Sie sind ja ein absoluter Paul-Temple-Experte. Gilt das auch für die Romane von Agatha Christie?
Nein, die Paul-Temple-Figur von Francis Durbridge ist eine Hörspiel-Figur. Diese Figur wurde von dem Autor Francis Durbridge 1938 für die BBC erfunden. Das war eine Figur, die in erster Linie oder wirklich als aller erstes eben fürs Radio geschrieben wurde. Erst danach kamen Verfilmungen, ein paar Bücher und sogar in den 70er Jahren noch eine vollkommen anders geartete Fernsehserie. Im Ursprung waren es, wie gesagt, Hörspiele. Und Hörspiele haben ein bisschen mehr Faszination für mich als Romane generell. Ich lese nicht sehr viel, deshalb bin ich da natürlich befangen. Aber die Hörspiele mit den Romanen zu vergleichen ist schwer, denn ganz ehrlich, auch von den Agatha-Christie-Romanen gibt es sehr, sehr schöne Hörspielfassungen und auch hier würde ich wieder, wenn ich mir zuhause etwas anhöre, die Hörspiele bevorzugen, bevor ich zu einem Buch greife.
Was darf in keinem Agatha-Christie-Roman fehlen?
Also ich glaube, Agatha Christie hat unheimlich viel für die Kriminalliteratur getan. Sie ist diejenige, die eine ganz große Anzahl von Verdächtigen und interessante Ermittlerfiguren versammelt. Meistens handelt es sich um Verbrechen, die in einem geschlossenen Raum stattfinden. Das heißt, ein Toter ist beispielsweise hinter einer Tür ermordet worden, noch ganz frisch und das Blut läuft ihm aus den Adern, aber es ist kein Mörder im Raum, denn der Raum war abgeschlossen, und zwar von innen. Wie soll das gehen? Solche Späße haben auch andere Autoren und Autorinnen vor ihr, also vor den 1920er Jahren versucht. Agatha Christie hat diese Krimiform mit guten Ideen und guten Ermittlerfiguren einfach aufs Beste angereichert und bis heute nachhaltig so berühmt gemacht, dass wir immer, wenn wir an einen Krimi denken, sofort an Agatha Christie denken – speziell, wenn er in England spielt. Tatsächlich muss bei Agatha Christie immer sehr viel ermittelt werden. Es werden Spuren zusammengesucht, es gibt kleine Hinweise. Der Detektiv oder die Detektivin verhört alle Verdachtspersonen nacheinander in irgendwelchen Kaminzimmern. Und in der Tat spielen die Geschichten meistens in englischen Herrenhäusern, bei Agatha Christies Mord im Orientexpress beispielsweise in einem Zug. Es gibt auch noch einen anderen Zug, den Blue Train, oder auf einem Schiff bei Tod auf dem Nil. Es ist immer eine Gesellschaft, die zusammenkommt, möglicherweise eine Familie, und dann gibt es eine Tote oder einen Toten oder gleich mehrere Tote und dann muss ermittelt werden. Also viele Leute, verschlossener Raum, seltsame Ermittler, meistens eine Polizei, die nichts schnallt im Gegensatz zu den Superdetektiven Miss Marple oder Hercule Poirot. Und dann gibt es am Schluss eine tolle Auflösung, und für diese Auflösung versammelt zum Beispiel Hercule Poirot – genau wie er es auch in Hercule Poirots Weihnachten macht – sämtliche Verdächtige in einem Raum und sagt dann: „Sie, Mister Smith und Sie, Misses Jones, und Sie, die Haushälterin, waren aber nicht, während er...“ und so weiter und am Schluss wird der Täter spektakulär herausgefiltert. Das macht Spaß, das ist spannend und ist zum Beispiel hier bei Hercule Poirots Weihnachten verblüffend.
Wen sollte man besser nicht zum Weihnachtsfest einladen, um Mord und Totschlag zu vermeiden?
Mich!
Wie schafft man Spannung am Mikro im Vergleich zur Arbeit vor der Kamera?
Das ist eine schöne Frage. Ich durfte Hercule Poirots Weihnachten einlesen, alleine einlesen, also ohne Leute um mich herum. Wir haben kein Hörspiel gemacht, sondern eine Lesung, ohne Atmosphären, ohne Musik, ohne Geräusche und so weiter. Also muss ich selber Spannung für die Hörerinnen und Hörer, die sich das anhören wollen, schaffen. Und das klappt natürlich nur, wenn die Vorlage gut ist, und die Vorlage ist glücklicherweise spannend. Hercule Poirots Weihnachten von Agatha Christie hat viele verblüffende Wendungen, es gibt überraschende Hinweise und wenn man dann ein paar Pausen lässt und sich fragt, was könnte wohl als nächstes kommen, so wie ich es gerade versuche, dann bleibt die Hörerin, der Hörer möglicherweise dran. Ich hoffe es zumindest, schön wäre es. Mir hat es Spaß gemacht.
Viel Spaß bei Hercule Poirots Weihnachten! Herzliche Grüße und frohe Weihnachten, Bastian Pastewka. Tschüss!
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