Embodiment spielt in aktuellen Forschungen der Psychologie und Philosophie, der Neuro- und Kognitionswissenschaften, ja sogar auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz eine immer wichtigere Rolle. Was ist über all diese Disziplinen hinweg unter Embodiment zu verstehen?
Mit Embodiment bezeichnet man eine grundsätzliche wissenschaftliche Orientierung, die von einer Wechselwirkung von Körper, Geist und Umwelt ausgeht. Alle Embodiment-Ansätze haben gemeinsam, dass sie den Menschen nicht als eine Art Gehirn in einer Petrischale betrachten. Stattdessen arbeitet man mit der Annahme, dass Geist und Psyche embodied sind, also in einem Körper beheimatet und dass sie embedded (eingebettet) in eine Umwelt sind. Aus dieser Sicht ergeben sich eine Fülle von methodischen Anregungen für Psychologie, Theologie, Seelsorge, Beratung und Coaching.
Als Psychologin und Psychoanalytikerin wissen Sie, dass Embodiment in der Therapie ein hochwirksamer ganzheitlicher Ansatz ist. Wie kamen Sie auf die Idee, Embodiment für die spirituelle Praxis weiterzuentwickeln?
Da ich seit mehreren Jahren nun aufgrund meiner Tätigkeit als Organistin so regelmäßig wie noch nie in meinem Leben an Gottesdiensten teilnehme, ist mir aufgefallen, wieviel konkrete praktische Lebenshilfe in der Bibel, der christlichen Liturgie und den Kirchenliedern steckt. Wenn man einmal das Kirchenjahr durchlaufen hat, hat man eigentlich ein Großreinemachen in seiner Psyche erlebt! Immer wieder ist mir jedoch auch aufgefallen, dass der körperliche Aspekt etwas kümmerlich ausgeprägt ist. Ich habe darum damit angefangen, in der psychologischen Arbeit mit Einzelpersonen den spirituellen Aspekt systematisch mit einzubeziehen. Die Erfolge damit haben mich echt umgehauen. Mir kommt es oft so vor, als hätten Menschen in der heutigen Zeit einen gewaltigen spirituellen Hunger, den die Verbindung von Spiritualität mit dem Körper wirklich sättigen kann.
Sie haben „Spirituelles Embodiment“ zu dritt verfasst. Was hat Sie für dieses Thema als Autorinnen und Autor zusammengeführt?
Ich habe Prof. Klöckner im Rahmen meiner Ausbildung zur C-Kirchenmusikerin kennengelernt, als ich zur Vorbereitung auf die Gregorianik-Prüfung einen Kurs bei ihm besuchte. Er sprach immer davon, dass Gregorianik im Körper erlebt werden muss. Da habe ich ihm von Embodiment erzählt und siehe da – es hat gepasst! Prof. Jäger kenne ich aus der Hochschularbeit. Sie hat ja die Idee von den Embodied Prayers entwickelt. Uns alle drei vereint ein gemeinsames Anliegen: den Körper in die Kirche zu holen.
Spirituelle Praxis wird in Ihrem Buch vor allem am Beispiel der christlichen Tradition beschrieben. Ist „Spirituelles Embodiment“ an ein bestimmtes Bekenntnis gebunden?
Das ist eine wichtige Frage! Spirituelles Embodiment ist geeignet für Menschen aller Art, die sich mit Spiritualität befassen. Dass wir viele christliche Fallbeispiele haben, liegt einfach daran, dass wir alle drei im christlichen Kontext arbeiten. Auch jemand, der seine Spiritualität bei Spaziergängen im Wald erlebt, kann Embodiment praktizieren, diese Thematik ist nicht an eine Konfession gebunden.
Wie können Menschen, die keine gläubigen Christen sind, aber Zugang zu spirituellem Embodiment suchen, Ihr Buch für sich nutzen?
Man nimmt die Anleitungen zu den einzelnen Übungen, die ja immer sehr ausführlich beschrieben sind und füllt die mit eigenen wichtigen Bildern und Themen. Das sollte gar kein Problem sein. Körper ist Körper, egal ob eine Muslima drinsteckt, ein Buddhist oder ein Mensch, der mit schamanistischer Spritualität arbeitet.
© Arkana Verlag / Interview: Elke Kreil