Am 1. November erscheint im Verlag C.Bertelsmann "Im Schatten der blauen Pferde" - Uwe Fleckners raffiniert erzähltes Romandebüt um eines der großen Rätsel der Kunstgeschichte: den Verbleib von Franz Marcs berühmten Gemälde "Der Turm der blauen Pferde".
Uwe Fleckner, der seit 2004 Professor für Kunstgeschichte an der Universität Hamburg ist sowie Leiter der von ihm gegründeten Forschungsstelle »Entartete Kunst« in Hamburg und Mitglied im Direktorium des dortigen Warburg-Hauses, hat uns vorab ein paar Fragen über die Hintergründe dieses Romans beantwortet:
Herr Fleckner, Sie sind Professor für Kunstgeschichte und publizieren sehr viel. „Im Schatten der blauen Pferde“ erzählt die Geschichte eines berühmten Bildes von Franz Marc und von einer spannenden Recherche. Warum haben Sie dafür die Form des Romans gewählt, was hat sie daran gereizt?
Der Roman kann dort weitererzählen, wo die historischen Quellen schweigen. Und er kann seine ganz eigene Wahrheit finden, eine literarische Wahrheit, die manchmal vielleicht mehr über die Geschichte verrät als die banalen Fakten. Besonders gereizt hat mich die komplexe Struktur des Romans, bei der ich historische und gegenwärtige Passagen ineinander verschränkt habe. Das ließe sich bei einem wissenschaftlichen Text so niemals realisieren.
Marcs „Turm der Blauen Pferde“ ist nur eines von vielen unter den Nationalsozialisten verschwundenen Kunstwerken. Nach wie vielen Werken von Rang wird aktuell noch gesucht?
Gesucht wird eigentlich weniger nach so spektakulären Werken, da ist der „Turm der blauen Pferde“ eine einsame Ausnahme. Die Forschung sucht eher nach den Wegen, den die Kunst nach Raub oder Beschlagnahme zurückgelegt hat, auch um die Erben der rechtmäßigen Besitzer von Werken, die sich heute in Museen in aller Welt befinden, wieder in ihr Recht zu setzen. Aber gefunden wird dennoch immer noch einiges, man denke nur an den berühmten „Schwabinger Kunstfund“, in dem sich auch etliche Werke befinden, die von den Nationalsozialisten als „entartet“ beschlagnahmt wurden.
Maximilian Kisch, der Held Ihres Romans, scheint mehr Detektiv als Wissenschaftler zu sein. Als Experte für, wie die Nationalsozialisten es nannten, „entartete“ Kunst sind Sie sicher schon oft auf Leute gestoßen, die wie Kisch noch immer besessen nach verschwundenen Werken suchen. Was treibt diese Menschen um?
Die Provenienzforscher sind eine ganz eigene Sorte von Historikern. Die meisten von ihnen sind tatsächlich leidenschaftlich an der Aufklärung historischen Unrechts interessiert. Und ohne eine Art von Besessenheit wird man die schwierige Forschung nach all den Jahrzehnten des Schweigens auch gar nicht bewältigen können. Aber es gibt auch einige Glücksritter unter ihnen, die sich in der Hoffnung an die Arbeit machen, ihren Anteil von den ungeheuren Summen zu ergattern, die heutzutage mit restituierten Werken manchmal erzielt werden.
Ist diese Suche nicht eigentlich Aufgabe des Staates?
Der Staat tut seit Jahren eine Menge für die Suche nach den Werken und ihrer tatsächlichen Herkunft und fördert diese Forschungen mit Millionen von Euro. Ich selbst habe lange Jahre ehrenamtlich in den Kommissionen mitgewirkt, die solche Fördergelder an Museen und einzelne Forscher vergeben.
Das Getty Center in Los Angeles spielt bei Kischs Recherchen eine Schlüsselrolle. Sie schildern in einer Szene, wie sich eine illustre Runde von Kunsthistorikern dort in einem Gästehaus trifft. Was macht diesen Ort so besonders?
Es ist tatsächlich die Begegnung mit Spezialisten aus aller Welt, auch die Bibliothek und die Archive dort sind unerschöpflich. Vor allem aber ist Los Angeles eine großartige und aufregende Stadt, von der man aus nach Deutschland zurückblickend einiges klarer sieht. Nicht zuletzt ist „Im Schatten der blauen Pferde“ deshalb auch ein Kalifornien-, ein Amerika-Roman geworden.
Ohne zu viel über das Ende des Romans verraten zu wollen: Wie wahrscheinlich ist es, dass heute, fast achtzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges, noch damals verschwundene Bilder gefunden werden?
Das ist höchst unwahrscheinlich. Aber soviel sei doch verraten, der Leser wird am Ende meines Romans nicht enttäuscht: Er findet tatsächlich – ja, was findet er eigentlich?
Neben fiktiven Figuren wie dem Helden Kisch und seiner Freundin Jessica Steiner gibt es zahlreiche historische Figuren in ihrem Roman: Joseph Goebbels, Maria Marc, Marlene Dietrich, um nur einige zu nennen. Was hat Ihnen mehr Freude bereitet, das freie Erfinden oder die Wiedergabe von Recherchiertem?
Also Freude hat beides in gleichem Maße bereitet. Aber die Arbeit an den historischen Passagen unterscheidet sich doch sehr von der an den fiktiven Teilen des Romans. Die Sachverhalte aus den Quellen zu fiktionalisieren, ist gar nicht so einfach, denn die Fakten bieten dabei so manchen Widerstand und noch größere Lücken. Andererseits beruhen gerade die fiktiven historischen Figuren (und Begebenheiten) auf einer tiefgreifenden Recherche, sie müssen ja fast noch wahrer sein als die vermutete Wirklichkeit. In der Gegenwart sind fast alle Figuren erfunden, aber natürlich setzen sie sich aus Personen zusammen, denen ich über die Jahre begegnet bin.
Sie sind Professor und Publizist. Sie leiten die Forschungsstelle „Entartetet Kunst“ in Hamburg und sind Direktor des dortigen Warburg-Hauses. Während unserer Zusammenarbeit haben Sie eine zweite Professur in China angetreten und waren Mitglied einer US-Delegation, die Israel bereist hat. Anders als Maximilian Kisch haben Sie Familie. Wann finden Sie eigentlich Zeit zum Schreiben?
Auch wenn es ein wenig pathetisch klingen mag: Schreiben ist für mich wie die Luft zum Atmen, das gilt auch für wissenschaftliche Texte. Wenn ich nicht schreiben kann, bin ich unglücklich. Tatsächlich leite ich einige große internationale Vorhaben, doch inzwischen ist sogar der nächste Roman schon zu einem Drittel geschrieben...
© C. Bertelsmann, die Fragen an Uwe Fleckner stellte Angelika Schedel, Lektorin bei C. Bertelsmann.