Aktuelles | 11.03.2024 | der Hörverlag

Den Alten eine Stimme geben

Banner Eribon Matthes

Hörbuchsprecher Ulrich Matthes über den Umgang der Gesellschaft mit älteren Menschen, den Jugendwahn in der Schauspielerei und Didier Eribons neuen Roman. "Eine Arbeiterin" erscheint am 13. März im Hörverlag.

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Eine Arbeiterin

Didier Eribon

Nach "Rückkehr nach Reims" erzählt Didier Eribon nun vom Leben und Altern seiner Mutter. Das Hörbuch "Eine Arbeiterin", gelesen von Ulrich Matthes, erscheint am 13. März 2024. (Buchausgabe: Suhrkamp Verlag). Didier Eribons neuer Titel legt schonungslos dar, wie sehr die Politik und die Gesellschaft die skandalöse Situation vieler alter Menschen lange verdrängt haben. Zugleich erweist er sich anhand suggestiver Episoden und berührender Erinnerungen erneut als großer Erzähler.

 

Lieber Herr Matthes, was waren Ihre ersten Gedanken, als Sie die Anfrage erhielten, „Eine Arbeiterin. Leben, Alter und Sterben“ als Hörbuch einzulesen?

Grundsätzlich freue ich mich immer, wenn ich eine Anfrage erhalte, ein Hörbuch einzulesen, weil es mir Spaß macht, vor einem Mikrofon zu sitzen und meine gesamten Kräfte auf einen Text zu konzentrieren. In diesem Fall habe ich mich besonders gefreut, weil ich Didier Eribon kenne, "Rückkehr nach Reims" als Theaterstück gesehen habe und schon vorher wusste, dass ich bei der lit.COLOGNE im März diesen Jahres zusammen mit Eribon auftreten und aus diesem Buch lesen werde. Insofern waren meine ersten Gedanken freudvoll.  

 Gab es bereits zuvor schon persönliche Bezüge zu diesem Autor und seinen Büchern? 

Ich wusste, wer Didier Eribon ist, er ist ja ein weltberühmter Intellektueller. Und wenn man Medienkonsument ist, wie ich das in hohem Maße bin, dann kommt man an diesem Menschen ja gar nicht vorbei. Auch durch seine Freundschaft zu Édouard Louis, von dem ich schon zwei Bücher gelesen habe.

 Wie würden Sie die Atmosphäre dieses Textes beschreiben und wie haben Sie versucht, diese in Ihre Interpretation zu übertragen? 

Die Atmosphäre dieses Textes ist etwas janusköpfig. Oder einfacher gesagt, etwas zwiespältig. Auf der einen Seite gelingt es Eribon auf ganz wunderbare Weise, sehr persönlich, sehr ehrlich, geradezu schonungslos ehrlich über das Altern und über den Tod seiner Mutter zu schreiben. Wirklich sehr ehrlich und dadurch sehr bewegend. Auf der anderen Seite ist er ein Intellektueller, ein Soziologe, dessen Sprache ich, wenn ich so ehrlich sein darf, manchmal etwas überkompliziert fand, sodass ich mich gefragt habe: Erreicht das Buch wirklich die vielen Leser, die dieses insgesamt ganz und gar großartige Buch erreichen könnte? Das galt auch für meine Interpretation: Ich musste mich darum bemühen, die Einfachheit, den sehr persönlichen Ton von Eribon aufrechtzuerhalten. Und, da ich kein Soziologe bin, die Kompliziertheit der soziologischen Passagen zu verstehen und so zu sprechen, dass auch ein Mensch, der nicht wie bei einer Lektüre immer noch mal zurückgehen kann, diese Passagen versteht.

Ulrich Matthes©Mathias Bothor-photoselection

Gibt es eine Passage in diesem Text, die für Sie persönlich besonders bedeutend oder berührend war?  

Das waren die Passagen, die sich mit dem Aufenthalt und mit den letzten Jahren seiner Mutter in dem Altenheim beschäftigt haben. Ich selber habe mich bis zum Tod meiner Mutter vor einem guten Jahr auch sehr intensiv um sie  gekümmert. Und ich weiß, wie kompliziert erstmal der Umzug in ein Altenheim für meine Mutter, wie für die Mutter von Eribon, war. Ich hatte im Gegensatz zu Eribon das Bedürfnis, mich in dieser komplizierten Phase, die mehrere Monate gedauert hat, tatsächlich täglich um meine Mutter zu kümmern. Was auch dadurch möglich wurde, dass meine Wohnung und das Altenheim nah beieinander lagen. Also war es natürlich für mich bewegend, das zu lesen. Und ich habe mich immer wieder beim Lesen auch an meine Mutter erinnert.  

 Liegt in Ihren Augen eine besondere Botschaft, ein besonderes Anliegen in Didier Eribons neuem Werk? 

Natürlich! Es ist die Botschaft, ich zitiere ihn wörtlich, "den Alten eine Stimme zu geben". Den Alten, die noch selber sprechen können, aber auch den Alten, die selber nicht mehr sprechen können, weil ihre physischen, weil ihre kognitiven Fähigkeiten so sind, dass sie das nicht mehr können. Es ist ja immer noch so, dass die Pflegekräfte einen sehr schweren Job haben und zu schlecht bezahlt sind. Darunter leidet of der Umgang mit den Patienten. Ja, das ist ganz sicher die große, intensiv vorgetragene Botschaft und das Anliegen von diesem Buch, sich mehr zu kümmern. Auch als Verwandter. Eribon sagt, er hat da ein schlechtes Gewissen, er habe sich zu wenig gekümmert. Ich habe dieses schlechte Gewissen, bezogen auf meine Mutter, nicht – was ein Privileg ist. Die Gesellschaft und die Politik mögen sich bitte mehr um die Alten und die Pflegebedürftigen kümmern.

 Wie können wir aus Ihrer Sicht das Bewusstsein für die Bedürfnisse älterer Menschen in unserer Gesellschaft stärken? 

Ich spreche jetzt mal kurz als Schauspieler, sowohl im Film wie im Theater. Gerade neulich wurde erst von Kolleginnen beklagt, dass viele Schauspielerinnen ab 50 nahezu unsichtbar werden, weil man glaubt, dass die Fernsehzuschauerinnen und -Zuschauer nur junge Menschen auf dem Bildschirm sehen wollen. Ich halte das für eine Mär. Die ganze Gesellschaft wird älter, Deutschland wird älter, das Durchschnittsalter wird höher. Und es gibt in den Künsten, im Film, im Fernsehen und ein bisschen auch im Theater die Tendenz, die Älteren nicht mehr so vorkommen zu lassen, wie sie das verdienen. Auch in den Ensembles an Theatern gibt es die Tendenz, die älteren Rollen durch jüngere Schauspielerinnen und Schauspieler zu besetzen. Ich habe jetzt mal sehr aus meiner Warte des Schauspielers gesprochen. Aber natürlich muss es ein allgemeines politisches Bewusstsein darüber hinaus geben, die älteren und alten Menschen mehr in den Blickpunkt zu rücken. 

[Gerne können Sie das Interview oder Passagen daraus im Rahmen einer Besprechung des Hörbuchs verwenden.]

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