezeichnet wird. Die meisten Menschen haben sofort eine Vorstellung für mindestens eine konkrete Qualität, wenn Sie an ein bestimmtes Element denken. Auch die Stimme kann sehr gut anhand dieser Matrix oder eben Landkarte der 5 Elemente betrachtet und weiterentwickelt werden.
So schenkt die Herangehensweise über die Elemente eine klare Orientierung in Bezug auf die Stärken, aber auch auf die weniger ausgeprägten Bereiche der eigenen Stimme. Und erst wenn wir deutlich erkennen, wo wir momentan stehen, können wir auch entscheiden, wohin der Weg weiter gehen soll. Brauche ich gerade mehr erdiges Standing oder mehr fließende Flexibilität für die Verhandlung? Spreche ich gerade zu autoritär-feurig oder würde ein luftig-liebevoller Ton meine Worte unmittelbarer transportieren?
Die Qualitäten der Elemente sind universell, sie sind auf allen Ebenen der Kommunikation zu finden. In ihrer individuellen Ausprägung bilden sie von der Gestik über die Wortwahl und das Sprechtempo bis hin in die feinen Nuancen der Stimme einen einzigartigen Ausdruck der Person.
Welches Erfolgserlebnis während Ihrer Arbeit als Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin ist Ihnen persönlich eindringlich in Erinnerung geblieben?
Jede Stunde ist besonders, und es gibt in so gut wie jeder Begegnung mit einem Klienten berührende und beeindruckende Momente. Erfolg bedeutet für mich, wenn jemand ganz eindeutig seine Stimme findet. Es entsteht eine echte Magie, wenn ein Mensch absolut frei und leicht spricht oder singt und die Stimme als ganz zu sich gehörig erlebt.
Ich habe zum Beispiel einmal mit einer jungen Frau gearbeitet, die sich mit ihrer ziemlich hohen Sprechstimme überhaupt nicht wohlgefühlt hat. Sie hat über unterschiedliche Techniken dann auch ihre tieferen Resonanzen entdeckt und konnte damit einen sehr offenen, vollen Klang entwickeln. Es war wunderschön zu erleben, wie durch das Finden und Erweitern der eigenen Sprechstimmlage ihre Persönlichkeit so viel facettenreicher zum Ausdruck kam.
Solche Aha-Momente sind natürlich besonders schön! Aber auch die von außen betrachtet scheinbar kleineren Veränderungen empfinde ich als Erfolg. Zum Beispiel, wenn eine Dozentin durch eine neue Sprechtechnik nun ohne Anstrengung mehrere Vorlesungen hintereinander geben kann, oder wenn eine Teamleiterin durch mehr stimmliches Selbstvertrauen wieder mit viel Freude und Klarheit kommuniziert und ihre Mitarbeitenden dadurch motiviert und mitnimmt.
© Mosaik Verlag
Interview: Isabelle Ihrke
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Bild © Esther Bauer