Die Geschichte einer unerhörten Frau
Hanne Hippe erzählt von der Emanzipation ihrer Mutter
Wie lebt es sich in den Fünfzigerjahren als Tochter einer alleinerziehenden Frau?
Gussy Fink führt ein Leben, wie man es in den Fünfzigerjahren von einer Frau erwartet. Sie ist verheiratet, hat zwei wohlgeratene kleine Kinder und ist die perfekte Ehefrau und Mutter. Das ändert sich, als sie feststellt, dass ihr Mann in dubiose Geschäfte verwickelt ist und sie hintergangen hat. Für Gussy liegt nicht nur ihre Ehe, sondern auch eine gesichterte Zukunft für sich und die Kinder in Scherben. In ihrer Verzweiflung wagt die schüchterne Frau einen kühnen Schritt – sie reicht die Scheidung ein. Aus der unsicheren Mustergattin wird eine von der Gesellschaft argwöhnisch beobachtete Außenseiterin. Dennoch ist Gussy entschlossen, für ein neues und selbstbestimmtes Leben zu kämpfen – ohne Kompromiss.
Hanne Hippe erzählt von einer Kindheit in Frankfurt und Köln. Von den Kneipentouren des Vaters, eines charmanten Hallodri und einflussreichen Sportfunktionärs, der sich der Verhaftung durch die bundesdeutsche Polizei nur durch eine Republikflucht in die andere Richtung (also vom Westen in die „Zone“) entzieht. Hermann Fink verdrängt gern seine familiäre Herkunft aus einer assimilierten jüdischen Familie in Breslau, hegt aber durchaus Sympathien für die Linken. Als die DDR den mehrsprachigen Fink als Gegenleistung zum Spion heranziehen will, flieht er nur wenige Stunden vor dem Mauernbau zurück in den Westen.
Hanne Hippe erzählt vom Neuanfang der Mutter Gussy, der alleinerziehenden Geschiedenen im erzkatholischen Köln. Die Ungelernte, die es von Putzstellen zur Stadtbüchereiangestellten schafft. Es ist die Geschichte einer Frauengeneration, die es mühsam lernt, sich gegen Bevormundung und Unterordnung zu wehren und Vertrauen in das eigene Ich und seine Möglichkeiten zuzulassen. Der Kampf um Emanzipation und Gleichberechtigung in den folgenden Jahrzehnten wird nicht mehr nur in den eigenen vier Wänden sondern auf den Straßen, in den Medien und in den Parlamenten geführt werden und auch das Leben der kleinen Eva maßgeblich prägen. Die Autorin nimmt die die Leser*innen mit in die Zeit ihrer Kindheit und erzählt aus unterschiedlichen Perspektiven – Mutter -Vater - Tochter – eine sehr spezielle Familiengeschichte, vor allem aber die Geschichte der Mutter Gussy Fink. Im Verständnis der damaligen Zeit war sie vor allem eins: eine unerhörte Frau.
Die Geschichte einer unerhörten Frau
Elke Kreil