Dr. Bianca Kellner-Zotz über ihr Buch "Happy Family"
Die Kommunikationswissenschaftlerin erklärt, wie das »Aufmerksamkeitsregime« Familien unter Druck setzt.
In 2018 haben Sie das vorliegende Buch als Dissertation publiziert und jetzt für die Veröffentlichung beim Goldmann Verlag nochmal überarbeitet. Was ist neu?
In erster Linie die Zielgruppe und damit die Form der Ansprache. Eine Dissertation ist eine wissenschaftliche Arbeit mit einem umfangreichen Theoriekonzept. Die neue Buchfassung konzentriert sich auf die Lebenswelt der Familien, auf ihre alltäglichen Erfahrungen. Deshalb stehen die Beispiele im Vordergrund, die nun noch mehr Raum einnehmen und aktualisiert worden sind. Und natürlich spielt Corona eine Rolle. Ich habe mich gefragt, ob das viel beschworene „New Normal“ zu einer Entschleunigung des Familienalltags führen wird, ob die nicht zuletzt durch die Orientierung an den Medien hervorgerufene Sucht nach Aufmerksamkeit an Bedeutung verliert. Tatsächlich scheint das allen Pandemie-Einschränkungen zum Trotz nicht der Fall zu sein. Die Medialisierung hat uns weiterhin fest im Griff.
Was möchten Sie mit dem Buch „Happy Family“ erreichen?
Ich kenne viele Familien, die in der Stressfalle sitzen und nicht wissen, warum. Das Buch bietet die Möglichkeit, die eigene Situation zu reflektieren und all das abzustellen, was nur Zeit frisst und uns unglücklich macht. Warum tun wir, was wir tun? Warum suchen wir ständig nach Ablenkung, warum posten wir Fotos unserer Kinder, warum rennen wir schon mit Babys zum Musikgarten? Die meisten Familien leben zu sehr im Außen und setzen sich dadurch unter Druck. Wir sollten ehrlich mit uns sein. Basteln wir am Kindergeburtstag mit den kleinen Gästen ein Steckenpferd, weil uns das Spaß macht oder weil wir die anderen Eltern mit unserer Kreativität und Planungskompetenz beeindrucken wollen?
Wer sollte Ihr Buch lesen?
In erster Linie könnten vor allem die Mütter profitieren. Denn sie sind es, die die Hauptlast der Familienarbeit tragen und sich in erster Linie um Erziehung, Alltagsgestaltung und Freizeitplanung kümmern. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass auch Väter, Großeltern, Frauenärzte, Erzieher und Lehrer beim Lesen einige Aha-Momente haben. Jeder, der Familie hat oder mit Familien arbeitet, wird sich zumindest in Teilen wiedererkennen.
Heutzutage kann man sich fast alles leisten, da sind Erlebnisse - ob nun alleine oder in der Gruppe/Familie - die wahre Währung und auf Instagram visuell aufbereitete Erlebnisse die Königsklasse. Warum sollte man sich davon freimachen und wie kann das gelingen?
Schöne Erlebnisse, gemeinsame Feste und Urlaubsreisen sind etwas Tolles und machen unser Leben reich. Aber wir finden oftmals nicht mehr das richtige Maß, sondern hecheln von einem Höhepunkt zum nächsten und versuchen, jedes Ereignis zu etwas Besonderem zu machen, vom Heiratsantrag bis zum Wochenendausflug. In dem Bemühen, jeden an unserem Glück teilhaben zu lassen, verpassen wir die Schönheit des Moments. Ein Beispiel: Eine Hebamme erzählte mir von einem Elternpaar, das sich im Kreißsaal schrecklich aufregte, weil es kein WLAN gab. Sie wollten unbedingt gleich nach der Geburt Bilder des Babys posten. Als das nicht gelang, fing die frisch gebackene Mutter vor lauter Enttäuschung zu weinen an. Dabei hielt sie doch ein völlig gesundes Kind im Arm. Ich kann nur jedem raten, sich selbst ehrlich zu befragen, was er wirklich für sich selbst oder für den Beifall des Umfelds tut. 100 Likes für ein Baby-Foto sind eine kurzfristig wirksame Droge, glücklich machen sie nicht.
Janne Lemke