Brustkrebs - 16 Fragen an Prof. Dr. med. Nadia Harbeck
Autorin von „Brustkrebs - Alles, was jetzt wichtig ist"
Unter der Mitarbeit von Ludger Wahlers
Mosaik Verlag
Was war Ihr persönliches Anliegen, das Buch zu schreiben?
Es ist uns ein Anliegen, das aktuelle Wissen zu Brustkrebs in gut verständlicher Sprache zu vermitteln, und zwar nicht nur allgemein, sondern möglichst präzise auf die Situation der einzelnen Patientin bezogen und in der Informationstiefe, die Patientinnen sich ganz persönlich wünschen. Deshalb beginnt jedes Kapitel mit einem orientierenden Überblick und geht dann weiter ins Detail. Aber das Buch soll Patientinnen nicht nur in die Lage versetzen, gemeinsam mit dem Behandlungsteam Entscheidungen über ihre Therapie zu treffen, sondern auch Erkrankte und Menschen, die für sie wichtig sind, stark und zuversichtlich machen für all das, was bei der Krankheit auf Betroffene und ihre Familie und Freunde zukommt.
Können sich Betroffene gut über ihre Erkrankung und Therapien informieren?
Brustkrebs ist nicht gleich Brustkrebs, die Krankheit tritt in verschiedenen Formen auf, und entsprechend anspruchsvoll ist die Therapie. Das ist unter anderem der Grund dafür, warum es für Brustkrebspatientinnen eine unübersichtliche Fülle von Faltblättern, Broschuren, Internetseiten und anderen Informationsmaterialien gibt. Was allerdings fehlte, war ein orientierender Gesamtüberblick. Genau den möchten ich und mein Mitautor Ludger Wahlers mit diesem Buch anbieten.
Ihr Buch versetzt Betroffene in die Lage, gemeinsam mit ihrem Behandlungsteam Entscheidungen über eine Therapie zu treffen. Warum ist es so wichtig, dass Betroffene gut informiert sind?
Weil die Brustkrebstherapie heute ungeheuer komplex geworden ist. Der Fortschritt ist so rasant, dass auch die Fachleute nicht immer über alles Bescheid wissen können. Die Therapie besteht aus verschiedenen Einzelschritten und es ist ebenfalls wichtig zu verstehen, warum welche Schritte wann erfolgen. Hinzu kommt, dass die Zeit der Ärzte und Pflegekräfte leider sehr begrenzt ist. Um sicher zu gehen, dass auch alle Fragen beantwortet werden, sollten sich die Patientinnen gut auf ein Arztgespräch vorbereiten. Aber dazu müssen sie gut informiert sein.
Was ist Brustkrebs?
Bösartige Tumore der Brust – also das, was man landläufig als Brustkrebs bezeichnet – entstehen fast immer aus Zellen, die die Milchgänge (Ductus) der weiblichen Brustdrüse auskleiden. Sie werden fachsprachlich als invasive duktale Karzinome of no special type, kurz IDC-NST, bezeichnet. Sie machen etwa 80 Prozent aller Brustkrebsfälle aus. Etwa 10 bis 12 Prozent aller Mammakarzinome entstehen aus Zellen der Drüsenläppchen (Lobuli), also dort, wo die Milchbildung stattfindet. Ärzte bezeichnen sie entsprechend als lobuläre Mammakarzinome. Die restlichen 8 bis 10 Prozent der Mammakarzinome teilen sich die seltenen Brustkrebsformen, wie zum Beispiel das muzinose, das medulläre und das papilläre Mammakarzinom sowie das entzündliche oder inflammatorische Mammakarzinom.
Gibt es auch harmlose Knoten in der Brust?
Nicht jeder Tumor in der Brust ist bösartig. Sieben bis acht von zehn ertasteten Knoten oder Verhärtungen in der Brust erweisen sich nach gründlicher Untersuchung als gutartige Tumore. Gutartige Tumorzellen teilen sich zwar auch autonom, aber der so entstehende Tumor bleibt innerhalb seiner Gewebegrenzen. Auf diese Weise können Bindegewebsgeschwulste, flüssigkeitsgefüllte Zysten oder auch von Fettgewebe ausgehende Geschwulste entstehen. Gutartige Tumore sind somit nicht zwangsläufig harmlos, denn sie können beispielsweise Hohlräume verschließen oder den Druck in einem Gewebe erhöhen, aber sie bilden keine Metastasen und lassen sich in der Regel einfach entfernen.
Wie häufig ist Brustkrebs? Und wie sind die Heilungschancen?
Mit jährlich etwa 70 000 Neuerkrankungen ist Brustkrebs die mit Abstand häufigste Krebserkrankung der Frau. Statistisch betrachtet wird damit eine von acht Frauen und einer von 760 Männern im Laufe des Lebens mit der Diagnose Brustkrebs konfrontiert. Zu den jährlich etwa 70 000 Frauen mit invasivem Mammakarzinom kommen pro Jahr mindestens 6000 Frauen hinzu, bei denen ein In-situ-Karzinom diagnostiziert wird, ein Brustkrebs also, dessen Tumorzellen ihr Ursprungsgewebe noch nicht verlassen haben. Das mediane Erkrankungsalter für Brustkrebs liegt derzeit bei 64 Jahren. Das bedeutet, dass die Hälfte der betroffenen Frauen bei der Diagnose jünger und die andere Hälfte älter als 64 Jahre ist. Etwa ein Drittel aller Frauen ist bei der Erstdiagnose sogar jünger als 55 Jahre.
Gleichzeitig sind die Fortschritte in der Behandlung atemberaubend: Bei acht von zehn Frauen mit Brustkrebs, der noch nicht in andere Organe gestreut hat, gelingt heute eine Heilung, wenn die Patientinnen optimal therapiert werden.
Wie wird Brustkrebs festgestellt?
Je früher ein Krebs erkannt wird, desto größer sind die Aussichten auf Heilung oder einen dauerhaften Therapieerfolg. Früherkennungsuntersuchungen sind deswegen, wie das Mammographie-Screening, das aktuell die Altersgruppen zwischen 50 und 69 Jahren einschließt, unverzichtbar. Aber sie bieten trotzdem keine Garantie dafür, dass jeder Brustkrebs erkannt wird. Deshalb ist es wichtig, die Brust regelmäßig in Augenschein zu nehmen und auch selbst abzutasten. Denn in der Regel tasten die Betroffene als erste einen Knoten in der Brust. Bei folgenden Symptomen sollte man eine Frauenärztin oder einen Frauenarzt aufsuchen:
• Eine Brust hat sich in Form oder Größe verändert.
• In Brust oder Achselhöhle ist ein Knoten tastbar.
• Eine Brustwarze oder ein anderer Teil der Brusthaut zieht sich nach innen.
• Die Brusthaut rötet sich, schuppt und verheilt nicht.
• Aus einer Brustwarze wird klare oder blutige Flüssigkeit abgesondert.
Keines dieser Symptome bedeutet zwangsläufig, dass man an Brustkrebs erkrankt ist. So erweisen sich etwa 8 von 10 selbst ertasteten Knoten bei genauerer Untersuchung als harmlos. Aber jedes dieser Symptome sollte auf jeden Fall Anlass für eine genauere Untersuchung sein.
Was sind die wichtigsten Behandlungsmetoden?
Da Brustkrebs keine uniforme Erkrankung ist, sondern derzeit in verschiedene Formen unterteilt wird, ist die Erstellung des Therapieplans eine komplexe Angelegenheit. Therapieformen sind: Die neoadjuvante Therapie, eine medikamentöse Therapie, die vor der Operation erfolgt. Die Operation mit dem Ziel der kompletten Entfernung des Tumors. Die Strahlentherapie, die immer nach einer brusterhaltenden Operation angewandt wird, aber auch nach einer Brustentfernung, wenn der Tumor sehr groß war. Die adjuvante Therapie, die ergänzend und vorbeugend nach der Operation angewandt wird. Die Supportivtherapie, die hilft, die Therapie gut zu überstehen, und zuletzt die Therapie im metastasierten Stadium, wenn ein Brustkrebs gestreut hat.
Was können Medikamente bewirken?
Neben Fortschritten in der operativen Versorgung und in der Strahlentherapie hat vor allem die Medikamentenentwicklung der letzten Jahre entscheidend dazu beigetragen, dass Brustkrebs immer mehr zu einer beherrschbaren Erkrankung geworden ist. Sie hilft, die wachstumsfördernde Signale in Tumorzellen auszuschalten. Auch naturkundliche Therapien können wirkungsvoll sein. Wichtig dabei ist, die Einnahme nicht ohne Rücksprache mit der Ärztin oder dem Arzt anzuwenden. Naturheilmittel können eine wechselseitige Wirkung auf Krebsmedikamente haben und sogar den Nutzen dieser Medikamente aufheben, wenn die Medikamente durch Enzyme beschleunigt abgebaut werden oder es entstehen zu viele Nebenwirkungen, wenn die Abbauenzyme beeinträchtigt werden.
Was bedeutet die personalisierte Brustkrebstherapie?
Gleich vorweg: Es ist nicht so, dass für die einzelne Patientin im Reagenzglas ein besonderer Cocktail gemischt wird. Bei der personalisierten Brustkrebstherapie wird auf Basis der Leitlinien und vorhandenen Studiendaten eine auf die jeweilige Patientin zugeschnittene Therapie zusammengestellt. Bei der Chemotherapie werden eher unspezifisch alle schnell wachsenden Zellen angegriffen, so dass auch gesunde Zellen geschädigt werden. Zielgerichtete Therapien wirken vor allem gegen Moleküle der Tumorzelle, die eine zentrale Rolle beim Tumorwachstum spielen. Von diesem zielgenauen Eingreifen in die Prozesse der Krebsentwicklung verspricht man sich eine bessere Wirkung auf die Krankheit und geringere Nebenwirkungen auf gesunde Körperzellen.
Gibt es Hilfe zu den Nebenwirkungen bei der Brustkrebstherapie?
Wie gesagt, die großen Fortschritte in der Brustkrebsbehandlung sind vor allem der Entwicklung innovativer Medikamente in den letzten Jahren zu verdanken. Chemotherapeutika spielen zwar noch immer vor allem in Kombinationstherapien eine Rolle, doch es gelingt mehr und mehr, die Aggressivität der medikamentösen Behandlung zu reduzieren. Je nach Biologie der Erkrankung reicht häufig eine sogenannte Antihormonbehandlung aus. In anderen Fällen kommen Medikamente hinzu, die ebenfalls zielgerichtet nur auf Krebszellen mit bestimmten Eigenschaften wirken und gesunde Zellen weitgehend verschonen.
Heißt das nun, dass Nebenwirkungen in der medikamentösen Brustkrebstherapie keine Rolle mehr spielen? Leider nein, Nebenwirkungen kommen vor und werden auch zukünftig nie ganz zu vermeiden sein. Sie müssen aber auch nicht stoisch ertragen werden. Denn man kann mit ihnen umgehen und die Belastungen durch geeignete Gegenmaßnahmen deutlich reduzieren.
Hilft auch ein gesunder Lebensstil?
Patientinnen haben den meisten Einfluss auf ihren persönlichen Lebensstil, also beispielsweise auf das, was sie essen, wie intensiv und wie häufig sie sich bewegen und was sie tun, um wirklich zu entspannen. Die meisten fragen sich nach der Brustkrebsdiagnose übrigens genau das: Was kann ich anders, besser machen als vor der Erkrankung?
Sport ist wichtig, sollte aber keine Höchstleistung sein. Gut ist eine regelmäßige körperliche Aktivität, die die Ausdauer fördert, wie ein täglicher Spaziergang von 20 bis 30 Minuten. Essen sollte man das, was einem wirklich schmeckt. Auf keinen Fall Kalorienzählen, sondern hochwertige Zutaten, wie Gemüse oder bekömmlich zubereitete Vollwertprodukte, verwenden. Und weil Betroffene ständige in Anspannung sind, ist es ratsam, eigene Kraftquellen – auch aus dem Leben ‚vor dem Krebs‘ – freizulegen. Sich Auszeiten beim Singen oder Puzzeln zu gönnen oder Entspannungstechniken wie Atemschulung oder Yoga unter fachkundiger Anleitung erlernen und dann möglichst jeden Tag 10 bis 20 Minuten lang konsequent durchführen. Am meisten nutzt das, was Spaß macht.
Wie können Angehörige und Freunde Betroffene unterstützen?
Krebs im Allgemeinen und Brustkrebs im Besonderen ist in den meisten Fällen kein Todesurteil mehr, und auch die Tabuisierung der Erkrankung hat in den letzten 20 Jahren deutlich abgenommen. Trotzdem ist Brustkrebs nach wie vor eine große Belastung für Patientinnen und ihr Umfeld. Die Behandlung dauert mindestens einige Monate, sie ist anstrengend und wirbelt den Alltag aller direkt und indirekt Betroffenen völlig durcheinander.
Grundsätzlich raten Fachleute dazu, den Kreis der Eingeweihten nicht zu klein zu halten. Denn wer die Diagnose für sich behält, der kann auch nicht mit Unterstützung rechnen. Eine der wesentlichen Aufgaben vertrauter Angehöriger und guter Freunde besteht darin, den Alltag der Patientin zu organisieren. Also Vertraute um sich herum zu haben, die beispielsweise Fahrdienste übernehmen oder Betroffene in die Klinik begleiten. Die Kinder der Patientin aus Kita oder Schule abholen, die Hausarbeiten übernehmen, Einkäufe miterledigen und beim Schriftverkehr, wie Anträge ausfüllen, helfen.
Sie geben in Ihrem Buch auch wertvolle Ratschläge zu sozialen Fragen und Existenzsicherung.
Brustkrebs reißt einen aus dem Leben. Nichts ist wie es vorher war. Nicht nur physisch und psychisch, sondern auch organisatorisch und vielleicht auch wirtschaftlich. Man hat viele Termine, muss seinen Alltag umgestalten, seine Existenz absichern oder die Kinderbetreuung regeln. Man muss wissen, was die Krankenkasse bezahlt und was nicht und nach der Therapie, wie man sich wieder in den Beruf eingliedern kann. Zu diesen Themen gibt es wirkungsvolle Unterstützungsangebote, die im Buch nach Kategorien übersichtlich aufgelistet werden.
Frau Prof. Dr. Harbeck, Sie sind die erste deutsche Forscherin, der der ESMO Lifetime Achievement Award verliehen wurde? Was bedeutet diese Auszeichnung für Sie?
Das ist eine unglaubliche Ehre für mich, auch weil ich als erste Nicht-Onkologin den Preis erhalten habe. Doch nicht nur für mich ist der Preis eine Auszeichnung, sondern auch für mein gesamtes Team und die deutsche Brustkrebsforschung an sich. Die Ehrung zeigt, wie hoch der Standard der deutschen Brustkrebsforschung ist und ist zugleich ein enormer Ansporn, dieses hohen Qualitätsstandard dauerhaft beizubehalten. Natürlich denkt man bei einem Preis für das Lebenswerk auch immer an das Karriereende – hier kann ich aber sagen, ich habe noch viel vor in der Brustkrebsforschung und auch bei der Patientenbetreuung.
Herr Wahlers, Sie sind als einziger deutscher Experte in allen internationalen Leitliniengruppen für Brustkrebs berufen und arbeiten in führender Position in einer der deutschen Brustkrebs-Studiengruppen. Welche Vorteile haben Ihre Patienten durch Ihr Engagement?
Überall dort, wo die Richtlinien vorgegeben werden, können Patientinnen sich sicher sein, dass sie nach neuestem Standard versorgt werden, denn sie erhalten schnell Zugang zu Innovationen. Das ist in Europa nicht die Regel. Mir ist wichtig, dass wir in unserem Zentrum wegweisende Studien und modernste Diagnostik- und Therapieformen anbieten können.
(© Corinna Schindler für den mosaik Verlag)
Janne Lemke