Aktuelles | 26.09.2022 | btb

Buchpräsentation und Interview mit Eva Weissweiler

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Eva Weissweiler stellt am 29.9. ihr neues Buch »Villa Verde oder das Hotel in Sanremo« in Köln vor. 

Am Donnerstag, 29. September 2022, stellt Eva Weissweiler ihr neues Buch »Villa Verde oder das Hotel in Sanremo« in Köln vor. Die Veranstaltung findet in der St. Agnes-Kirche, Neusser Platz 18, 50670 Köln, statt. Beginn ist um 20:00 Uhr, Eintritt frei. Moderation: Dr. Martin Mittelmeier

Wir haben Eva Weissweiler vorab ein paar Fragen gestellt.

Frau Weissweiler, Sie beschäftigen sich schon länger mit Dora Sophie Kellner, der geschiedenen Frau von Walter Benjamin. Was fasziniert Sie so an ihr?

Als Ehefrau „im Schatten“ eines großen Denkers, der in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einer Kultfigur wurde (und noch heute ist), wurde sie von den Biographen zumeist als lästiges Beiwerk betrachtet, die seiner eigentlich gar nicht würdig war. In den meisten Benjamin-Biographien werden Sie nur wenige Zeilen über sie finden, verbunden mit negativen persönlichen Wertungen wie „eitel“, „geschwätzig“, „dumme Gans“ usw. Diese Darstellungen haben mich irritiert. Ich begann, mich näher mit ihr zu befassen und stellte fest, dass sie eine bedeutende Journalistin in der Zeit der Weimarer Republik war, zwei Romane und viele Kurzgeschichten geschrieben hat, wichtige Literatur erstmals aus dem Englischen ins Deutsche übersetzte und es durch diese Arbeit überhaupt erst möglich gemacht hat, dass Benjamin ein privilegiertes Leben als freier Autor führen konnte.

Für Ihr aktuelles Buch haben Sie sich die Geschichte der Villa Verde ausgesucht, des kleinen Hotels, das von 1934 bis 1940 im Besitz von Dora Sophie Kellner war. Warum gerade diesen Lebensabschnitt?

Weil dieser Abschnitt in der Benjamin-Biographie noch flüchtiger behandelt wird als Dora selbst. Dabei war es eine Zeit, in der die Benjamins trotz Scheidung und trotz aller Aufregungen des Exils und der Judenverfolgung beinahe wieder etwas wie ein richtiges Familienleben führten. Benjamin fand in der paradiesischen Umgebung von Sanremo viel Ruhe und Inspiration. Einige Abschnitte der „Berliner Kindheit“ und der großen Kafka-Abhandlung sind dort entstanden. Mich interessierte aber auch die Geschichte der anderen Gäste, darunter Theodor W. Adorno und seine Frau Gretel, der jüdische Nietzsche-Forscher Oscar Levy oder die Star-Journalistin Anita Joachim, die hier alle zeitweilig Zuflucht fanden. Im Hintergrund schildere ich die Entwicklung Italiens zur Diktatur und das sich zusammenbrauende Unheil des Zweiten Weltkrieges, der den Gästen der Villa Verde und den Benjamins selbst alle Hoffnungen auf ein dauerhaftes Asyl in Italien nahm.

Neben Dora Sophie Kellner steht erstmals Stefan Benjamin, der gemeinsame Sohn mit Walter Benjamin, im Fokus. Wie hat er diese prägenden Zeit erlebt?

Stefan Benjamin ist, wie seine Tochter Mona in ihrem Nachwort zu meinem Buch schreibt, von der Benjamin-Forschung immer nur wie eine Fußnote zum Leben seines Vaters behandelt worden. Aus dieser Nische wollte ich ihn herausholen. Seine Briefe aus Sanremo zeigen ihn als wachen, intelligenten jungen Mann, der sich tiefgründig über Politik und Literatur äußern konnte und zudem noch erstaunlich witzig war. Während Dora als gebürtiger Wienerin der Ortswechsel leicht fiel, hing er sehr an Berlin, dem Ort seiner Kindheit, wo er seine Freunde und seine vertraute Umgebung hatte. Er reagierte zunächst mit Panik, Ängsten und Depressionen auf den Umzug, warf seine Schullaufbahn hin, wurde zwischen Sanremo und Wien hin- und hergeschoben. Als er sich endlich eingelebt hatte und sich schon als halber Italiener fühlte, sollte er zum italienischen Militär eingezogen werden. Insofern war Sanremo für ihn eine schöne, aber auch traumatische Erfahrung.

Sie haben für Ihr Buch unveröffentlichte Briefe und bislang unbekannte Unterlagen aus italienischen Archiven einsehen und mit den Enkelinnen von Dora und Walter Benjamin sprechen können. Können Sie uns etwas zu Ihrer Recherchearbeit erzählen?

Der Kontakt mit den Londoner Enkelinnen war für mich ganz wichtig, vor allem zu Mona und Kim, den beiden Jüngsten. Sie waren noch klein, als ihr Vater Stefan Benjamin starb und brannten darauf, mehr über ihn zu erfahren. Mona, die eigentlich Filmproduzentin ist und viel vom Erzählen versteht, hat selbst ein Buch über ihren Vater geschrieben, das aufgrund des notorischen Desinteresses an „dem Sohn des Genies“ leider noch keinen Verlag fand. Sie hat mir sehr beim Recherchieren geholfen, vor allem in englischen Archiven. Ansonsten habe ich vor allem unveröffentlichte Briefe von Mutter und Sohn herangezogen. Sie befinden sich im Benjamin-Archiv der Akademie der Künste in Berlin, das sie mir freundlicherweise zugänglich machte. Auch der Briefwechsel zwischen Dora und dem Schriftsteller Henry Louis Mencken, den ich in amerikanischen Archiven fand, spielt eine große Rolle. Die italienischen Archive waren leider weniger kooperativ, in Teilen war das auch der Corona-Pandemie geschuldet. Zumindest wurden mir aus dem Staatsarchiv in Imperia wichtige Unterlagen über den Konkurs der Villa Verde zugänglich gemacht, die bisher unbekannt waren.

Das Thema Flucht und Exil ist ja leider aktueller denn je. Sehen Sie Parallelen zwischen der Situation damals und der heutigen Zeit?

Die Menschen werden, je nach ihrer Herkunft, „Rasse“, Religion oder politischen Überzeugung, bis heute verfolg und entwurzelt – so wie die Benjamins. Um ihr blankes Leben zu retten, müssen sie alles, was sie sich aufgebaut haben, zurücklassen und sich in tödliche Gefahren begeben. Ständig ergießen sich neue Flüchtlingswellen in die vermeintlich sicheren Länder, damals wie heute. Ständig werden ihnen neue bürokratische Schwierigkeiten in den Weg gelegt, an deren Absurdität sie verzweifeln. Dora und Stefan haben diese Odyssee überlebt, zumindest physisch. Benjamin nicht. Er hat sich 1940 im spanischen Portbou umgebracht, weil ihm ein einziges Papier, das Ausreisevisum aus Frankreich, fehlte. Dieses Buch erzählt eine Geschichte, wie sie sich bis heute alle Tage ereignet und weiter ereignen wird, solange fanatische Menschen an der Macht sind, denen Demokratie und Menschenrechte nichts bedeuten.

 

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