Aktuelles | 19.02.2024 | Goldmann

"Die große Herausforderung von Familie ist es, ihr Lebenskonzept permanent den aktuellen Gegebenheiten anzupassen."

Lisa Quentin Eine gute Ehe Roman

Lisa Quentin im Interview über ihren zweiten Roman "Eine gute Ehe"

Lisa Quentin Eine gute Ehe Roman

INTERVIEW: Lisa Quentin beschreibt in ihrem neuen Roman "Eine gute Ehe" (erscheint: 24.04.2024) das zeitlose Spannungsfeld zwischen Familie, Beruf und Träumen.

In Ihrem neuen Roman „Eine gute Ehe“ erzählen Sie die Geschichte von Margarete, die mit 20 Jahren schwanger wird, ihr Studium abbricht, heiratet, eine Tochter zur Welt bringt und sich mit großem Eifer ihrer Familie widmet. Welche Erwartungen knüpft Margarete an ihre Ehe?

Wie viele junge Frauen in den 1960er Jahren erhofft sich Margarete von einer guten Ehe zunächst einmal finanzielle Sicherheit und gesellschaftliches Ansehen. Gute Männer waren rar und mit Lenz hat sie eine hervorragende Partie gemacht, er ist beruflich erfolgreich, gutaussehend und lässt ihr viele Freiheiten. Margarete geht davon aus, dass sie nur ein paar Semester aussetzen wird, ihr Studium bald wieder aufnehmen und als Lehrerin arbeiten wird – ein Plan, der erstmal krachend scheitert.

Welche Ziele und Hoffnungen hat Margarete vor ihrer ungeplanten Schwangerschaft für sich selbst verfolgt?

Margarete sieht sich als berufstätige Mutter. Seit sie ein kleines Mädchen war, träumt sie davon Lehrerin zu sein. Sie interessiert sich für reformpädagogische Ansätze und sieht sich als Teil eines engagierten Kollegiums.

Margarete heiratet den 10 Jahre älteren Lenz, einen ehrgeizigen, erfolgreichen Arzt, der Margarete alles bieten kann, was in den 1960er Jahren als ideale Voraussetzung für eine glückliche Familie gilt. Wie würden Sie Lenz charakterisieren?

Lenz ist charismatisch, humorvoll, ein Lebemann. Er versteht es, seine Mitmenschen um den Finger zu wickeln und lotet die Grenzen des gesellschaftlich Akzeptierten gerne aus. Doch hinter seiner schillernden Fassade wird ein verunsicherter und traumatisierter Mann sichtbar, der permanent die Bestätigung durch andere sucht. Wie viele Menschen der Kriegskindergeneration spricht er nicht über seine Sorgen und Ängste.

Ihr Roman spielt überwiegend in den 1950er und 1960er Jahren. Was macht gerade diese Zeitspanne interessant für Ihre Geschichte?

Für mich war es sehr reizvoll, die individuelle Entwicklung meiner Protagonistin in dem Spannungsfeld dieser Epoche zu erzählen. Während in den 1950er Jahren die wiedererlangte Sicherheit und der Wirtschaftsaufschwung das beherrschende Thema sind und sich traditionelle Bindungen festigen, sind die 1960er Jahre die Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs. Margaretes Entwicklung folgt diesem Muster und kann damit stellvertretend für ihre Generation stehen.

Es gibt einen Moment, in dem Margarete den Verzicht auf ihre eigenen Ziele und Träume nicht mehr erträgt und aus ihrem Leben als Ehefrau und Mutter ausbricht. Was bewirkt dieser radikale Bruch für sie?

Margarete verlässt ihre Familie und verliert dadurch alles – ihr Zuhause, ihre Zugehörigkeit, finanzielle Sicherheit, ihr gesellschaftliches Ansehen. Sie flieht zurück ins studentische Milieu, um an ihren alten Traum anzuknüpfen. Dort muss sie jedoch schmerzhaft feststellen, dass sie auch hier nicht mehr dazugehört.

Margarete kam 1946 mit ihren Eltern nach Deutschland und ließ nicht nur ihre Heimat, sondern auch ihren früheren Namen Anikó zurück. Können Sie uns etwas über die Bedeutung von Margaretes Herkunft für den Verlauf der Handlung erzählen?

Margarete ist Ungarndeutsche und kommt nach dem zweiten Weltkrieg als Heimatvertriebene nach Deutschland. Während ihre Familie in Ungarn ein gutes, sicheres Leben auf dem Land führte und fest eingebettet in die Gemeinschaft ihres Dorfes war, verliert sie mit der Vertreibung alles. Ihren Wohlstand, ihre Heimat, ihre Zugehörigkeit, ihre Zukunft. Ein Trauma, das Margarete ein Leben lang begleitet.

„Eine gute Ehe“ ist Ihr zweiter Roman. Ihr Debütroman, „Ein völlig anderes Leben“, ist im März 2022 erschienen und handelt von einem weitgehend unbekannten Kapitel der jüngeren deutschen Geschichte: Zwangsadoptionen in der DDR. Sie haben intensiv dazu recherchiert und Frauen befragt, die als Mutter oder Tochter Opfer einer Zwangsadoption geworden sind. Wie haben Sie sich dem Schicksal der Figuren in „Eine gute Ehe“ genähert?

Auch bei diesem Buch waren Zeitzeugen-Interviews für mich die Grundlage meiner Arbeit. Über die Landsmannschaft der Ungarndeutschen habe ich Kontakt zu Betroffenen aufgenommen und in berührenden Gesprächen von deren Leben in Ungarn, der Vertreibung und dem Neuanfang in Deutschland erfahren. Ich durfte private Fotoalben einsehen, alte Dokumente und persönliche Berichte lesen.

Darüber hinaus stand ich während des Schreibprozesses im Austausch mit Forschenden des Instituts für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde sowie des Donauschwäbischen Zentralmuseums, die mir bei der Einordnung der geschichtlichen Zusammenhänge geholfen haben.

Außerdem waren die 1960er Jahre für mich ein intensives Recherchefeld: Ich fand es nicht ausreichend, Sekundärliteratur über diese Zeit zu lesen, weshalb ich einen kompletten Jahrgang der monatlich erscheinenden Zeitschrift „Ratgeber für Haus und Familie“ durchgearbeitet habe sowie damals einschlägige Ratgeber zur Säuglings- und Kinderpflege. Durch Interviews mit Menschen, die in den 1960er Jahren studiert haben, konnte ich Einblicke in die damaligen Abläufe und die Atmosphäre an den Universitäten gewinnen. Es war mir wichtig, keine Narrative dieser Zeit zu übernehmen, sondern den Zeitgeist ungefiltert zu erleben – und in meinem Roman wiederzugeben.

In Ihrem neuen Roman stellen Sie mit der Ehe eine Institution auf den Prüfstand, für die sich auch heute viele Menschen entscheiden, wenn sie sich zu einer Partnerschaft bekennen und eine Familie gründen. Was ist aus Ihrer Sicht zeitlos an Margaretes Geschichte?

Ich denke, die große Herausforderung von Familie ist es, ihr Lebenskonzept permanent den aktuellen Gegebenheiten, Bedürfnissen und Wünschen aller Familienmitglieder anzupassen und nachzujustieren. In der Beziehung müssen beide immer wieder bereit sein, sich aufeinander einzustellen und Kompromisse zu finden. Was sind meine Träume? Wie viel bin ich bereit für die Familie zu geben? Und wo können wir mit Normen und Konventionen brechen, um eigene, für uns passende Lösungen zu finden? Diese Fragen treiben meine Protagonistin um, genauso wie sie sechzig Jahre später mich in meiner Rolle als berufstätige Mutter beschäftigen.

© Goldmann Verlag, Interview: Elke Kreil

Der neue Roman von Lisa Quentin, "Eine gute Ehe", erscheint am 24.04.2024. Zur Pressemeldung

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